„Who, before experiment, could discern nitric acid in nitrogen and oxygen? […] Yet it is no extravagant hope that the day will arrive when we shall not only know the separate operations of agents, but their mutual modification in the product which emerges from their union. When an agent A has the value x , and another agent, B, has the value y , the resultant of A+B must be x + y . But this is only true when no other factor interferes. In truth, some other factor almost always does interfere, though it is generally thrown out of the calculation, either because it is arbitrarily set aside, being irrelevant to the purpose in view, or too small in amount to disturb our „approximation“. So that, strictly speaking, the real effect is always an emergent, since we never know with absolute accuracy enough of all the factors to trace their operation. This, which is true of reals, is no longer true of ideal constructions, wherein the factors are accurately defined.“ 60
Aus dieser Betrachtung Lewes’ folgt vielmehr, dass – entgegen dem Verständnis Stephans – der Begriff einer resultierenden Wirkung in allen anderen Fällen als in denen einer ‚ideal construction‘ als relativ anzusehen ist. Man wird, Lewes zufolge, nämlich in der Realität (in ‚reals‘) niemals alle Faktoren kennen, die außer den bereits bekannten Faktoren noch an einer Reaktion beteiligt sind, so dass die eigentliche Wirkung letztendlich immer eine emergente ist. Somit dürfte der Begriff einer resultierenden Wirkung – dieser Passage zufolge – strenggenommen auf ‚reals‘ gar nicht angewandt werden. Vielmehr muss man nach Lewes davon ausgehen, dass der Begriff einer emergenten Wirkung – gleichsam als epistemisches caveat – in den meisten Situationen des Zusammenwirkens mehrerer Ursachen anzuwenden ist, genauer: in allen Situationen mit Ausnahme all solcher, die ‚ideal constructions‘ zuzurechnen sind. Denn nur in ‚ideal constructions‘ sind alle Faktoren präzise definiert. Zum Beispiel der chemischen Verbindungen, die Lewes für mathematisch darstellbar hält, ist daher folgendes zu sagen: Solange man eine chemische Verbindung als eine ‚ideal construction‘, in der alle Faktoren bis ins letzte bekannt sind, durchdenkt, lässt sie sich als resultierende Wirkung beschreiben, wenn dies auch nicht in mathematischen, sondern eher in chemischen Formeln möglich sein dürfte. Sobald man aber versucht, eine chemische Verbindung aus dem realen Bereich (‚reals‘) in einer Formel darzustellen, wird man scheitern. Denn auch hier gilt, dass man sich bei ‚reals‘ nie sicher sein kann, alle Faktoren zu kennen, daher ist jede Wirkung in diesem Bereich eine emergente Wirkung. Die chemische Praxis bestätigt dies: Es gilt als unmöglich, eine ideale Versuchsanordnung zu konstruieren, die das Einhergehen bzw. die Einflussnahme anderer Faktoren vollständig ausschließt. Eine chemische Versuchsanordnung lässt sich höchstens weitestgehend gegen solche Faktoren abschirmen, die das Ergebnis verfälschen oder beeinflussen könnten. Somit lässt sich, selbst wenn ein Versuch den erwarteten Ausgang nimmt, nicht mit Sicherheit feststellen, ob nicht doch auch andere (unbekannte) Faktoren beteiligt waren, die den Versuchsausgang – wenn auch nicht nachhaltig – beeinflusst haben. Also ist, entgegen dem Verständnis Stephans, zu sagen, dass sich chemische Verbindungen, die – wie in Lewes’ Beispiel des Wassers – dem Bereich der ‚reals‘ zuzurechnen sind, in der Lewes’schen Konzeption auch in Zukunft nicht als genuine resultierende Wirkungen werden herausstellen können.
23Vgl. Stephan (1999b). S. 78. Stephan betont außerdem, dass Mill nur den Begriff ‚heteropathisch‘ verwendet. Der Begriff ‚homopathisch‘ hingegen stamme aus der Sekundärliteratur [Vgl. Stephan (1999b). S. 78. Fußnote 6.].
24Vgl. Mill (1843). S. 370-371 und Stephan (1999b). S. 78.
25Vgl. Mill (1843). S. 370 und Stephan (1999b). S. 78.
26Mill (1843). S. 371. Hervorhebung durch den Verfasser.
27Mill (1843). S. 373.
28Mill (1843). S. 373.
29Vgl. Mill (1843). S. 374 und Stephan (1999b). S. 83.
30Mill (1843). S. 371.
31Vgl. Mill (1843). S. 373-376 und Stephan (1999b). S. 80-81.
32Vgl. Mill (1843). S. 373-376 und Stephan (1999b). S. 82.
33Mill (1843). S. 376. Hervorhebung durch den Verfasser.
34Vgl. Stephan (1999b). S. 82-83 und Mill (1843). S. 373.
35Mill (1843). S. 484. Hervorhebungen durch den Verfasser.
36Vgl. Stephan (1999b). S. 87-88.
37Vgl. Stephan (1999b). S. 87-88 und Mill (1843). S. 464-469.
38Vgl. Mill (1843). S. 471 und Stephan (1999b). S. 88.
39Vgl. Mill (1843). S. 466-467.
40Vgl. Mill (1843). S. 466-467.
41Mill (1843). S. 471.
42Mill (1843). S. 472.
43Vgl. Mill (1843). S. 484 und Stephan (1999b). S. 89.
44Vgl. Mill (1843). S. 484-485 und Stephan (1999b). S. 89-91.
45Mill (1843). S. 485. Hervorhebungen durch den Verfasser.
46Vgl. Stephan (1999b). S. 90.
47Vgl. Stephan (1999b). S. 91.
48Stephan (1999b). S. 91.
49Vgl. Stephan (1999b). S. 91.
50Vgl. Broad (1925). S. 65, S. 68 und S. 77-81, Stephan (1999b). S. 97-98 sowie Abschnitt 4.3.
51Bain, Alexander (1882). John Stuart Mill . A Criticism with Personal Recollections . Reprint. Key Texts – Classic Studies in the History of Ideas. Bristol: Thoemmes Press 1993. S. 76. Fußnote. Vgl. auch Stephan (1999b). S. 86. Fußnote 19.
52Vgl. Stephan (1999b). S. 85-86.
53Lewes (1875). S. 368. Hervorhebung (kursiv) durch den Verfasser.
54Vgl. Stephan (1999b). S. 86.
55Lewes (1875). S. 369.
56Lewes (1875). S. 369.
57Lewes (1875). S. 369-370.
58Vgl. Stephan (1999b). S. 87 und Stephan, Achim (1992). „Emergence – A Systematic View on its Historical Facets“ in: Ansgar Beckermann/Hans Flohr/Jaegwon Kim. Emergence or Reduction? – Essays on the Prospects of Nonreductive Physicalism . Berlin/New York: Walter de Gruyter. S. 28-29.
59Vgl. Stephan (1999b). S. 87 und Stephan (1992). S. 28-29.
60Lewes (1875). S. 370-371.
4 Die Britischen Emergentisten
Mills Unterscheidungen sowie Lewes’ begriffliche Neuerung waren von großem Einfluss auf die Entwicklung emergentistischer Positionen im frühen 20. Jahrhundert und bildeten gewissermaßen ihr Fundament. Das wissenschaftliche Klima, in dem der Britische Emergentismus entstand, ist dem heutigen nicht ganz unähnlich. So, wie heutzutage in der geistesphilosophischen Diskussion emergentistische Überlegungen als eine theoretische Alternative im Spannungsfeld zwischen physikalistischen und dualistischen Theorien des Geistes wieder mehr Beachtung finden, nahmen auch jene Positionen, welche unter dem Begriff ‚Britischer Emergentismus‘ bekannt sind, ihren Ausgang aus der Konkurrenz zweier metaphysischer Standpunkte, dem Mechanismus und dem Vitalismus . Wie Stephan schreibt, hatte die – schon zweihundert Jahre zuvor geführte – Debatte zwischen Mechanisten und Vitalisten vom Ende des 19. bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts hinein eine Neuauflage erfahren. Die beiden Positionen lassen sich vor allem darin unterscheiden, dass die Mechanisten auch das Verhalten von Lebewesen für vollständig mechanisch beschreibbar halten, während die Vitalisten glauben, dass es der Annahme eines irreduziblen nicht-physischen Faktor bedarf, der den Lebewesen ihre Lebendigkeit verleiht. 61Beide Konzepte weisen jedoch Schwierigkeiten auf: So gelingt es mechanistischen Theorien nicht, vitale und mentale Vorgänge angemessen zu erklären. Diese können nämlich nicht ausschließlich auf die physiko-chemischen Eigen- schaften der Bestandteile eines Organismus und deren Anordnung zurückgeführt werden. Auch die Annahme einer weiteren nicht-physischen Substanz und der daraus folgende substanzdualistische Ansatz der Vitalisten ist problematisch, da hierdurch das Prinzip der kausalen Abgeschlossenheit des physischen Bereichs verletzt wird. Als Reaktion auf diese Probleme erschienen in den frühen 1920er Jahren in kurzer zeitlicher Abfolge die Hauptwerke des Britischen Emergentismus: Samuel Alexanders „Space, Time and Deity“ (1922), Conwy Lloyd Morgans „Emergent Evolution“ (1925) und Charles Dunbar Broads „The Mind and its Place in Nature“ (1925). Die Britischen Emergentisten lehnten dabei den Substanzdualismus der Vitalisten ab, waren jedoch zugleich der Ansicht, dass sich nicht alle vitalen und mentalen Eigenschaften eines Organismus auf das Zusammenwirken der Eigenschaften seiner Bestandteile zurückführen lassen. 62
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