»Warum nicht?«
»Weil das Verhalten dieser Bleichgesichter ein zweideutiges ist. Sie haben sich große Mühe gegeben, ihre weiterführenden Spuren auszulöschen; warum haben sie die hier an der Lagerstelle nicht ebenso vertilgt?«
»Vielleicht glaubten sie, keine Zeit dazu zu haben. Oder: daß sie hier ausgeruht haben, das konnte man wissen; aber wohin sie dann gegangen sind, das wollten sie verbergen.«
»Vielleicht ist es so, wie mein Bruder sagt; aber dann sind diese Weißen nicht gute Westmänner, sondern unerfahrene Leute. Wir wollen ihnen nach, um ihnen zu helfen.«
»Ich bin gern einverstanden, zumal es nicht den Anschein hat, daß wir da von unserer Richtung sehr abzuweichen brauchen.«
Wir stiegen wieder auf; Rollins aber zögerte damit und sagte in bedenklichem Tone:
»Ist es nicht besser, diese Leute sich selbst zu überlassen? Es kann uns doch nichts nützen, ihnen nachzureiten.«
»Uns freilich nicht, sondern ihnen,« antwortete ich.
»Aber wir versäumen unsere Zeit dabei!«
»Wir sind nicht so pressiert, daß wir versäumen müßten, Leuten zu helfen, -welche der Unterstützung sehr wahrscheinlich bedürfen.«
Ich sagte das in einem etwas scharfen Tone; er brummte einige mißmutige Worte in den Bart und stieg aufs Pferd, um uns zu folgen, die wir nun der Spur nachritten. Ich hatte noch immer kein rechtes Vertrauen zu ihm, doch kam es mir nicht bei, ihn für so außerordentlich verschlagen zu halten, wie er wirklich war.
Die Fährte verließ den Wald und das Gebüsch und führte auf die offene Savanne hinaus; sie war frisch, höchstens eine Stunde alt, und da wir schnell ritten, dauerte es nicht lange, so sahen wir die Gesuchten vor uns. Als wir sie bemerkten, mochten sie ungefähr eine englische Meile von uns entfernt sein, und wir hatten diese Strecke erst halb zurückgelegt, als sie auf uns aufmerksam wurden. Einer von ihnen sah sich um, erblickte uns und teilte es den Andern mit. Sie blieben eine kurze Zeit stehen, vor Schreck, wie es schien; dann aber begannen sie, zu laufen, als ob es sich um ihr Leben handele. Wir trieben unsere Pferde an; es war uns natürlich eine Leichtigkeit, sie einzuholen, doch rief ich ihnen, ehe wir sie erreichten, einige beruhigende Worte zu, und dies hatte zur Folge, daß sie stehen blieben.
Sie waren wirklich unbewaffnet, vollständig unbewaffnet; sie hatten nicht einmal ein Messer besessen, um sich die Stöcke abzuschneiden, sondern diese abgebrochen; ihre Anzüge aber befanden sich in gutem Zustande. Der Eine von ihnen hatte ein Tuch um die Stirne gewickelt, und der Andere trug den linken Arm in der Binde; der Dritte war unverletzt. Sie sahen uns mit mißtrauischen, ja ängstlichen Blicken entgegen.
»Was rennt ihr denn in dieser Weise, Mesch’schurs?« fragte ich, als wir bei ihnen anhielten.
»Wissen wir, wer und was ihr seid?« antwortete der älteste von ihnen.
»Das war gleich. Wir mochten sein, wer wir wollten, wir hätten euch auf alle Fälle eingeholt; darum war euer Rennen unnütz. Doch braucht ihr euch nicht zu sorgen; wir sind ehrliche Leute und euch, als wir eure Spur sahen, nachgeritten, um euch zu fragen, ob wir euch vielleicht mit etwas dienen können. Wir vermuteten nämlich, daß euer gegenwärtiges Befinden nicht ganz nach euren Wünschen sei.«
»Da habt Ihr Euch freilich nicht getäuscht, Sir. Es ist uns übel ergangen, und wir sind froh, daß wir wenigstens das nackte Leben erhalten haben.«
»Bedaure es. Wer hat euch denn in dieser Weise mitgespielt? Etwa Weiße?«
»O nein, sondern die Okananda-Sioux.«
»Ach diese! Wann?«
»Gestern früh.«
»Wo?«
»Da droben am obern Turkey-River.«
»Wie ist das denn gekommen? Oder meint ihr vielleicht, daß ich lieber nicht darnach fragen soll?«
»Warum nicht, wenn ihr nämlich wirklich das seid, wofür ihr euch ausgebt, nämlich ehrliche Leute. Wenn dies der Fall ist, so werdet ihr uns wohl erlauben, nach euren Namen zu fragen.«
»Die sollt ihr erfahren. Dieser rote Gentleman hier ist Winnetou, der Häuptling der Apachen; mich pflegt man Old Shatterhand zu nennen, und dieser dritte Mann ist Mr. Rollins, ein Pedlar, der sich uns aus Geschäftsgründen angeschlossen hat.«
» Heigh-day, da ist ja jedes Mißtrauen vollständig ausgeschlossen! Von Winnetou und Old Shatterhand haben wir genug gehört, wenn wir uns auch nicht zu den Westmännern rechnen dürfen. Das sind zwei Männer, auf welche man sich in jeder Lage verlassen kann, und wir danken dem Himmel, daß er euch in unsern Weg geführt hat. Ja, wir sind hilfsbedürftig, sehr hilfsbedürftig, Mesch’schurs, und ihr verdient ein Gotteslohn, wenn ihr euch unser ein wenig annehmen wollt.«
»Das werden wir gern; sagt uns nur, in welcher Weise dies geschehen kann!«
»Da müßt ihr erst erfahren, wer wir sind. Ich heiße Warton; dieser hier ist mein Sohn und der andere mein Neffe. Wir kommen aus der Gegend von Neu-Ulm herüber, um uns am Turkey-River anzusiedeln.«
»Eine große Unvorsichtigkeit!«
»Leider! Aber wir wußten dies nicht. Es wurde uns alles so schön und leicht hergemacht; es klang so, als ob man sich nur herzusetzen und die Ernten einzuheimsen brauche.«
»Und die Indianer? Habt ihr denn an diese gar nicht gedacht?«
»O doch; aber sie wurden uns ganz anders geschildert, als wir sie gefunden haben. Wir kamen wohlausgerüstet, um uns zunächst die Gelegenheit anzusehen und ein Stück gutes Land auszuwählen. Dabei fielen wir den Roten in die Hände.«
»Dankt Gott, daß ihr noch am Leben seid!«
»Freilich, freilich! Es sah erst weit schlimmer aus, als es hernach geschah. Die Kerls sprachen vom Marterpfahle und andern schönen Dingen; dann begnügten sie sich aber damit, uns außer den Kleidern alles, was wir besaßen, abzunehmen und dann fortzujagen. Sie schienen doch notwendigere Dinge vorzuhaben, als sich mit uns zu schleppen.«
»Notwendigere Dinge? Habt Ihr vielleicht erfahren, was das gewesen ist?«
»Wir verstehen ihre Sprache nicht; aber der Häuptling hat, als er englisch mit uns radebrechte, einen Settler Namens Corner erwähnt, auf den sie es, wie es schien, abgesehen hatten.«
»Das stimmt. Den wollten sie am Abend überfallen, und darum hatten sie nicht Zeit und Lust, sich mit euch zu befassen. Diesem Umstande habt ihr euer Leben zu verdanken!«
»Aber was für ein Leben!«
»Wieso?«
»Ein Leben, welches kein Leben ist. Wir haben keine Waffe, nicht einmal ein Messer, und können kein Wild schießen oder fangen. Seit gestern früh haben wir Wurzeln und Beeren gegessen, und auch dies hat hier in der Prairie aufgehört. Ich glaube, wenn wir euch nicht getroffen hätten, müßten wir verhungern. Denn ich darf doch hoffen, daß ihr uns mit einem Stückchen Fleisch oder so etwas aushelfen
könnt?«
»Das werden wir; aber sagt, wohin ihr eigentlich wollt!«
»Nach Wilkes Fort.«
»Kennt ihr den Weg dorthin?«
»Nein, doch glaubten wir, die Richtung so ungefähr getroffen zu haben.«
»Dies ist allerdings der Fall. Habt ihr denn einen Grund, grad dorthin zu wollen?«
»Den besten, den es giebt. Ich sagte bereits, daß wir drei vorausgegangen seien, um uns das Land anzusehen; unsere Angehörigen sind hinterhergekommen und warten in Wilkes Fort auf uns. Erreichen wir glücklich diesen Ort, so ist uns dann geholfen.«
»Da habt ihr es jetzt möglichst gut getroffen. Wir haben ganz dieselbe Richtung mit euch und stehen in guter Verbindung mit Wilkes Fort. Ihr könnt euch uns anschließen.«
»Wirklich? Wollt Ihr uns das erlauben, Sir?«
»Natürlich. Wir können euch doch nicht hier im Stiche lassen.«
»Aber die Roten haben uns die Pferde genommen; wir müssen also laufen, und das wird Euch Zeit kosten!«
»Das ist nicht zu ändern. Setzt euch jetzt nieder, und ruht euch aus; ihr sollt vor allen Dingen etwas zu essen haben.«
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