„Aus Solidarität mit unserem Bruder und Weihbischof Friedrich Maria Rintelen protestieren wir gegen die Verfahrensweise, mit der über den Kopf hinweg ein Koadjutor ernannt worden ist. Dieses Verhalten halten wir für unbrüderlich und vorkonziliar. Aus gemeinsamer Verantwortung für das Kommissariat erwarten wir auch jetzt noch, dass das Volk Gottes, zumindest aber das Presbyterium, bei der Ernennung eines neuen Bischofs gehört wird, zumal dessen Name bis zur Stunde nicht bekannt ist.“ 302
Für diese bis dahin einmalige Protestnote an den Papst und die Bischöfe, gab es zwei Auslöser. Zunächst ging es dem Magdeburger Priesterrat darum, den betreffenden kirchlichen Stellen „zumindest das Befremden zum Ausdruck zu bringen über diese Verfahrensweise.“ 303Zu dieser Zeit wurde das Anliegen, das auch von zahlreichen Gemeinden und Gruppen geteilt wurde 304, durch den noch amtierenden Magdeburger Weihbischof unterstüzt. 305Erst in zweiter Hinsicht wurde letztlich der wegweisende Impuls artikuliert, eine dem Gesit des Konzils entspringende Beteiligung des Volkes Gottes bei der Nominierung eines Nachfolgers einzufordern. Diese Chronologie zeigt, dass es sich keinesfalls um eine klerikale Revolte handelte, sondern um eine legitime Solidarisierung aus dem Geist des Konzils, die erst in zweiter Hinsicht der Forderung nach einer breiteren innerkirchlichen Mitverantwortung verpflichtet war. Auffallend ist, dass die offizielle Protestnote des Magdeburger Priesterrates nur wenige Tage später ebenfalls die konziliare Rückgebundenheit sowie innerkirchliche Kritik am Weihbischof thematisierte. 306
Durch den zufällig auf der Hallenser Versammlung am 19. Juli anwesenden Priester Leonhard Harding wurden die Erklärung und ein Bericht wenige Tage später an die bundesdeutsche Presse übergeben. 307Ein daraufhin am 24. Juli 1969 erscheinender Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung begründete Rintelens Resignation mit dessen Verärgerung über die Ernennung eines Koadjutors über seinen Kopf hinweg. 308Das Paderborner Ordinariat bemühte sich zwar um ein kurzes Dementi. 309Doch die Geheimhaltung war damit endgültig gebrochen. Wenige Tage später informierten die staatlichen Stellen in der DDR den Berliner Erzbischof darüber, dass sie sich nach der Pressemeldung über den Koadjutor in Magdeburg nunmehr außerstande sähen, einer Wiedereinbürgerung des Paderborner Weihbischofs zuzustimmen. 310Damit war die von langer Hand vorbereitete Ernennung von Paul Nordhues zum Nachfolger für Weihbischof Rintelen zunächst an genau dem gescheitert, was Kardinal Bengsch hatte um jeden Preis verhindern wollen: am Einfluss kirchlicher Kreise und einer staatlichen Intervention in die kirchliche Selbstverwaltung.
2.3Phasen ortskirchlicher Mitbestimmung
Sollte die Nachfolgeregelung für Weihbischof Rintelen, weil sie öffentlich diskutiert wurde auch durch eine Wahl der Ortskirche entschieden werden? Diese Frage spiegelt den Konflikt wider, der das Kommissariat Magdeburg in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 sowie zu Beginn des folgenden Jahres dominierte. Diese Zeitspanne lässt sich in drei Phasen unterteilen, mit denen jeweils unterschiedliche Kandidatenvorschläge, Interessenlagen, politische Implikationen und Grade der basiskirchlichen Mitbestimmung verbunden sind.
2.3.1„Stillhalteabkommen“ und hintergründige Diplomatie
Die erste Phase erstreckte sich über einen Zeitraum von vier Monaten und begann mit der Klerusversammlung am 19. Juli 1969 in Halle. Von Anfang an war es das Anliegen der hier versammelten Priester und Laien, nicht nur das Verfahren der geheimen Nachfolgeplanungen zu kritisieren, sondern zugleich Mitbestimmungsrechte anzumelden. 311Dabei ging es nicht um die Einforderung eines bereits kodifizierten Rechtes oder einer dezidiert konziliaren Aussage, sondern um das Äußern einer aufgrund der konziliaren und postkonziliaren Entwicklung als legitim erachteten Bitte. 312Am 3. August klärte Friedrich Maria Rintelen in einem Schreiben an alle Geistlichen des Kommissariates über die bisherigen Ereignisse auf und räumte dem Klerus grundsätzlich ein Vorschlagsrecht für seinen Nachfolger ein. 313Er drängte aber zugleich darauf, die Ernennung des bisher vorgesehenen Koadjutors abzuwarten und im Übrigen jeden Ernannten als rechtmäßigen Bischof und „Gesandten Christi“ 314anzusehen. Schon in den ersten Wochen nach Bekanntwerden der Ablösungspläne kursierten verschiedene Namen - vorrangig Dozenten des Erfurter Philosophisch-Theologischen Studiums 315- als mögliche Nachfolgekandidaten für Weihbischof Rintelen. Auf einer Versammlung protestierender Priester und Laien am 10. August in Nienburg erschien plötzlich Weihbischof Rintelen offensichtlich in dem Bemühen zu einer einvernehmlichen Lösung mit dem „rebellierenden“ Klerus zu gelangen. 316Es gelang ihm dabei einen Kompromiss auszuhandeln: Sollte der bisher vorgesehene Koadjutor das Amt nicht antreten können oder wollen, sicherte Weihbischof Rintelen die Übermittlung von alternativen Kandidatenvorschlägen an Kardinal Jaeger zu. 317Im Gegenzug verlangte er, dass es bis zur endgültigen Klärung dieser Angelegenheit keine öffentlichen Proteste, keine Meinungsbildung und keine erneuten Nominationen geben sollte. 318Die Versammelten willigten in diesen Kompromiss ein. Damit war der Protest vorerst kanalisiert und weitere Aktionen der kirchlichen Basis waren einstweilen sistiert.
Mitte August war jedoch vermutlich durch eine „gezielte Indiskretion aus Berlin“ 319der Name des vorgesehenen Koadjutors Paul Nordhues im Kommissariat Magdeburg bekannt geworden. Zudem schrieb der im Urlaub befindliche Paderborner Erzbischof am 15. August einen Brief an die Priester seines östlichen Diözesansprengels und bemühte sich darin, die aufgebrachten Gemeinden und Priester zu beruhigen. 320Dieser Brief und der durchgesickerte Name des Koadjutors veranlassten Adolf Brockhoff zu einem Text mit der zunächst unscheinbaren Überschrift „Bemerkungen zum Kardinalsbrief.“ 321Diese zweiseitige Abhandlung spiegelt jedoch in zynischer Form die innere und äußere Zerrissenheit der durch die innerdeutsche Grenze geteilten Paderborner Diözesananteile wider. 322Die interne Absprache zur Ernennung eines Koadjutors trüge nicht nur „geheime und patriarchalistische“ 323Züge. Brockhoff bezweifelte auch, dass „eine kleine Gruppe von Bischofsmachern auch nur entfernt in der Lage ist, die vielschichtige Situation, in die ein neuer Bischof hineingestellt wird, zu kennen, geschweige denn sie zu berücksichtigen.“ 324In provokanter Form forderte er schließlich zur Verweigerung dieser anachronistischen Praxis auf, bei der es „dem Zufall“ überlassen bliebe, wer die „Treppe kirchlicher Karriere nach oben stolpert.“ 325Vielmehr sei es die Aufgabe aller Christen, auf den Geist Gottes zu vertrauen, der „der ganzen Kirche mitgeteilt ist“ und „dessen Weisungen aus dem Wechselspiel aller Charismen zu erkennen sind.“ 326Statt einen geheim ernannten westdeutschen Bischof in die Kirche der DDR zu schicken, optierte er offen für eine jurisdiktionelle Trennung 327von Paderborn und Magdeburg sowie eine Kandidatenfindung im Geist des Konzils. 328Kardinal Jaeger kommentierte diese Äußerungen nicht. Allerdings vertrat er später immer wieder die Position, dass der entscheidende Grund für die Probleme die staatlich gewirkte Isolation gewesen sei. 329
Bis zum Ende der ersten Phase wurde immer klarer, dass die Ernennung des vorgesehenen Kandidaten Paul Nordhues wenig Aussicht auf Erfolg haben würde. Nicht nur die Hallenser Protestgruppe wandte sich in einem Brief an Weihbischof Nordhues, in dem sie die eindringliche Bitte formulierte, das Amt des Koadjutors nicht anzunehmen und von der gegebenen Zustimmung zurückzutreten. 330Die kirchenpolitische Situation ließ die Wiedereinbürgerung von Paul Nordhues schnell zu einem Politikum ersten Grades avancieren. Nach den plötzlich aufgeflammten Protesten in Halle und ihrer Verbreitung in den westdeutschen Medien hatte Rom den gesamten Vorgang vom Staatssekretariat stoppen lassen. 331Während die vatikanische Sistierung kirchenintern bekannt war, erlangte von der staatlichen Verweigerung der Einreisegenehmigung offensichtlich nur ein enger Kreis um Kardinal Bengsch, Nuntius Bafile und Kardinal Jaeger Kenntnis. 332Nach einem Bericht der Paderborner Kirchenzeitung „Der Dom“ erkannte die DDR-Regierung den Trumpf, den sie durch den Wiedereinbürgerungsantrag in Händen hielt. Sie eröffnete der katholischen Kirche, dass eine Wiedereinbürgerung an die Zahlung von einer Million DM sowie an ein offizielles Antragsschreiben des Heiligen Stuhls geknüpft sei. 333Diese staatspolitische Erpressung fiel in eine Zeit politischer Paradigmenwechsel unter der Regierung Willy Brandt. 334Eine Zustimmung zur geforderten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch den Vatikan hätte die Kirche nicht nur zum unfreiwilligen „Vorreiter der Brandt-Scheelschen Ostpolitik“ 335gemacht. Sie hätte ohne zwingende Not eine international höchst brisante Frage präsumiert. Deshalb hielt der Paderborner Erzbischof den Weg, dass sich der Heilige Stuhl direkt an die „Pankower Regierung“ wendet, um die Einreise für Paul Nordhues zu erbitten, für ungangbar: „Ein solches Schreiben würde ein Politikum allererster Ordnung darstellen.“ 336Jaeger erläuterte in einem Schreiben an den Nuntius in Bonn: ein „solcher Brief aus Rom an die Regierung in der DDR würde von der derzeitigen Bonner Regierung als Konkordatsverletzung angesehen und von der Weltöffentlichkeit auch gewertet werden als die Anerkennung zweier deutscher Staaten durch Rom.“ 337Delikaterweise fügte der Kardinal hinzu, dass nach der bevorstehenden Bundestagswahl am 28.9.1969 und einer möglichen SPD-FDP Regierung ein solcher Brief „nicht mehr so sehr schockieren würde, wie das bei der derzeitigen CDU-Regierung der Fall sein würde.“ 338Allerdings könnte die SPD dann die „Kirche vor ihren politischen Wagen spannen“ 339und als Legitimation ihrer Ostpolitik instrumentalisieren. Abschließend konstatierte Jaeger die nach seiner Meinung mit der Magdeburger Nachfolgeregelung und einer völkerrechtlichen Anerkennung verbundenen Dimensionen: „Ganz zweifellos würde der Kirche dann ein solcher Schritt von weitesten Kreisen des deutschen Volkes angelastet werden als Preisgabe von 17 Millionen deutscher Menschen an eine kommunistische, nicht frei gewählte Staatsform. Ich sehe in dem Dilemma, in das die Nachfolgefrage von Exzellenz Rintelen hineinmanövriert worden ist, z. Zt. keine andere Lösung, als das Weihbischof Rintelen, der durchaus noch arbeitsfähig ist, noch für einige Zeit in Magdeburg belassen wird…“ 340
Читать дальше