Charles Ferdinand Ramuz - Farinet oder das falsche Geld

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Ein schlichtes Holzkreuz schmückt Farinets Grab in Saillon, das am Rande des Kirchenbezirks liegt, wie es sich gehört für einen, der seine individuelle Freiheit höher schätzte als Staat und Gesetz. Als der junge Mann im abgelegenen Tal mit der Geldfälscherei begann, ging es ihm nicht um persönliche Bereicherung, er wollte geben, schenken, Freude bereiten. Dieses Angebot nahmen die Leute gerne an, sie hielten Farinets Gold sowieso für echter als das der Regierung. Von Männern geschätzt, von Frauen verehrt, fand er Unterschlupf vor der Staatsgewalt, bis er von seiner Freundin aus Enttäuschung verraten wurde. Er hat etwas Anarchisches, dieser Farinet, wie ihn Ramuz beschreibt. Ein Verführer ist er, einer, der keine Grenzen anerkennen mag, der mit Bick auf die Berge ausruft: «Aber, was ist Freiheit? … Freiheit ist: zu tun, was man will, wie man's will, wann man Lust hat.» Heute ziert Farinet die «Bank»-Noten alternativer Tauschkreise, während Ramuz auf dem echten Geld abgebildet ist.

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CharlesFerdinand Ramuz wurde 1878 in Lausanne geboren Nach dem Gymnasium - фото 1

Charles-Ferdinand Ramuz wurde 1878 in Lausanne geboren. Nach dem Gymnasium schrieb er sich 1896 in der philosophischen Fakultät der Universität Lausanne ein. Während eines Aufenthalts in Karlsruhe fasste er den Entschluss, Schriftsteller zu werden und seine Studien in Paris fortzusetzen, um eine Doktorar­beit über den Dichter Maurice de Guérin zu schreiben. Im Krieg begegnete er Igor Strawinsky; aus ihrer Zusammenarbeit entstand die «Histoire du Soldat». Ab 1926 veröffentlichte der Pariser Verlag Grasset seine Werke. 1940/41 erschien, initiiert von seinem Lausanner Verleger Henry-Louis Mermod, die Gesamtausgabe in 20 Bän­den. 1936 erhielt Ramuz den Grossen Preis der Schweizerischen Schillerstiftung. Er starb 1947 in Pully bei Lausanne. Viele seiner Romane wurden verfilmt, u. a. «Derborence», «Farinet oder das falsche Geld», «Rapt», «Die grosse Angst in den Bergen», «Krieg im Oberland», «Wenn die Sonne nicht mehr wiederkäme», «Adam und Eva». Fast sechzig Jahre nach seinem Tod erschienen 2005 zwei Bände mit 22 Romanen von Ramuz in der renommierten Bibliothek de la Pléiade in Paris.

Charles Ferdinand Ramuz

Farinet

oder das

falsche

Geld

Aus dem Französischen von Hanno Helbling

Limmat Verlag

Zürich

I

Und Vater Fontana spricht weiter auf die zwei Männer ein, mit leiser Stimme, im Café Crittin in Mièges.

«Ja …»

Langsam ging sein Kopf auf und ab.

Ardèvaz und Charrat hießen die beiden.

«Ja», fährt Fontana fort, «denn das sage ich euch, sein Gold ist besser als das Gold der Regierung. Und ich sage, er hat das Recht, falsches Geld zu machen, wenn es echter ist als das echte. Was macht den Wert der Münzen aus – die Bilder, die drauf sind?, die Frauenzimmer, die nackten Weiber, oder die angezogenen, oder die Kronen, die Wappen? Oder vielleicht die Inschriften? Oder etwa die Zahlen», sagte er, «die Zahlen, die von der Regierung draufgetan werden? Wer kümmert sich um die Inschriften? Niemand, und um die Zahlen auch niemand. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Regierung euch den Wert und das Gewicht falsch angäbe, genauso wie irgendein Privater. Fragt nur die Leute, die sich auskennen. Die Regierung sagt euch: ‹Dieses Stück hat so viel gegolten; nun, von jetzt an gilt es so viel …› Das ist vorgekommen, das kann wieder vorkommen. Da ist Farinet anständiger als die Regierungen, ihm zahlt man das, was an dem Geld dran ist, ihnen zahlt man, was draufsteht …»

Er hatte immer lauter geredet und es selbst nicht gemerkt; dann ist er auf einmal still und wirft einen Blick über die linke Achsel, zur Tür hin.

Offenbar hatte er Angst, es sei einer hereingekommen und er habe nicht aufgepasst, während er seine Sache vortrug; aber er sieht durch die Rauchwolken, dass niemand gekommen ist; es war auch erst fünf Uhr, zu früh für die meis­ten Kunden, die waren jetzt eher im Weinberg, auf dem Feld oder im Garten; und das Lokal war leer, mit seinen zwei Tischreihen, die bis zum Fenster liefen, durch eine Art Nebel, in dem man nicht deutlich sah. Fontana war beruhigt, er zog an der Pfeife, immer zweimal, mit eingezogenen Backen.

Er nimmt sein Glas, trinkt den andern zu.

Die beiden hatten nichts gesagt. Auch sie zogen an ihren Pfeifen mit den Messingdeckeln; sie wiegten die Köpfe von Zeit zu Zeit.

Sie hatten die Ellbogen auf dem Tisch, sie schwiegen. Offenbar warteten sie, bis Fontana fortfahren würde; er war noch nicht fertig. Fontana merkt das; er blickt noch einmal vorsichtig über die Achsel; vor sich hat er die Wand und rechts auch die Wand; trotzdem senkt er noch die Stimme, um ganz auf der Hut zu sein (dabei weiß er, dass auf den Wirt Verlass ist, dass er zu Farinet hält, falls nämlich der Wirt ihn hören sollte), und sagt:

«Und wenn ihr meint, Farinet sei ein Anfänger, meinetwegen, aber von wem hat er das Geheimnis, wer hat ihm die Schlupfwinkel gezeigt? Vater Sage hatte Papiere, und er hat sie mir sogar gezeigt, ich habe sie gesehen. Von Paris kam das, ja, von Paris, und von Genf. Zertifikate nennt man die. Er hatte von seinem Pulver dorthin geschickt, zur Begutachtung; und auf seinen Papieren, da stand nun …»

Er hält ein; dann spricht er die drei Worte deutlich aus, einzeln:

«Es – war – echt.»

Er hält ein.

«Das stand auf diesen Papieren, und das sind Herren, begreift ihr, das sind Leute, die immerhin mehr verstehen als wir, das sind Leute vom Fach, Gelehrte, die Bücher schreiben, Philosophen. Die haben gesagt: ‹Das ist reines Gold, und nichts als reines Gold.› Sie haben es geschrieben. Es steht auf den Zertifikaten. Und die Zertifikate, begreift ihr, die hat Farinet jetzt … Der Unterschied ist nur, dass Sage sein Pulver für sich behielt, und er hat Münzen draus gemacht, aber das ist seine Sache. Wenn die nicht immer schön herauskommen, so liegt das daran, dass er nicht alle Werkzeuge hat, die man braucht. Aber der Gehalt ist da. Und ich sage euch, es ist gut, so etwas unter dem Strohsack zu haben oder unter einem Stein im Garten, für alle Fälle. Etwas, das nicht alt wird, das nicht verfault, nicht verdirbt, das sich nicht verfärbt, das sein Gewicht behält, etwas Festes, wo alles andere eben nicht fest ist; etwas, das nicht nur von heute ist, oder von gestern oder von morgen, sondern von immer, so alt wie die Welt und so lange da wie die Welt … Und dann hätte man Gold in der Gemeinde, man würde es lassen, wo es ist, man würde nichts damit machen! Ist das eine Idee? … Ich habe jedenfalls davon; das gebe ich offen zu. Ich habe für hundert Franken davon. Und du, Ardèvaz?»

Ardèvaz nickt; er hatte auch davon.

«Siehst du. Und du, Charrat?»

Charrat lächelt.

«Oh!, jeder hat davon; die Sache ist schon richtig.»

«Und ist es dann richtig, dass er im Gefängnis sitzt und dass man ihn drinlässt?», sagt Fontana. «Diebe steckt man ins Gefängnis. Er ist das Gegenteil von einem Dieb. Frag nur den Patron …»

Er ruft:

«He! Patron!»

Er sagte:

«Wir fragen ihn, ob er nicht auch davon hat, und wie viel. Er hat nämlich am meisten davon. Seit ihm Farinet mit seinem Geld zahlt … Crittin hat mindestens für tausend Franken … Wir fragen ihn. Wir sind hier unter uns, lauter Freunde und Vertrauensleute … He, Patron! Warum kommt er nicht?»

Es war wirklich merkwürdig, dass Crittin noch nicht da war und wie sonst ein Glas mit uns trank; Ardèvaz steht auf.

Ardèvaz öffnet die Tür zum Hausgang.

Aber in diesem Augenblick war die Tür zur Straße hin aufgegangen, am anderen Ende des Hausgangs; und eine Frau war hereingekommen, eine nicht mehr sehr junge Frau, wie es schien, einen Hut auf dem Kopf, einen Koffer in der Hand, ganz schwarz angezogen, aber weiß von Staub bis an die Knie, sie sieht Ardèvaz, sie bleibt stehen …

An dem Tag, in Mièges, unterhalb der Felsen, etwas erhöht über der Rhone-Ebene, hinter den Mauern von Mièges, die weiß in der Sonne standen – in diesem Hausgang, eine Frau kommt herein, sie sieht Ardèvaz; aber da war, im selben Augenblick, Crittin aus seiner Küche getreten.

«Ah, Sie sind es … Ich habe Sie erwartet …»

Während er auf sie zuging, dann Ardèvaz sah:

«Bleib … Das ist Joséphine … Kennst du sie nicht mehr? … Sie war hier angestellt, vor zwei Jahren.»

Er sagte zu Joséphine:

«Kommen Sie einen Moment herein … Es sind Kunden da, die Sie kennen …»

Und wie er sie hereingeführt hat:

«Nun, Fontana, erinnern Sie sich? Und du, Charrat …? Joséphine …»

«Ah!», sagt Fontana, «natürlich.»

Und er gibt ihr die Hand:

«Wie geht’s? … Sie kommen scheint’s von weit her … Ah, von Sion … Ah», sagt er. «Und wie geht’s da, in Sion?»

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