Diese Breite der Erfahrung, der Interessen, aber auch das Herzblut, das darin steckt, machen dieses Buch von Bruno Scheidegger so wichtig: Es ist gesättigt von Erfahrung und geht deswegen über alle reduktionistischen Handlungsmodelle hinaus, die uns bisher in der Umweltbildung zur Verfügung standen. Es leistet aber noch etwas: Es zeigt klar, dass Umweltbildung kein Sonderfall ist, sondern sich einschreibt in die besten gegenwärtigen Bemühungen, Bildung darauf auszurichten, dass wir die Herausforderung »nachhaltige Entwicklung« konstruktiv meistern können.
Dr. Rolf Jucker, Geschäftsleiter SILVIVA – Lernen in und mit der Natur
Ohne das hartnäckige Nachfragen, die Rückmeldungen und Diskussionen aus meinem beruflichen und privaten Umfeld wäre diese Publikation nicht entstanden. Am Anfang standen die fragenden Blicke und das teilweise Unverständnis der Umweltingenieure und Umweltingenieurinnen des Studiengangs UI 2003, die mich zur Entwicklung des Brückenmodells animierten. Danach folgten unzählige spannende Diskussionen mit engagierten Menschen aus dem Umfeld der Stiftung Umweltbildung Schweiz und mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Zentrum Umweltbildung am Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen in Wädenswil. Ihnen allen danke ich für ihre kleinen und großen Beiträge zum Buch. Mein ganz besonderer Dank geht jedoch an Sandra Wilhelm für ihre langjährige unermüdliche Unterstützung sowie an Esther Boder und Jürg Minsch, die mich in der Schlussphase kritisch und ermunternd begleitet haben.
Bruno Scheidegger, im Frühjahr 2017
♦ Alles Einfache ist theoretisch falsch,
alles Komplizierte ist praktisch unbrauchbar. ♦
Paul Valéry
Umweltbildung ist eine komplexe Sache. Bereits im Wort selbst zeigt sich eine grundsätzliche Schwierigkeit, die sich plakativ zuspitzen lässt: Die Lebensbedingungen auf der Erde werden sich nicht verbessern, solange jeder nur seine Umwelt bilden will, nicht aber sich selbst. Selbstverständlich geht es der Umweltbildung in keiner Weise darum, die Umwelt zu bilden, sondern wie bei jeder Bildung geht es um die Entwicklung von Menschen. Genauer gesagt, um Selbstentwicklung. In ihrem Positionspapier definiert die Fachkonferenz Umweltbildung (2014, S. 5): »Umweltbildung ist der Prozess und das Ergebnis, wenn Menschen bewusst und unbewusst Kompetenzen entwickeln, mit denen sie die Anforderungen des Lebens selbstbestimmt und als Teil einer Gemeinschaft meistern und dabei Mitverantwortung übernehmen für ihre soziale, kulturelle (durch den Menschen gestaltete) und natürliche Umwelt. Umweltbildung fokussiert auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.« Die Definition enthält zwei Prämissen für die vorliegende Publikation, das Bildungsverständnis und das generelle Ziel von Umweltbildung.
Bildung bezeichnet den individuellen Prozess »sich bilden« und das Persönlichkeitsmerkmal »gebildet sein«. Bildung wird als teils bewusster, teils unbewusster Lernprozess verstanden, der zu Selbstbestimmung, Verantwortung und Teilhabe, kurz zum mündigen Menschen führt. In den Worten des Philosophen Peter Bieri (2005): »Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen. […] [B]ilden kann sich jeder nur selbst.« Dieses Bildungsverständnis geht davon aus, dass die Lernenden als mündig und selbstverantwortlich respektiert werden. Klar von Bildung zu unterscheiden ist das Tätigkeitsfeld der Umweltbildner und Umweltbildnerinnen, nämlich von außen an die Lernenden herangetragene Bildungsangebote. Die Angebote ermöglichen Bildung, produzieren sie aber nicht. Die Steuerungsmöglichkeiten für Lehrende bleiben stets indirekt.
Das generelle Ziel von Umweltbildung ist eine erfolgreiche Gesellschaft, in der mündige Menschen zusammenleben und die großen Aufgaben Friede, Erhalt der natürlichen Grundlagen und angemessener Wohlstand für alle gemeinsam und zukunftssicher bewältigen. Für ein solches »gutes Leben« innerhalb der Tragfähigkeit der natürlichen Ökosysteme orientiert sich die Umweltbildung am Leitbild und normativen Rahmen der starken Nachhaltigkeit (Fachkonferenz Umweltbildung, 2014, S. 6). Nachhaltige Entwicklung jedoch ist ein dynamisches Konzept mit teils konkurrierenden Zielsetzungen. Umsetzbare Bildungsziele müssen für jede Entwicklungsaufgabe im Spannungsfeld zwischen individuellen und gesellschaftlichen sowie ökonomischen und ökologischen Interessen stets neu ausgehandelt werden. In der heutigen Zeit, in den demokratischen Gesellschaften des Westens bedingt nachhaltige Entwicklung eine gesellschaftliche Transformation hin zu neuen Formen von Produktion, Reproduktion und gesellschaftlichem Zusammenleben (mehr dazu: Welzer & Sommer, 2014). Dies geschieht nicht nach einem von irgendeiner Autorität verordneten Masterplan, sondern in einem autopoietischen, gesellschaftlichen Prozess durch suchende, sich irrende, lernende, mündige Menschen.
Indirekter Einfluss von Bildungsangeboten, Zielpluralität und ein Bildungsgegenstand, der von naturwissenschaftlichen Umweltthemen über Selbstregulations- und Verantwortungsfähigkeit bis hin zu gesellschaftlicher Gestaltungfähigkeit reicht, machen Umweltbildung zu einem anspruchsvollen didaktischen Betätigungsfeld. Und zu einem äußerst spannenden. Die Aufgabe der Lehrenden in einer so verstandenen Umweltbildung definiert der Erwachsenenbildner Horst Siebert (2000, S. 24) mit seiner Maxime »[Umweltbildung] ist nicht befugt, Antworten auf komplexe politische, ethische oder ökologische Fragen zu geben. Sie kann und sollte eine verantwortliche, lernende Auseinandersetzung mit Komplexität fördern.« Wer diese Aufgabe bewältigen will, muss selbst in einem komplexen System handlungsfähig sein.
Als ich 2004 an der Fachhochschule in Wädenswil die spannende Aufgabe übernahm, eine Fachstelle für Umweltbildung aufzubauen, stellte ich mit Erstaunen große Diskrepanzen fest zwischen Grundlagenliteratur, gelebter Umweltbildung in der Praxis und gängigen Lehrkonzepten. Offensichtlich handelte es sich um drei Welten mit nur geringen Überschneidungsflächen. Für den Unterricht war ich auf der Suche nach einer anschaulichen Heuristik, welche die großen Zusammenhänge im Themenbereich aufzeigt. Alle Modelle, die ich finden konnte, hatten Schwachstellen für meinen Einsatzzweck. Entweder waren sie zu theoretisch – damit die Studierenden mit ihnen hätten arbeiten können, hätte ich viel mehr Grundlagenwissen aus unterschiedlichen Disziplinen vermitteln müssen, als mir Lehrzeit zur Verfügung stand –, oder ihre Aussagen widersprachen meinem Fachwissen und meiner Erfahrung. Erklärungsmodelle für Umweltverhalten waren mehrheitlich wissenslastig, und die didaktischen Ansätze zur Förderung von umweltgerechtem Verhalten widersprachen meinen eigenen Erfahrungen aus Sport- und nonformaler Erwachsenenbildung, in der für eine handlungsorientierte Didaktik Emotionen, Fertigkeiten und Handlungskontext der Kognition mindestens gleichgestellt sind. Als größten Mangel empfand ich jedoch die Tatsache, dass beinahe alle gängigen Konzepte aus dem deutschsprachigen Raum Umweltbewusstsein und nicht Umwelthandeln als generelles Bildungsziel definierten.
Das Modell, das ich im Sinn hatte, sollte als Advance Organizer für den Unterricht aufzeigen, wie und unter welchen Bedingungen Bildungsangebote einen Beitrag zu umweltgerechtem Verhalten leisten. Es sollte Antworten auf die immer wieder kursierende Frage geben, wieso Wissen nicht zu Handeln führt.
1.3 Das Brückenmodell als Antwort
Ursprünglich hatte ich ein Brückenmodell angedacht, das aufzeigt, wie man vom Wissen zum Handeln gelangt, bis mir bewusst wurde, dass ich einer falschen Fragestellung aufgesessen war. Sie ist genauso falsch wie die Frage, wieso Wollen nicht zu Handeln führt oder wieso Können nicht zu Handeln führt. Harald Welzer (2015, S. 79) konstatiert dazu ganz einfach: »Einsicht dringt meist nicht bis zum Verhalten vor, weil das Verhalten nicht auf Einsicht beruht.« Dasselbe gilt für das Wollen und das Können. Verhalten und Handeln funktionieren nicht eindimensional, sondern sind multifaktoriell bedingt. Mal führt der Lernweg vom Wissen zum Handeln, mal vom Handeln zum Wissen. Die didaktische Fragestellung, die das Brückenmodell beantworten soll, lautet also: Welche Faktoren beeinflussen das Verhalten, und welchen Beitrag können Bildungsangebote leisten, damit Menschen die nachhaltige Entwicklung mitgestalten? Die Kluft liegt nicht zwischen Wissen und Handeln, sondern zwischen Innenwelt und Außenwelt sowie zwischen gestern und heute. Wir haben gestern gelernt, und wir handeln hier und jetzt.
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