„Wir suchen Verbündete für den Krieg in unserer Heimat“, erwiderte sie und entschloss sich, keine großen Reden zu schwingen.
Chara trat einen Schritt auf den Roten zu. „Was hat er gesagt?“
„Er wollte wissen, was wir wollen.“
„Wer ssseid ihr?“ Und weiter ging es in ähnlicher Manier wie am Grunde des Ozeans beim Großkönig der Fischmenschen.
„Wir kommen aus einer Welt jenseits des großen Sturms. Ich bin vom Volk der Elfen und Chara …“
„Tisssahnen.“
„Wie bitte?“
Das Gesicht des Scorpios verzog sich zu einem verächtlichen Ausdruck. „Ssseid ihr Tisssahnen oder deren Abkömmlinge?“
Siralen holte tief Luft und übersetzte für Chara.
„Wovon redet er?“, kam die erwartete Frage.
„Mache ich etwa den Eindruck, als hätte ich ihn verstanden?“
„Ihr Elfen macht häufiger den Eindruck, als hättet ihr nichts verstanden. Und doch begreift ihr mehr, als man meinen könnte.“
Siralen hätte Chara ein, zwei Wörtchen Ilf beigebracht, wenn sie nicht in einer derart prekären Situation gewesen wären.
„Ihr sssucht Helfer?“, zischte der Rote und beantwortete sich seine Frage selbst: „Dann ssseid ihr keine Tisssahnen.“
„Was sind Tisssahnen?“, fragte Siralen und versuchte, das Wort möglichst so auszusprechen, wie der Scorpio es in ihrem Kopf hinterließ.
Wieder war da dieser verächtliche Ausdruck auf seinem Gesicht. Aber da war auch etwas, das aussah wie Respekt, was bei einem Wesen wie diesem nicht unbedingt zu erwarten war.
„Mächtige Wesssen auf zssswei Beinen. Wesssen, die keine Hilfe von anderen Wesssen brauchen.“
Siralen hatte das Gefühl, als würde eine Erkenntnis zaghaft an die Tür ihres Verstandes klopfen, sich aber nicht durchsetzen können.
„Ihr riecht andersss. Ihr ssseid ein ssschwacher Abklatsssch der Tisssahnen“, meldete sich der Rote erneut zu Wort. „Ihr habt keine Macht.“
Das schien ein Standardspruch jenseits des Großen Abgrunds zu sein. Resigniert übersetzte Siralen für Chara.
„Wer genau von uns hat keine Macht?“, wollte die Assassinin wissen, und Siralen gab die Frage vorsichtig weiter.
„Niemand. Am Allerwenigsssten die, die die Umgebung mit den bloßssen Gedanken verändern können.“
„Er meint die Zauberkundigen“, seufzte Siralen. Sie fühlte schon jetzt, wie sie das Gespräch zermürbte. Wieso war nichts je einfach?
Der Rote kniff die Augen zusammen – als wollte er seinen Worten einen besonderen Nachdruck verleihen. „Nur eure Metall-Krieger sssind ssstark.“
„Na, immerhin haben die MacDragul Eindruck gemacht“, bemerkte Chara, nachdem Siralen die Übersetzung wiedergegeben hatte. „Womit wir beim ersten Punkt sind, der sie interessieren könnte. Das sind Kämpfer, keine Denker. Was die interessiert sind andere Kämpfer, die eine Bedrohung für sie und ihr Herrschaftsgebiet darstellen könnten.“
Siralen nickte. Ein Segen, dass Chara nicht verstanden wurde. So konnte wenigsten sie sagen, was sie dachte. Vielleicht kamen sie ja auf diese Weise zu einer Lösung.
„Ssschangra“, zischte der Scorpio. Dann folgte die eigentliche Frage: „Woher kennt ihr ihn?“
„Sag es ihm“, drängte Chara, als Siralen seine Frage wiederholt hatte.
„Er war in unserer Heimat. Er kämpfte an unserer Seite gegen unseren Feind.“
Die Zeltplane schwang zur Seite und einer der braunen Scorpios betrat den Eingangsbereich. Er war etwas größer als der Rote, aber kleiner als die Schwarzen. Und er sagte nichts, tat nichts. Der Rote setzte das Gespräch fort, als wäre nichts gewesen.
„Wo issst er?“
„Er wurde krank“, gab Siralen zu. „Und starb. Es tut uns leid.“
„Nein, tut es nicht“, bemerkte Chara. „Behaupte nichts, das schwach wirkt.“
„Wieso sollte Mitgefühl eine Schwäche sein?“
„Mitleid ist eine Schwäche. Jedenfalls in ihren Augen.“
Siralen blies sich entnervt eine ihrer kinnlangen Strähnen aus dem Gesicht. „Vielleicht bin ich nicht die Richtige, um …“
Sie spähte zu dem roten Scorpio zurück, der sie und Chara beobachtete, als müsste er ihre Bedeutsamkeit einer eingehenden Prüfung unterziehen. Noch fiel sein Urteil ganz eindeutig ernüchternd aus: Unbrauchbar.
„Wiessso kämpfte er an eurer Ssseite?“, wollte er wissen.
„Weil unsere Seite für die Rettung der Welt kämpft, und die andere für deren Zerstörung“, antwortete Siralen.
Eine Weile fiel kein Wort. Die beiden Scorpios starrten sie nur an. Dann stieß Irwin erneut ein leises Wimmern aus, das sogar für diese fremden Wesen als ein Ausdruck der Angst zu interpretieren war. Was, so stand zu befürchten, nicht unbedingt auf Wohlwollen traf.
„Wie sssah er ausss?“
Siralen sah den Roten unschlüssig an.
„Welche Farbe hatte er?“
Ach das! Leider wusste sie darauf keine Antwort und schwieg. Der Rote schien das ebenfalls bedauerlich zu finden. Und damit wusste er vermutlich alles, was er wissen wollte. Doch offensichtlich war er noch nicht fertig mit ihnen.
„Wiessso sind Blaksss unter euch?“, zischte er bedrohlich.
„Ich verstehe nicht …“
„Was sagt er?“, drängte Chara.
„Ich versuche, mich hier zu konzentrieren, Chara. Würdest du bitte …“
„Wiederhol’s einfach.“
Siralen stöhnte auf. „Er will wissen, weshalb Blaksss unter uns sind.“ Sie betonte das Zischen am Ende des Wortes mehr als nötig. „Und behaupte jetzt nicht, du weißt, wen oder was er damit meint.“
„Weiß ich nicht.“
„Würdest du mich dann bitte meine Arbeit machen lassen?“
Chara hob beschwichtigend die Hände und begnügte sich wieder damit, die beiden riesigen Wesen zu observieren.
„Wie macht ihr esss, dasss sssie euch folgen? Wie kontrolliert ihr sssie?“
Siralen entschloss sich, ehrlich zu bleiben. „Wen meint ihr?“
„Die Ssschwarzen. Die, die ssschneller und ssstärker sssind alsss ihr, aber langsssamer als die Metall-Krieger.“
Jetzt fiel die Münze. Siralen übersetzte schnell für Chara und hoffte darauf, dass sie eine adäquate Antwort wusste.
„Sie folgen dem, für den wir kämpfen“, sagte Chara. „Sie folgen dem, der uns hierhergeschickt hat. Nicht wir, er kontrolliert sie.“
Eine Weile musterte der Rote Chara, nachdem Siralen ihre Worte weitergegeben hatte. In seinem ehernen, aber dennoch menschlichen Gesicht spielte sich ein skurriler Wechsel von plötzlichem Verstehen und flammendem Zorn ab. Was genau er verstanden hatte, war freilich nicht auszumachen. Weshalb er zornig war, ebensowenig. Schließlich wurden seine Züge weicher und mit einem Mal sah es aus, als würde sich ein undefinierbarer Schmerz in sein Gesicht graben. Die Metamorphose war befremdlich, beängstigend unerwartet.
Durch den Schlitz in der Zeltplane brachen die Strahlen der Sonne und warfen die riesigen Schatten der beiden mächtigen Wesen an die rückwärtige Zeltplane. Sachte zupfte der Wind an dem Leinen. Es knisterte, dann wurde es wieder still. Irwin zuckte in gekünsteltem Schlaf.
„Issst er ein Tisssahne?“, fragte der Rote leise.
Siralen sah ihn verständnislos an, übersetzte aber für Chara.
„Thanatane“, flüsterte Chara. „Tisssahne heißt Thanatane.“
„Nein, das ist er nicht“, erwiderte Siralen auf die Frage des Scorpios und sah aus dem Augenwinkel, wie Chara nachdenklich die Stirn runzelte. Oder etwa doch?
Der Scorpio wechselte mit seinem braunen Gefährten erneut Blicke. Schließlich, als hätten sie sich in stummer Übereinkunft zum Rückzug entschieden, drehten sich die beiden um, verließen den Zelteingang und rückten mitsamt ihrer Eskorte aus schwarzen Wüstenkriegern ab. Nur zwei Wachen blieben neben dem Zelteingang zurück.
Irwin MacOsborn richtete sich auf und inspizierte mit angewidertem Gesicht seine Beinkleider. Siralen ließ sich in den Sand fallen und zog die Knie an. „Wasser“, sagte sie. „Ich hoffe, sie denken daran, dass wir Wasser brauchen.“
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