Die konkrete Zielbestimmung ist zudem herausfordernd, wenn die Perspektive gewechselt wird, aus der man auf einen Evaluationsgegenstand schaut (was immer, zumindest probehalber, getan werden sollte).
BEISPIEL 4
Wird der Evaluationsgegenstand IT-Schulung aus der Sicht von Verantwortlichen einer Fortbildungsinstitution betrachtet, so kann der Lernerfolg einer gesamten Lerngruppe im Vordergrund stehen. Aus der Warte eines einzelnen Teilnehmenden kann dessen Lernerfolg (oder der einer bestimmte Teilgruppe) viel wichtiger sein, sodass Fragen der individuellen oder gruppenspezifischen Wirkungen einer Schulung in den Vordergrund rücken. Ist der Auftraggeber einer IT-Schulungsevaluation ein Verlag, der IT-Schulungsmaterialien zur Verfügung stellt, so kann sich der Fokus erneut verändern. Zwar ist auch hier Lernerfolg wünschenswert, aber es geht stärker um Einführungs- und Nutzungsbedingungen sowie die Bewertung der Materialien.
Intendierte Ziele des Evaluationsgegenstandes sowie ungewollte und unerwartete Resultate
Wie weiter oben schon beschrieben, ist darauf zu achten, dass eine ausschließliche Bestimmung der intendierten Ziele des Evaluationsgegenstandes zu kurz greift. Darüber hinaus müssen auch Vorstellungen über ungewollte und unerwartete Resultate sowie unerwünschte, aber bekannte Nebenresultate entwickelt werden.
BEISPIEL 5
Eine erfolgreiche Vermittlung von IT-Wissen als ein wichtiges Ziel einer IT-Schulung kann von vielen erwünschten wie auch unerwünschten/unvorhergesehenen Folgen begleitet werden. Handelt es sich bei einem Schulungszentrum z. B. um eine firmeninterne Fortbildungsinstitution, kann sich das Qualifikationsgefüge innerhalb der Firma dergestalt verschieben, dass Gehaltsbegehrlichkeiten geweckt werden, dass neuer Schulungsbedarf hinsichtlich einer Vertiefung des Gelernten entsteht, dass Schulungsbedarf für die noch nicht geschulten Mitarbeitenden gefordert wird oder dass für bestimmte Arbeitsbereiche ein Mangel an Fachkräften resultiert, da sich diese für andere Tätigkeiten weiterqualifiziert haben. Ein schlecht geplantes Fortbildungsprogramm kann die gesamte Organisationsstruktur eines Betriebes durcheinanderbringen. Eventuell kann dieselbe ebenfalls in den Fokus einer Evaluation geraten, wenn die Schulung betreffende Zufriedenheitsaspekte eine Rolle spielen. So mögen Teilnehmende zwar viel gelernt haben, was einem wichtigen Ziel der Schulung entspräche, aber gleichzeitig kann eine Reihe neuer Probleme auftauchen und eine sich in der Evaluation widerspiegelnde Unzufriedenheit erzeugt werden. Darüber hinaus kann eine langweilige Schulung demotivierend statt motivierend wirken, oder Streit zwischen Teilnehmenden kann Kommunikationskanäle nicht öffnen, sondern für lange Zeit verschließen. Und was würde ein Bildungsträger sagen, wenn das eingesetzte Schulungsmaterial derartig gut wäre, dass niemand mehr eine Schulung bucht, dafür aber jeder das Begleitheft erwirbt?
Unübersichtlichkeit bei komplexen Evaluationsgegenständen
Die Erstbeschreibung und das Zielsystem sind Kernelemente einer Gegenstands- oder Programmbeschreibung. Bei größeren, auf längere Zeit angelegten Bildungsmaßnahmen können beide so zahlreiche Daten und Informationen so liefern, dass diese sowohl für die Programmmitarbeitenden als auch für die Evaluierenden schwer zu fassen sind und die Programmbeschreibung unübersichtlich werden kann.
Logische Modelle als Visualisierungen von Evaluationsgegenständen
Um dieser Herausforderung zu begegnen, sind textlich-visuelle Darstellungen entwickelt worden, welche es ermöglichen, die wesentlichen Bestandteile des Programms und ihre Hauptverbindungen auf einen Blick zu sehen. In der Evaluationsfachsprache werden diese als «Logische Modelle» bezeichnet. Der Begriff bringt zum Ausdruck, dass ein (vereinfachtes) Abbild des Programms «modelliert» wird, und dass die gedachte Logik der Abläufe oder des Ineinandergreifens der Programm-Elemente sichtbar gemacht werden soll. Hoch gegriffen kann auch von der «Wirklogik» des Programms gesprochen werden, wobei eine solche Bezeichnung zusätzlich theoretisch begründete und empirisch bewährte Aussagen über die Wirkmechanismen erfordert, welche dazu führen, dass die Interventionen (unter bestimmten, anzugebenden Bedingungen) die angestrebten Zielzustände tatsächlich auslösen. Solche im Vergleich zu Logischen Modellen anspruchsvolleren «Programmtheorien» schließen deren wesentliche Elemente mit ein und sind dabei umfassender und differenzierter ausgearbeitet. Insbesondere werden die für den gedachten Programmablauf und die Verbindungen zwischen den Programmelementen relevanten Annahmen expliziert. Solche Wirkmechanismen werden möglichst durch vorliegende Forschungs- oder Evaluationsergebnisse bzw. für den Evaluationsgegenstand einschlägige Theorien begründet (vgl. Giel, 2013; Haubrich, 2009).
Giel (2013, S. 230) schreibt dazu: «Außerdem ist auch bestehendes Wissen einzubeziehen und auf bereits überprüfte Hypothesen zurückzugreifen. Eine Strategie, die oftmals vernachlässigt wird.» Dabei bieten auf den Bildungsbereich spezialisierte Online-Forschungsdatenbanken leichten Zugang zu einschlägigen Berichten und Fachartikeln. Beispielsweise genannt seien der Deutsche Bildungsserver, das Fachportal Pädagogik und pedocs für Deutschland, die Datenbank der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung in der Schweiz, schule.at in Österreich, Eurydice für die EU und das Education Resources Information Center ERIC für den englischsprachigen Raum.
Neben Logischen Modellen und Programmtheorien existieren weitere Wirkmodelle. Balthasar und Fässler (2017) vergleichen z. B. «Logic Model», «Theory of Change» und den «realistischen Evaluationsansatz» miteinander.
Ein sehr einfaches Logisches Modell nutzt Michael Patton in seinen Workshops und Präsentationen. Ein Programm kann stark vereinfacht mit drei Elementen dargestellt werden:
Ein einfaches Logisches Modell für die Planungsphase des Programms
Abbildung 3: Einfaches Logisches Modell nach Patton in der Planungsphase des Programms
Bei Bildungsprogrammen ist die Ausgangslage oft dadurch charakterisiert, dass die Lerneingangssituation bei den Zielgruppen des jeweiligen Bildungsprogramms (IST) gegenüber den gesellschaftlich, von den Finanzierenden des Bildungsprogramms oder von den Teilnehmenden selbst gesetzten Zielen (SOLL) eine Lücke aufweist. Diese wird auch als «Bildungsbedarf» bezeichnet. Um diese Lücke zu schließen oder zumindest zu verkleinern, werden Interventionen geplant – also Bildungsmaßnahmen mit auf die Ziele zugeschnittenen Inhalten und Methoden. Eine wichtige Voraussetzung für einen Programmerfolg ist, dass die drei Elemente gut aufeinander abgestimmt sind, wofür die Programmverantwortlichen ihr Fachwissen zum jeweiligen Bildungsgebiet sowie pädagogisches Fachwissen (u.a. Lerntheorien, didaktische Theorien) einsetzen. Evaluation hat hier die Aufgabe, die Passung der Ziele auf die Bedarfe, die Passung der Interventionen auf die Ziele und die Gesamtkonsistenz des Programmkonzeptes samt seiner grundsätzlichen Umsetzbarkeit zu beschreiben und zu bewerten (vgl. proaktive und klärende Evaluation in ➞ Kapitel 6.1.1)
Ein einfaches Logisches Modell für die Realisierungsphase des Programms
Mit der Umsetzung der Interventionen werden (insbesondere intendierte, also den Zielen entsprechende) Resultate erzielt. Damit verändert sich die Darstellung in Bezug auf das dritte Element:
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