In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre gab es noch lange nicht das, was später als »Social Network« oder als »Messenger Service« bekannt werden sollte. Daher war die Kommunikation in der Studentenschaft noch sehr viel mehr als in den 2010er-Jahren, oder gar zu Beginn der 2020er-Jahre, auf persönlicher Präsenz basierend. Dauernd war irgendwo ein »Happening« oder ein »Event« fällig. Angekündigt werden konnte das damals nur per Plakataushang oder über das Verteilen von Handzetteln, also nicht elektronisch. Die Mensa war in der Regel den ganzen Tag über sehr gut besucht, also nicht nur zur Nahrungsaufnahme. In der Mensa traf man sich als Peer-2-Peer-Lerngruppe zur Bearbeitung von Übungsaufgaben und Klausurvorbereitung. Man erklärte sich die Lehrgegenstände gegenseitig. Man kann ja durchaus zufrieden sein, wenn es gelingt, den Kommilitonen einen Sachverhalt zu erklären. Denn wenn man etwas erklären kann, dann müsste man es auch selbst verstanden haben.
Die Studierenden waren in einem hohen Maße politisch organisiert. Wenn Hochschulwahlen anstanden, dann gab es für die studentischen Vertretungen in Senat oder Fachbereichsrat Bewerberlisten des »Marxistischen Studentenbunds Spartakus« (DKP-affin – DDR-UdSSR-orientiert), der »Hochschulorganisation Kommunistische Studenten« (KPD/ML-affin – albanisch orientiert), einer »Kommunistischen Hochschulgruppe« (KBW-affin – China-orientiert), des »Sozialistischen Deutschen Studentenbunds« (SPD-affin), des »Liberalen Hochschulverbands« (FDP-affin – einige Leute firmierten meiner Erinnerung nach noch unter dem schönen Kürzel LSD – Liberaler Studentenbund Deutschland) und natürlich des »Rings Christlich-Demokratischer Studenten RCDS« (CDU-affin). Hinzu kamen Studentenvereine, die ihre Nationalität mit einer politischen Botschaft verbanden und dahingehend politisch-missionarisch auftraten. Das war damals etwa bei Studierenden aus dem Iran oder aus Vietnam der Fall.
Das »health management«, eine »Gerechte Sprache« und die »political correctness« waren für die Studierenden noch nicht erfunden. In der Mensa waren alkoholische Getränke absolut üblich, und geraucht wurde dort auch. Zigaretten wurden von Werbeleuten in kleinen Dreier-Päckchen am Eingang der Mensa an die Studierenden verschenkt – zum Probieren. Das krasseste technische Lifestyle-Feature des damaligen modernen Lebens war der »Sony Walkman«, mit dem man unterwegs Tonbandkassetten hören konnte. Michael Jackson hatte mit »Thriller« einen Hit und in Deutschland kam Nena mit »99 Luftballons« gerade groß heraus. Ich fand diese Art von Musik nicht so sehr spannend, sondern eher die Neue und Elektronische Musik. Auch die surrealistische Lyrik von Bob Dylan (»Gates of Eden, Desolation Row«) war faszinierend.
Ich hielt es – und halte es immer noch – generell für einen schweren Irrtum, anzunehmen, dass das Hören von Musik vor allem der Erholung dienen solle. In Darmstadt spielte im SV-Darmstadt-98-Fußballstadion am Böllenfalltor im September 1984 eine Band namens »The Police«. Deren Musiker Sting und Andy Summers kannte ich von Eberhard Schoener und seiner Art (»Video Magic«) der Elektronischen Musik. Der Kartenverkauf am Eingang hatte seine Stellung aufgegeben, denn keiner wollte damals in Darmstadt so etwas wie »The Police« hören. Man ließ uns, wie alle anderen zufällig vorbeikommenden Passanten, gerne gratis zum Konzert, damit es wenigstens ein paar Zuhörer gäbe. Vorne auf der Bühne zeigte Sting zum sichtbaren Mond und fragte das Publikum: »can you see the moon?«, um dann mit seinem Lied fortzufahren:
»Giant steps are what you take,
Walking on the moon,
I hope my leg don’t break,
Walking on the moon,
We could walk forever.«
Ist das der Zeiten eigener Geist, den man den Geist der Zeiten heißt? Wie wäre der Eintrittskartenverkauf wohl verlaufen, wenn damals schon Facebook und Twitter verfügbar gewesen wären?
Im Jahr 1981 stellte die Firma IBM einen »Portable Computer« PC vor. Damit wurde auf ein Angebot reagiert, dass eigentlich schon seit 1977 auf dem Markt war, nämlich die »Personal Computer« der Firma Apple – die hießen auch »PC« und das schon länger. IBM hatte sich, wie andere Großrechnerhersteller der damaligen Zeit, mit Skepsis die Frage gestellt, wozu in aller Welt ein Mensch einen »persönlichen Rechner« auf seinem Schreibtisch brauchen könnte. Wofür sollte ein solcher PC wirklich gut sein? Was sollte denn damit bitteschön berechnet werden können – oder gar müssen? Man ging deshalb das Thema PC seitens IBM ein wenig halbherzig an. Ein eigenes PC-Betriebssystem wollte IBM nicht entwickeln, man ließ sich deshalb ein »Disc Operating System« (DOS) von einem Jungunternehmer namens Bill Gates liefern.
Professor Dr. Thomas Wolf, Berlin
Exkurs – Die IT-Abteilung und ihre Leitung im Wandel der Zeit – Der PC auf dem Schreibtisch erscheint
Wenn man das so liest, dann muss man wissen, dass der »Computer am Arbeitsplatz« sozusagen über Umwege eingeführt worden ist. In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre bahnte sich in der wissenschaftlichen Welt – nicht nur bei meinem damaligen Arbeitgeber Merck in Darmstadt – eine Revolution in der IT an. Man könnte sagen, dass die langen Anwendungs-Entwicklungszeiten und die langen Antwortzeiten der Zentralrechner durch eine quasi »Guerilla-Taktik« überwunden werden konnten. Die Beschaffung und Inbetriebnahme von komplexen und teuren Messgeräten in den Laboren erforderte eine dezentrale IT zu deren Steuerung und Betrieb. An diesen Geräten gab es eigene Prozessrechner.
Diese relativ kleinen betrieblichen Prozessrechner sollten später als »PC« bekannt werden. Sie konnten als Laborausstattung »under cover« an der zentralen IT vorbei als Auswerteeinheiten beschafft werden. Ihre Kosten galten nicht als IT – sondern als Labor-Kosten und fielen daher nicht weiter auf. Aber man konnte – welch ein Wunder – damit alles Mögliche machen, wofür man vorher die Leistungen der zentralen IT brauchte. Allerdings reagierte das zentrale IT-Management wenig zielführend. Statt diese Entwicklungen der dezentralen IT zum Nutzen des Unternehmens zu kanalisieren, sah es seine Aufgabe vor allem darin, die dezentralen Beschaffungswege zu behindern. Es sollte möglichst die »ganze IT« weiterhin auf den bewährten Produkten der Firma IBM basieren.
Ein – wie es auf dem Gehäuse steht – »Personal Computer« des Fabrikats Casio. Er ist mittels BASIC programmierbar, hat eine Tastatur und einen kleinen graphischen Bildschirm. Abgebildet ist das Exemplar, das ich mir ungefähr im Jahr 1983 zum Beginn des Studiums gekauft hatte .
Diese erste Generation der Rechenzentrumsleitung, die »Chief Information Officers« (CIOs), hatten vor allem die beiden Aspekte der Technik und der Kosten im Blick. Solange alles zentral lief, war dieses CIO-Monopol der Technik und Kompetenz unangreifbar. Es erodierte stark ab Mitte der 1980er-Jahre, spätestens mit der Verbreitung der PCs. Mit der explosionsartigen Verbreitung der PCs begann die große Zeit der dezentralen IT, die scheinbar viel billiger war als die zentrale. Der Aufwand für Entwicklung und Betrieb wurde von Anwendern nebenher erledigt, und deren Gehälter tauchten nicht als IT-Kosten auf. Einige »PCs« erreichten die Leistungsfähigkeit von kleinen dezentralen Rechenzentren.
Auf der Herstellerseite hatte diese Entwicklung einen massiven Umbruch zur Folge. Die Zeit des Quasi-Monopols der IBM endete, es folgte der Aufstieg von Firmen, wie erst HP, dann auch Microsoft, Compaq oder auch Dell. Apple betrat den Weltmarkt. Andere Firmen, wie etwa Digital Equipment, verschwanden ganz.
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