Aber wie ihn herbeibringen? Einen Boten konnten wir ihm nicht schicken, denn wir hatten Niemand als nur die Soldaten bei uns, und von diesen durfte keiner seinen Posten verlassen. Da ging es denn nicht anders, als daß einer von uns fort mußte, um den Pedlar zu benachrichtigen. Ich bot mich an, nach dem Turkey-River zu reiten, wurde aber darauf aufmerksam gemacht, daß die für die Weißen sehr gefährlichen Okananda-Sioux jetzt dort ihr Wesen trieben. Der Pedlar konnte sich getrost zu ihnen wagen, denn die Roten pflegen selten einem Händler etwas zu tun, weil sie sich bei diesen Leuten alles eintauschen können, was sie brauchen; desto mehr aber hatten sich andere Weiße vor ihnen in acht zu nehmen, und wenn ich mich auch nicht gerade fürchtete, so war es mir doch lieb, daß Winnetou sich erbot, mich zu begleiten. Wir konnten wohl abkommen, weil Old Firehand an Sam Hawkens und Harry genug hatte. Sie pflegten ihn, und für Nahrung sorgten die Soldaten, welche abwechselnd auf die Jagd gingen. Wir machten uns also auf den Weg und kamen, da Winnetou die Gegend genau kannte, schon am dritten Tage an den Turkey-River oder Turkey-Creek. Es gibt mehrere kleine Flüsse dieses Namens; der, welchen ich hier meine, ist bekannt wegen der vielen und blutigen Zusammenstöße, welche die Weißen im Laufe der Zeit mit den verschiedenen Stämmen der Sioux dort gehabt haben.
Wie nun den Pedlar finden? Wenn er bei den Indianern war, galt es für uns, außerordentlich vorsichtig zu sein. Es gab aber am Flusse und in der Nähe desselben auch weiße Ansiedler, welche es vor einigen Jahren gewagt hatten, sich da niederzulassen, und so war es also geraten, zunächst einen von ihnen aufzusuchen, um uns bei ihm zu erkundigen. Wir ritten also den Fluß entlang, doch ohne die Spur einer Wohnung zu finden, bis wir gegen Abend endlich ein Roggenfeld erblickten, an welches sich andere Felder schlossen. An einem Bache, welcher sein Wasser in den Fluß ergoß, lag ein aus rohen, starken Baumstämmen zusammengefügtes, ziemlich großes Blockhaus mit einem von einer starken Fenz umgebenen Garten. Seitwärts davon umschloß eine ebensolche Fenz einen freien Raum, auf welchem sich einige Pferde und Kühe befanden. Dorthin ritten wir, stiegen ab, banden unsere Pferde an und wollten nach dem Hause gehen, welches schmale, schießschartenähnliche Fenster besaß. Da sahen wir aus zwei von diesen Fenstern je einen auf uns gerichteten doppelten Gewehrlauf erscheinen, und eine barsche Stimme rief uns zu:
»Halt! Bleibt stehen! Hier ist kein Taubenhaus, wo man ein-und ausfliegen kann wie es einem beliebt. Wer seid Ihr, Weißer, und was wollt Ihr hier?«
»Ich bin ein Deutscher und suche den Pedlar, der sich in dieser Gegend befinden soll,« antwortete ich.
»So seht, wo Ihr ihn findet! Ich habe nichts mit Euch zu tun. Trollt Euch von dannen!«
»Aber, Sir, Ihr werdet doch so vernünftig sein, mir die Auskunft, wenn Ihr sie geben könnt, nicht zu verweigern. Man weist doch nur Gesindel von der Tür.«
»Ist sehr richtig, was Ihr da sagt, und darum weise ich Euch eben fort.«
»Ihr haltet uns also für Gesindel?«
» Yes!«
»Warum?«
»Das ist meine Sache; brauche es Euch eigentlich nicht zu sagen; aber Eure Angabe, daß Ihr ein Deutscher seid, ist jedenfalls eine Lüge.«
»Es ist die Wahrheit.«
» Pshaw! Ein Deutscher getraut sich nicht so weit hierher; es müßte denn Old Firehand sein, der einer ist.«
»Von dem komme ich.«
»Ihr? Hm! Woher denn?«
»Drei Tagesritte weit von hier, wo er sein Lager hat. Vielleicht habt Ihr davon gehört?«
»Ein gewisser Dick Stone war einmal da und hat mir allerdings gesagt, daß er ungefähr so weit zu reiten habe, um zu Old Firehand zu kommen, zu dem er gehörte.«
»Der lebt nicht mehr; er war ein Freund von mir.«
»Mag sein; aber ich darf Euch nicht trauen, denn Ihr habt einen Roten bei Euch, und die gegenwärtigen Zeiten sind nicht danach, daß man Leute dieser Farbe bei sich eintreten läßt.«
»Wenn dieser Indianer zu Euch kommt, so müßt Ihr es als eine Ehre für Euch ansehen, denn er ist Winnetou, der Häuptling der Apachen.«
»Winnetou? Alle Wetter, wenn das wahr wäre! Er mag mir doch einmal sein Gewehr zeigen!«
Winnetou nahm seine Silberbüchse vom Rücken und hielt sie so, daß der Settler sie sehen konnte, da rief dieser:
»Silberne Nägel! Das stimmt. Und Ihr, Weißer, habt zwei Gewehre, ein großes und ein kleines; da komme ich auf eine Idee. Ist das große etwa ein Bärentöter?«
»Ja.«
»Und das kleine ein Henrystutzen?«
»Ja.«
»Und Ihr habt einen Prairienamen, welcher anders lautet als Euer eigentlicher, den Ihr mir gesagt habt?«
»Sehr richtig!«
»Seid Ihr etwa Old Shatterhand, der allerdings ein Deutscher von drüben her sein soll?«
»Der bin ich allerdings.«
»Dann herein, schnell herein, Mesch’schurs! Solche Leute sind mir freilich hochwillkommen. Ihr sollt Alles haben, was Euer Herz begehrt, wenn ich es besitze.«
Die Gewehrläufe verschwanden, und gleich darauf erschien der Settler unter der Tür. Er war ein ziemlich alter, kräftiger und starkknochiger Mann, dem man es beim ersten Blick ansah, daß er mit dem Leben gekämpft hatte, ohne sich werfen zu lassen. Er streckte uns beide Hände entgegen und führte uns in das Innere des Blockhauses, wo sich seine Frau und sein Sohn, ein junger, kräftiger Bursche, befanden. Zwei andere Söhne waren, wie wir erfuhren, im Walde beschäftigt.
Das Innere des Hauses bestand aus einem einzigen Raume. An den Wänden hingen Gewehre und verschiedene Jagdtrophäen. Über dem aus Steinen errichteten einfachen Herde brodelte kochendes Wasser in einem eisernen Kessel; das notwendigste Geschirr stand dabei auf einem Brette. Einige Kisten dienten als Kleiderschrank und Vorratskammern, und an der Decke hing so viel geräuchertes Fleisch, daß die aus fünf Personen bestehende Familie monatelang davon leben konnte. In der vordern Ecke stand ein selbstgezimmerter Tisch mit einigen ebensolchen Stühlen. Wir wurden aufgefordert, uns da niederzusetzen, und erhielten, während der Sohn draußen unsere Pferde besorgte, von dem Settler und seiner Frau ein Abendessen aufgetragen, welches, die Verhältnisse berücksichtigt, nichts zu wünschen übrig ließ. Während des Essens kamen die beiden Söhne aus dem Walde und setzten sich ohne große Umstände bei uns nieder, um tüchtig zuzulangen, ohne sich an der Unterhaltung zu beteiligen, welche ausschließlich ihr Vater mit uns führte.
»Ja, Mesch’schurs,« sagte er, »ihr dürft es mir nicht übel nehmen, daß ich euch etwas rauh angesprochen habe. Man hat hier mit den Roten zu rechnen, besonders mit den Okananda-Sioux, welche erst kürzlich einen Tagesritt von hier ein Blockhaus überfallen haben. Und fast noch weniger ist den Weißen zu trauen, denn hierher kommen nur solche, die sich im Osten nicht mehr sehen lassen dürfen. Darum freut man sich doppelt, wenn man einmal Gentlemen, wie ihr seid, zu sehen bekommt. Also den Pedlar wollt ihr haben? Beabsichtigt ihr ein Geschäft mit ihm?«
»Ja,« antwortete ich, während Winnetou sich nach seiner Gewohnheit schweigsam verhielt.
»Was für eines ist es? Ich frage nicht aus Neugierde, sondern um euch Auskunft zu erteilen.«
»Wir wollen ihm Felle verkaufen.«
»Viel?«
»Ja.«
»Gegen Waren oder Geld?«
»Wo möglich Geld.«
»Da ist er euer Mann, und zwar der einzige, den ihr hier finden könnt. Andere Pedlars tauschen nur; dieser aber hat stets auch Geld oder doch Gold bei sich, weil er auch die Diggins besucht. Er ist ein Kapitalist, sage ich euch, und nicht etwa ein armer Teufel, der seinen ganzen Kram auf dem Rücken herumträgt.«
»Ob auch ehrlich?«
»Hm, ehrlich! Was nennt ihr ehrlich? Ein Pedlar will Geschäfte machen, will verdienen und wird also nicht so dumm sein, sich einen Vorteil entgehen zu lassen. Wer sich von ihm betrügen läßt, ist selber schuld. Dieser heißt Burton; er versteht sein Fach aus dem Fundamente und treibt es so, daß er stets mit vier oder fünf Gehilfen reist.«
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