Stefan Kiechle - Warum leiden?

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Warum lässt ein gütiger und allmächtiger Gott zu, dass Menschen leiden? Können wir Leiden «bewältigen»?
Und falls ja: «wie»? Warum werden Menschen böse? Wann ist ein Mensch schuldig? Wie kann man Schuld überwinden, von ihr frei werden? Kann der Blick auf das Kreuz Jesu helfen? Wie werden wir ganz und heil und frei? Erfahren die Opfer der Geschichte, all die unschuldig Ermordeten, am Ende Gerechtigkeit?
Um diese und ähnliche Fragen geht es in diesem Buch. Es will helfen, sich dem schwierigen Thema des Leidens zu nähern und mit ihm im Glauben umzugehen.
zur Reihe:
"Ignatianische Impulse", herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Martin Müller SJ, Band 47

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Stefan Kiechle

Warum leiden?

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ

und Martin Müller SJ

Band 47

Ignatianische Impulsegründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulsegreifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulsewerden begleitet durch den Jesuiten-orden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Stefan Kiechle

Warum leiden?

картинка 1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.deUmschlag: Roberto Meraner Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe ISBN 978-3-429-03353-8 (print)

978-3-429-03354-5 (pdf)

978-3-429-06005-3 (epub)

Inhalt

1. Das Problem: Die Welt ist gut, aber verdorben

Das Leid wahrnehmen

Gut geschaffen auf das Ziel hin

Von der Freiheit des Menschen

Eine Unterscheidung: das moralisch Böse – das physisch Böse

2. Täter des Bösen

Von der Macht des Bösen und der Erbsünde

Täter, weil Opfer?

Sünde erkennen und bereuen

Vergebung erfahren und weiterschenken

3. Böses bekämpfen

Sich vom Bösen nicht bestimmen lassen

Entschieden für das Gute

Das Bessere wählen

Kämpfen gegen Böses

4. Opfer des Bösen

Sühne? – Vom Sinn des Kreuzes

Unsere Kreuze

Füreinander leiden

Vom Missbrauch des Kreuzes

Exkurs: Ignatius und das Kreuz

5. Leben in verdorbener und zugleich erlöster Welt

Über die Theodizee

Mühseliges Arbeiten

Trost und Trostlosigkeit

Die Opfer der Geschichte? – Gegen die Vertröstung auf das Diesseits

Literatur

Anmerkungen

1. Das Problem: Die Welt ist gut, aber verdorben

Ein alkoholisierter, in der Gegend als Raser bekannter Autofahrer prallt in einem riskanten Überholmanöver frontal auf ein entgegenkommendes Motorrad, der 19-jährige Fahrer stirbt. Ein Tsunami walzt hunderte Dörfer nieder, die Wassergewalt ertränkt Zehntausende. Ein Priester missbraucht über viele Jahre Ministranten; Gerüchte kursieren, aber man schaut weg, schweigt. In Ruanda ermorden einander in einem unfassbaren Blutrausch zehntausende Menschen, oft unter Nachbarn oder innerhalb der Familie. In den Slums von Cali vegetieren Hunderttausende dahin, ohne sauberes Wasser, ohne medizinische Versorgung, ohne Arbeit und Einkommen, beherrscht von Drogen und Gewalt, ausgenutzt von kriminellen Banden. Eine junge Mutter, die gerade ihr viertes Kind erwartet, bekommt Leukämie und stirbt qualvoll. Eine Militärdiktatur lässt Dissidenten über dem Meer lebend aus dem Flugzeug werfen. Eine schwer schizophrene Frau lebt über Jahrzehnte in der Klinik, schließlich nimmt sie sich das Leben. Im Bürgerkrieg im Südsudan werden tausende Frauen grausam vergewaltigt. Ein Drogenkartell in Kolumbien richtet Kinder als Mörder ab. Eine vereinsamte alte Frau stirbt allein in ihrer Wohnung; durch den Geruch alarmiert, findet man Monate später die Leiche. Ein Bankmanager, der sich immer als moralisch vorbildlich präsentierte, muss tausende Mitarbeiter entlassen; später wird ruchbar, dass er Millionen an Boni an der Steuer vorbei ins Ausland geschleust hat. Eine drogenkranke Mutter vernachlässigt ihre Kinder; diese versagen in der Schule und bleiben ihr Leben lang beschädigt.

Warum das Leiden? Warum lässt ein gütiger und allmächtiger Gott zu, dass Menschen Unsägliches leiden? Können wir Leiden »bewältigen«? Wie geht das, Leiden zu bewältigen? Wie das Leiden im Glauben deuten, mit ihm umgehen, es gar »annehmen«? Warum werden Menschen böse? Wann ist ein Mensch schuldig? Wie kann man Schuld überwinden, von ihr frei werden? Was tut Gott dafür? Kann der Blick auf das Kreuz Jesu helfen? Ist die Welt erlöst? Wie wird sie erlöst? Wie werden wir ganz und heil und frei? Erfahren die Opfer der Geschichte, all die unschuldig Ermordeten, nach dem Ende Gerechtigkeit?

Um diese und ähnliche Fragen geht es in diesem Buch. Es will helfen, sich dem schwierigen Thema des Leidens zu nähern und mit ihm im Glauben umzugehen. Das Sprachproblem springt sofort ins Auge: Wie angemessen über diese so intimen und heiklen Erfahrungen sprechen? Keine begriffliche Aussage wird der Komplexität und Tiefe der Phänomene gerecht. Vor dem Leiden versagt die Sprache. Missverständnisse sind vorprogrammiert. Gegen jeden Versuch einer »positiven« Aussage kann man sofort abgründige Erfahrungen ins Feld führen, die das gerade gewagte Wort absurd erscheinen lassen, es widerlegen, ersticken. Mit paradoxen Formulierungen – ganz zu vermeiden sind sie nicht – löst man das Problem nur scheinbar, denn Widersprüche sagen wenig, die Sprache beginnt, sich selbst aufzugeben. Selbstverständlich steht hinter dem Sprachproblem ein Denkproblem: Unser Verstehen und Begreifen stößt an Grenzen, es erweist sich immer wieder als hilflos, ohnmächtig. Ich möchte daher zurückhaltend formulieren, mich dem Thema eher annähern, es umkreisen, manches andeuten, auf Denkwege verweisen, die man lesend dann selbst zu gehen hat. Oft geht es weniger um Gedanken, mehr um Gefühle, die ich vorsichtig anspreche. Manche Frage, die sich aufdrängt, wird erst später wieder aufgegriffen, manche bleibt unbeantwortet. Ich bitte um Geduld, wenn einiges im ersten Aussprechen Widerstand erregt und erst nach einem mühsamen Denkweg fassbarer wird. Ich bitte um Nachsicht, wenn trotz aller Mühe manches missverständlich oder allzu offen oder strittig bleibt. Alle Beispiele sind aus dem realen Leben, meist anonymisiert.

Einige Begriffe möchte ich vorläufig zu bestimmen versuchen:

- Ein Übel ist etwas, das aus sich eine schädliche Wirkung auf den Menschen hat und ihn leiden lässt. »Übel« ist ein subjektiver Begriff, weil er sich auf das empfindende Subjekt bezieht, und er ist seinsmäßig (ontologisch), weil er das Negative der Sache selbst meint.

- Böses ist der von jemandem verursachte, zugefügte Schaden, bei dem es Täter und Opfer gibt. Böses soll nicht sein. »Böses« ist ein moralischer (ethischer) Begriff.

- Alles Böse ist Sünde , insofern es der schöpfungsgemäßen Bestimmung zum Guten widerspricht und so den es verursachenden Menschen in eine Schuld gegenüber Gott und den Menschen führt. »Sünde« meint Böses in seiner theologischen Qualität.

- Leid(en) ist die im Menschen durch Böses (Sünde) oder Übel erzeugte schmerzhafte Empfindung.

- Schmerz ist das seelische und/oder körperliche Gefühl, das durch das Leiden erzeugt wird.

- Schuld ist zum einen (als lat. debitum ) der »zu be-zahlende« Schaden, den die böse Tat (die Sünde) erzeugt; zum anderen (als lat. culpa ) ist sie ein Schaden, der, weil er nicht mehr bezahlt werden kann, der (ohne Gegenleistung gewährten, also gnadenhaften) Vergebung bedarf. Nur wenn die Schuld bezahlt oder vergeben ist, kann das Böse als überwunden und vernichtet gesehen werden.

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