Nun zur konkreten Spielsituation: Es begab sich auf einer äußerst beliebten Anlage im Norden unserer Republik. Eine Spielgruppe folgte dicht auf die andere. Ich befinde mich mit meinen beiden Spielpartnerinnen mitten im Verkehr.
Wir sind gerade bei Loch Nummer 6 und versuchen einzulochen. Da sehen wir aus den Augenwinkeln zwei verwegene Gestalten von Bahn 5 kommend konspirativ an uns vorbeihuschen, direkten Weg zu Abschlag Nummer 7 einschlagend. Wir spielen Bahn 6 zu Ende und machen uns dann ebenfalls auf den Weg zu Abschlag Nummer 7.
Dort eingetroffen begrüßen uns die forschen Kollegen mit einem fröhlichen: „Wir haben uns mal eben vorgedrängelt!“, verbunden mit einem etwas verblödetem Grinsen. Statt dem offenbar erwarteten: „Na das macht doch nichts, Sie sind ja nur zu zweit, spielen Sie ruhig vor“, bekamen sie aber zur Antwort: „Ja, das sehen wir.“
Nun kommt Kollege 1 etwas ins Stammeln: „Ja, wir dachten nur, die Bahn vor Ihnen wäre frei, den Viererflight hatten wir gar nicht gesehen.“ Kollege 2 hingegen ist der Meinung, unverschämt kommt durch: „Wir dachten, sie gehen nur spazieren, das sah alles so langsam aus.“
Nun befanden wir uns seinerzeit noch ganz am Anfang unserer „Golfkarriere“ und waren noch nicht mit der für solche Situationen erforderlichen Coolness ausgestattet. Die richtige Antwort wäre natürlich gewesen: „Ja, und nun sehen Sie, dass es nicht so ist. Würden Sie sich daher bitte wieder hinten anstellen.“
Stattdessen gaben wir halbwegs bei: „Tja, da haben Sie sich wohl geirrt. Aber wenn wir Sie jetzt nicht durchspielen lassen würden, fühlten wir uns ständig unter Druck gesetzt und würden womöglich unser eigenes Spiel vermasseln. Dann setzen lieber wir Sie unter Druck – spielen Sie eben vor.“
Und schon legten sie wieder forsch los – auf einem Par3, auf dessen Grün der Vorflight noch am Putten war! Dies führte unvermeidlich zu einer Beinahe-Kollision der heran fliegenden Bälle mit den puttenden Sportsfreunden und zu einer Komplett-Kollision der beiden Flights mit den augenscheinlich höchst unterschiedlichen Spielauffassungen. Den Inhalt der verbalen Auseinandersetzung konnten wir auf die Entfernung leider nicht im Detail verfolgen.
In der Konsequenz wurden die forschen Gesellen allerdings nicht noch ein weiteres Mal vorgelassen, sondern verzweigten lamentierend querfeldein in die Büsche und waren von da an nimmer mehr gesehen.
Schade. Der Fortschritt beim Etiketteverhalten hält nicht immer ganz Schritt mit dem Spielfortschritt. Im Gegenteil: Fortgeschrittene Spieler glauben häufig, sich aufgrund ihrer technischen Fähigkeiten mehr gegenüber den Anfängern herausnehmen zu können. Da haben sie etwas missverstanden!
Wie gesagt: Etikette ist vor allem das, was man nicht tut.
Ein weiteres einschlägiges Erlebnis zum Thema „Durchspielen lassen“ hatte ich im Rahmen eines Anfängerturniers (Vorgabeklassen 37-54) in unserem eigenen Heimatclub.
Die 3er Flights waren von der Spielleitung so zusammengestellt worden, dass sich in jedem Flight je mindestens ein Spieler mit Vorgabe 54 und mit Vorgabe < 45 befand. Damit sollte ein in etwa gleichmäßiges Spieltempo gewährleistet werden, bei dem Situationen wie die nun geschilderte möglichst nicht eintreten sollten.
Bis zu Bahn 4 lief alles glatt. Bahn 4 ist bei uns ein sogenanntes Dogleg, bei dem die Bahn nach etwa halber Länge abknickt, so dass für den gewöhnlichen Wald- und Wiesenspieler ein Richtungswechsel auf dem Weg zum Loch vorzunehmen ist (besonders gewiefte Kameraden versuchen hingegen, über die rechts befindliche Hecke und das dahinter gelegene Rough [hohes, schwer zu bespielendes Grass oder Unkraut] abzukürzen).
Wir mussten zunächst einen Moment warten, bis der Vorflight hinter der Hecke verschwunden war (nicht mehr sichtbar, aber immer noch da) und konnten uns sodann an unsere Abschläge wagen, die aufgrund unserer noch überschaubaren Fähigkeiten im Bestfall nicht weiter als in den Bereich der Hecke gelangen würden. Und siehe da – alle drei Abschläge landeten kurz vor oder neben eben dieser Hecke. Wir machten uns auf den Weg zu unseren Bällen.
Just in diesem Moment erschallen wilde Rufe von hinten (!), verbunden mit ebenso wilden Gesten. Wir schauen uns verdutzt an. Was mag der „Flightführer“ unserer soeben am Abschlag eingetroffenen Nachfolger von uns wollen. Schließlich hören wir es laut und deutlich: „Können wir mit Euch abschlagen?“
He? Mit uns abschlagen? Die maximale Flightgröße liegt nach wie vor bei 4. Was soll es da bringen, mit uns abzuschlagen? Endlich verstand ich: „Wollt Ihr durchspielen oder was?“
Wie gesagt, es läuft normalerweise anders herum: Wenn der vordere Flight feststellt, dass er den Anschluss verpasst und die Nachfolger schneller sind, fordert er diese zum Durchspielen auf. Nicht umgekehrt. Aber was soll’s. Wir kommen nicht weiter, die kommen nicht weiter. Nur, wenn wir das Durchspielen verweigern, setzen wir uns womöglich im weiteren Verlauf selbst unter Druck, weil wir immer die Drängler im Nacken verspüren. Also lautete die Antwort auch in diesem Fall: „Na, wenn Ihr meint – dann legt mal los!“
Der „Flightführer“ legt los und macht einen ganz passablen Abschlag. Mitspieler A versemmelt seinen Abschlag (viel zu kurz), Mitspielerin B versemmelt ihren Abschlag links ins Rough. Sie benötigt drei weitere Schläge um wieder aufs Fairway in den Bereich der Hecke zu gelangen. Unkraut und Erdreich werden dabei großzügig verteilt. Hörbarer Kommentar meiner Flightpartnerin: „Zügig Durchspielen geht anders!“
Nach einer gefühlten viertel Stunde können auch wir unser Spiel fortsetzen. Sofort laufen wir auf den Bälle suchenden Vorflight (ehemals Folgeflight) auf. Alle drei Partner dieses Flights werden Bahn 4 streichen müssen (sie verfehlen die für einen Punktgewinn erforderliche maximale Schlaganzahl).
Später traf ich Mitspielerin B auf dem Clubparkplatz. Sie erklärte Folgendes: „Wir wollten gar nicht überholen, aber D. wird immer so nervös, wenn er warten muss. Er hat Euch gleich angerufen, ohne uns vorher zu fragen!“
Das wird ja immer schöner. D. wird immer nervös, wenn er warten muss. Hat er sich da evtl. die falsche Sportart ausgesucht? Herrschaften, wir spielen Golf doch wohl zum entspannen. Nicht, um unseren Durchsetzungskampf auf direktem Wege aus dem Berufsalltag, mit kleinem Schlenker über die linke Spur der Autobahn (lichthupend versteht sich), auf Wald, Flur und Biotope unserer gepflegten Golfanlagen zu verlegen?
Geht’s noch? Durch seine, nennen wir es Ungeduld, hat D. nicht nur seinen eigenen Flightpartnern die Runde versaut (keiner von ihnen konnte sein HCP in diesem Turnier verbessern), sondern – und das ist noch viel schlimmer – die anfänglich so harmonische und beschwingte Stimmung auch in unserem Flight mit einem leichten Mollton versehen.
Ich war genervt und habe überlegt, wie man D. den Kopf waschen bzw. erzieherisch auf ihn einwirken könnte. Ich entschied mich aber dann doch gegen eine direkte Konfrontation, postete mein Erlebnis lediglich in einem einschlägigen Forum und bat unsere Sekretärin, im nächsten Turnier bitte nicht mit D. spielen zu müssen. Das war verkehrt!
Bei meinem nächsten Besuch auf der Driving Range traf ich Mitspieler A aus dem Nach- und später Vorflight aus dem vorangegangenen Turnier. „Na, hast Du die Runde mit unserem Superüberholer gut verkraftet?“, fragte ich ihn. „Ja, inzwischen schon – aber so etwas machen wir nie wieder!“, antwortete er.
„Sag einmal, wie heißt Du noch gleich?“. „D.!“ lautete seine verblüffende Antwort. „Was, Du bist D.?“, fragte ich entsetzt. „Ich habe soeben unsere Sekretärin gebeten, nie mehr mit Dir spielen zu müssen, weil ich Dich für Mr. Superüberholer hielt. So wurde dieser mir nämlich von Mitspielerin B vorgestellt!“
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