Escobedos Geiergesicht lief wie gewohnt rötlich an. Dass Colón ihn als portugiesischen Spion verdächtigte, empfand der Notar als eine Ehrabschneidung. „Gott ist mein Zeuge, Colón, ein falsches Wort von Euch, ein falscher Befehl, und ich werde dafür sorgen, dass Ihr in den Kerkern von Sevilla endet“, zischte er.
Colón lächelte überlegen. Die schmalen Lippen kräuselten sich dabei und zogen sich in den Mundwinkeln leicht nach unten, so dass ein Hauch milden Spotts auf seinem Antlitz lag. Allein dies trieb Escobedo zur Raserei, wie sein hektisch zuckendes Gesicht verriet. Ungerührt setzte Colón hinzu: „Der Allmächtige ist schon mit mir und unseren katholischen Majestäten im Bunde. Ihr müßt Euch einen anderen Kronzeugen suchen, Señor Escobedo.“
„Wir sprechen uns noch, Admiral, verlasst Euch darauf!“, drohte Escobedo. „Ihr nehmt Euch zu viel heraus im Namen des Königs und der Königin. Noch bin ich der Beamte des Hofes und Ihr seid nichts weiter als ein genuesischer Seefahrer. Noch habt Ihr den versprochenen Seeweg nach Indien nicht gefunden und keinen großen Khan, keine Schätze, kein Zipangu, kein Cathay. Abgerechnet wird erst, wenn Ihr mit leeren Händen heimkehrt nach Spanien, Colón. Und dann Gnade Euch Gott!“
Zu solch hasserfüllter Boshaftigkeit hatte Escobedo sich bisher noch nie hinreissen lassen. Gutierrez musste ihn an der Schulter fassen und zurückhalten, damit der königliche Notar nicht noch unüberlegtere Drohungen aussprach. Der Admiral lächelte sein gewohnt überirdisches Lächeln, fixierte seinen hochroten Widersacher und schüttelte gnädig den Kopf, als wollte er sagen: Welch ein Verrückter!
Zu den Nörglern gehörte neben Escobedo und seinen Anhängern auch Jakob. Er pflegte zwar keinen Groll gegen den Admiral, dafür peinigte ihn aber eine abergläubische Angst vor den Naturgewalten. Jakob plagte den diesbezüglich völlig unbekümmerten Rodrigo mit Schreckensvisionen: „Morgen wird uns das Seegras so dicht umranken, dass wir uns den Weg mit Äxten freihauen müssen, du wirst sehen.“
Rodrigo spuckte Olivenkerne ins Wasser und grinste: „Mir machst du keine Angst, Jakob. Ich vertraue dem Admiral und Kapitän de La Cosa.“ Das beschrieb seine tiefste Überzeugung.
„Du vertraust ihnen nicht nur, du vergötterst sie“, brach es aus Jakob hervor. „Es sind aber nur zwei Kerle, die uns Hirngespinnste vorgaukeln.“ Aus seinen Worten sprachen Neid und Eifersucht: „Der Admiral hat gesagt, die Sterne bewegen sich, also bewegen sie sich; der Kapitän hat gesagt, die Insel Antilia ist in der Nähe, also ist sie in der Nähe; der Admiral sieht einen Frosch und alle jubeln.“ Jakob ereiferte sich weiter: „Admiral hier, Admiral da, Kapitän hier, Kapitän da. Was die zwei sagen, das ist Evangelium, und alle lassen sich einwickeln, du zuallererst.“
Rodrigo zuckte die Schultern: „Bisher haben sie jedenfalls recht gehabt“, bemerkte er lakonisch. Jakob gefiel diese beiläufige Gelassenheit nicht: „Ist dir eigentlich vollkommen egal, was auf diesem Schiff passiert? Ist es dir egal, wenn wir in Abgründe segeln, wenn wir in diesem Grassumpf verschlungen werden oder wenn uns Stürme auf den Meeresgrund schmettern und wir elend umkommen? Denk doch mal nach Kleiner, wir sind am Ende der Welt. Hier war noch niemand vor uns, auch nicht der Admiral. Und deshalb kann er auch gar nicht wissen, was uns erwartet.“
Das schreckte Rodrigo nicht. Er sah, dass die Schiffe ruhig segelten, dass der Himmel in freundlichem Blau strahlte, dass des Nachts die Sterne leuchteten. Wovor sollte er sich also fürchten?
Weiterhin wucherte ringsum viel grünes Kraut auf der Meeresoberfläche. An den nächsten Tagen gesellte sich noch eine Flaute hinzu. Die See gönnte sich eine Ruhepause und lag so ruhig und glatt vor ihnen, dass ein jeder sich an die Windstille vor den Kanaren erinnerte. Dabei blies sogar noch ein schwaches Lüftchen; ein Bruder Leichtfuß, völlig unberechenbar, kam mal von backbord, mal von steuerbord, sprang hierhin und dorthin, blieb dann wieder für Stunden völlig fern, so dass von Vorwärtskommen keine Rede sein konnte.
Gegen Mittag des nächsten Tages lagen die Schiffe fast regungslos im Meer, nur wenige Längen voneinander getrennt. Die See zeigte sich nicht mehr ganz so stark vom Beerentang bedeckt wie an den Tagen zuvor, sodass Pablo angesichts des erfrischend intensiv violettblauen Wassers auf die Idee kam: „Lasst uns ins Wasser springen und baden!“
„In das Kraut hinein?“
„Hast du etwa Angst?“
Die falsche Frage. Rodrigo durfte man nicht fragen, ob er Angst hatte, schon gar nicht durfte Pablo diese Frage stellen. Rodrigo streifte sein Hemd ab. „Ich springe!“
„Das würde ich nicht tun“, mischte sich Jacomo Rico ein. „Vielleicht gibt es hier Haie.“
„Was weißt du schon von Haien?“, fragte Pablo großspurig, der ganz gewiss selbst noch nie in seinem Leben einen solchen Raubfisch gesehen hatte.
„Ich habe Haifische schon erlebt“, beschwor der großmäulige Lockenkopf. Pablo baute sich herausfordernd vor Jacomo auf, die Fäuste in die Seiten gestemmt: „Dann erzähl uns mal, was es auf sich hat, mit diesen Haifischen!“
Neben Pablo und Rodrigo interessierten sich noch andere brennend für das Thema, vor allem die Jüngeren. So stand auch Pedro de Tereros in der Nähe, der bleiche Diener des Admirals, Martin, Jakob und zwei, drei andere, alle begierig, mehr über den berüchtigten Räuber der Meere zu erfahren.
„Wir haben mal einen gefangen“, prahlte Jacomo Rico. „Es war bei einer Fahrt nach Madeira. Wir zogen ihn mit einem eisernen Haken aufs Oberdeck und er maß mehr als sechs Fuß in der Länge. Er lebte noch, und ich sage euch, wir mussten vor ihm ebenso auf der Hut sein wie vor einem gefährlichen, bissigen Hund. Seine Haut ist fast so grob und rau wie eine Feile und er hatte einen großen, flachen Kopf, ähnlich dem eines Wolfes, das könnt ihr euch aussuchen.“
„Du erzählst Schauermärchen“, zweifelte Pablo.
„Doch, er hat recht“, mischte sich Jakob ein. „Die Haie sind gefährliche Monster. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für spitze und scharfe Zähne sie haben. Beißen sie einen ins Bein, so reißen sie das betreffende Glied einfach ab. Am liebsten ziehen sie den ganzen Menschen in die Tiefe. Sie richten nichts als Unheil an, gefangen oder im Wasser. – Und ihr Fleisch schmeckt übrigens fade und ist zäh, das könnt ihr glauben.“
Alle machten große Augen. Begierig sogen die Jungen diese Schilderungen auf.
„Was habt ihr mit eurem gefangenen Haifisch gemacht?“, wollte Rodrigo wissen.
„Wir haben ihn mit Stangen gestochen und gequält, wie einen wütenden Köter“, erzählte Jacomo Rico mit sichtbarer Begeisterung. „Wir schlugen ihn mit eisernen Keulen halbtot und schnitten ihm die Flossen ab. Dann warfen wir ihn zurück ins Wasser, nachdem wir ihm noch einen Fassreifen an den Schwanz gebunden hatten. Ehe er versank, kämpfte er noch lange an der Wasseroberfläche und wehrte sich verzweifelt. Wir hatten immerhin einen Zeitvertreib, aber mit den Viechern ist beileibe nicht zu spaßen.“
Alle, die zugehört hatten, saßen gebannt auf ihren Plätzen. „Wir sollten auch versuchen, einen zu fangen“, schlug Pablo vor und sprang auf. „Als Köder werfen wir den Martin ins Wasser!“
„Nein!“, schrie Martin de Urtubia und wollte die Flucht ergreifen. Doch Pablo packte ihn am Arm und drückte ihn in Richtung Reling. Jacomo Rico sprang ebenfalls gleich herbei, und sie zerrten zu zweit an dem schreienden Schiffsjungen. Da zögerte auch Rodrigo nicht lange. Bevor jemand auf den Gedanken verfiel, ihn anstelle von Martin ins Wasser zu werfen, wollte er lieber auf der Seite der Täter als das Opfer sein. Mit vereinten Kräften hoben sie Martin in die Höhe und warfen ihn über die Reling ins Wasser, obwohl der Junge verzweifelt schrie, strampelte und überall versuchte, sich festzuhalten. Sie starrten hinunter und beobachteten, wie er im Wasser aufschlug, untertauchte und wieder an die Oberfläche kam. Hoffentlich konnte er schwimmen. Niemand hatte danach gefragt.
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