Somit wird deutlich, dass Motivation kein Dauerzustand ist, sondern von inneren und äußeren Gegebenheiten beeinflusst wird. Des Weiteren wird klar, dass Anreize und auch Verhaltensäußerungen mitunter stark differieren können, wenn man von „motivierten“ bzw. „unmotivierten“ Lernenden spricht. Folglich gibt es sowohl Unterschiede zwischen Personen als auch innerhalb derselben Person (Rheinberg 2006b, 13). Weiterhin ist bei der Analyse von Verhalten die Komplexität von Ursache und Wirkung zu berücksichtigen, denn ein Motiv kann durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen evozieren und andererseits können gleichartige Verhaltensweisen auch auf unterschiedliche Motive zurückgeführt werden. Um zuverlässige Daten zu erhalten, sollten bei der Erforschung von Motivation – wie dies auch in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt wird – verschiedene Methoden eingesetzt werden: Verhaltensbeobachtung, mündliche bzw. schriftliche Befragung, Selbstreflexion, lautes Denken usw. (Schunk u.a. 2010, 41).
In Motivationsprozessen lassen sich laut Edelmann (2000, 256) folgende Determinanten bzw. Komponenten unterscheiden:
Das Motiv (ein angeborenes Bedürfnis oder eine gelernte Disposition)
Der Anreiz (die emotionale Valenz des Zielzustandes)
Kognitive Prozesse (Entscheidung, Erwartung, Handlungskonzept, Plan usw.)
Die Motive für das Fremdsprachenlernen können sehr vielfältig und unterschiedlich sein. Erwähnt werden in der Literatur das Leistungsmotiv, das Nützlichkeitsmotiv, das Neugier- und Wissensmotiv, das Kommunikationsmotiv, das Anerkennungs- und Geltungsmotiv, das Anschlussmotiv, das Gesellschaftsmotiv, das Elternmotiv und das Lehrermotiv (Abendroth-Timmer 2007; Apelt 1981; Kleppin 2002). Häufig werden bei solchen Motivauflistungen jedoch die sehr unterschiedlichen Ausprägungen (z.B. kurzfristige vs. langfristige Motive, eigene vs. von außen induzierte Motive) übersehen (Kleppin 2002, 26). Kleppin stellt in diesem Zusammenhang die berechtigte Frage, wie sich „allgemein menschliche, fremdsprachenlernspezifische und fremdsprachenunterrichtsspezifische Motive“ gegenseitig bedingen (Ebd.). Der Motivbegriff bedarf also noch der weiteren Präzisierung und Untersuchung.
4.2.3 Motivationsforschung: Probleme und neue Impulse
In Kapitel 3 wurde bereits dargestellt, dass Lehren zwar das Lernen unterstützen, nicht jedoch gewährleisten oder gar erzwingen kann. Stattdessen muss Lernen „vom Individuum selbst gewollt werden“ (Haß 2010, 204). Motivationsförderung gehört somit zu den zentralen Aufgaben der Schule. Da es sich bei Lernmotivation jedoch um ein äußerst vielschichtiges Konstrukt handelt, existiert eine entsprechend große Anzahl an wissenschaftlichen Theorien und Konzepten, die alle darauf abzielen, motivationale Faktoren in der Schule zu beschreiben und zu erklären. Obwohl die Motivationsforschung bereits eine längere Tradition hat, scheint es jedoch kaum stabile Ergebnisse und allgemeingültige Modelle zu geben, stattdessen ist vielmehr das Gegenteil der Fall: “Contemporary motivational psychology is characterised by a confusing plethora of competing theories, with little consensus and much disagreement among researchers. In fact, we can say without much risk of exaggeration that ‘motivation’ is one of the most elusive concepts in the whole domain of the social sciences“ (Dörnyei 2001b, 2). Dörnyei begründet den fehlenden Konsens in der Motivationsforschung zunächst damit, dass der Begriff nicht einheitlich verwendet wird. Allerdings haben sich laut Dörnyei und Ushioda (2011, 4ff.) in den letzten Jahren einige neue Entwicklungen abgezeichnet, die hier kurz zusammengefasst werden:
Kognition vs. Emotion: In frühen Motivationstheorien wurden vor allem unbewusste Triebe, Emotionen und Instinkte für das menschliche Handeln verantwortlich gemacht, während in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fokus in der Motivationsforschung auf bewusste kognitive Prozesse (z.B. Ziele und Erwartungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen usw.), welche Handeln und Verhalten beeinflussen, gelegt wurde. Einerseits wurden also unbewusste und bewusste Prozesse, andererseits die Rollen von Emotion und Kognition berücksichtigt. Mit Ausnahme der von Weiner (1986) entwickelten Attributionstheorie unternahmen laut Dörnyei und Ushioda (2011) jedoch nur wenige Theorien den Versuch, Affekt und Kognition “in a unified framework“ (Ebd., 5) zu integrieren.Ciompi (1999) kritisiert Wissenschaft und Forschung, emotionale Phänomene „lange Zeit vergleichsweise stark vernachlässigt“ (Ebd., 11) zu haben, mit der Folge, dass „ein einseitig intellektzentriertes Welt- und Menschenverständnis (...) das wissenschaftliche Denken doch lange Zeit fast ausschließlich beherrscht hat“ (Ebd.). Aus Pekruns (1998) Sicht sind Schüleremotionen ein „blinder Fleck der Unterrichtsforschung. (...) Mit Ausnahme von Prüfungsangst sind die Lern- und Leistungsemotionen von Schülern bisher kaum erforscht“ (Ebd., 230). Dasselbe gilt laut Düwell (2002) auch für die Sprachlehr- und -lernforschung, die den Schwerpunkt allzu lange „auf Untersuchungen in der kognitiven Dimension gelegt“ hat (Ebd., 171).Auch wenn kognitive Ansätze noch immer das Feld beherrschen, wird seit einigen Jahren die Rolle der Emotionen in der Motivationspsychologie (und auch in der Fremdsprachenforschung) quasi neu entdeckt, was sich beispielsweise auch in den Publikationen auf dem deutschsprachigen Markt widerspiegelt.1 Ausgelöst wurde diese Neuorientierung unter anderem durch neue Erkenntnisse in der Neuropsychologie und in anderen Bereichen der Psychologie.2 Die Herausforderung wird darin bestehen, kohärente theoretische Konzepte zu entwickeln, welche beide Dimensionen berücksichtigen.
Reduktion vs. Umfänglichkeit: Motivation wurde in der Vergangenheit je nach Fachdisziplin, Zeitgeist, Forschungsgegenstand oder -interesse immer wieder unterschiedlich ausgelegt, was die Konsensbildung erschwert hat: “Taken collectively, a striking feature of all mainstream motivation theories has been their lack of comprehensiveness . They are typically anchored around a few selected motivational aspects (e.g. around a key concept or process), while largely ignoring research that follows different lines“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 8). Da menschliches Verhalten überaus komplex und die Anzahl möglicher Determinanten extrem hoch ist, wurden in der Motivationsforschung meist so genannte Reduktionsmodelle ( reductionist models ) entwickelt, die sich auf wenige Schlüsselvariablen konzentrierten. Der Hauptunterschied zwischen konkurrierenden Theorien liegt somit häufig in der Auswahl der Faktoren: “This can be compared to lifting a large, loosely knitted net (which symbolises human behaviour). If we lift it up by holding different knots, very different shapes will emerge, even though the actual net is exactly the same“ (Ebd., 9).Auch wenn die Reduktion und Isolation von Einflussfaktoren im Hinblick auf Forschung und Theoriebildung durchaus nachvollziehbar ist, wird diese Vorgehensweise natürlich nie den komplexen realen Bedingungen im Klassenzimmer gerecht. Offenbar gibt es – bis auf Wentzel (2000) – kaum Untersuchungen dazu, wie Lernende mit den diversen parallelen und konkurrierenden Zielen, Ansprüchen, Anforderungen, Aktivitäten usw. in Schule und Unterricht umgehen. Ferner existiert laut Dörnyei und Ushioda (2011) keine adäquate Motivationstheorie, die auf die “parallel multiplicity“ (Ebd., 10) von Motivationsprozessen eingeht, welche menschliches Verhalten bestimmen.
Parallele Prozesse vs. lineare Modelle: Die Komplexität des menschlichen Verhaltens und seiner vielfältigen Einflussfaktoren in einer einzigen allumfassenden Motivationstheorie zu berücksichtigen, wird vermutlich immer ein unerreichbares Ziel bleiben. Dennoch bezeichnen Dörnyei und Ushioda (2011) die üblichen linearen Motivationsmodelle als “inherently flawed“ (Ebd., 11). Während der Faktor Zeit durch die Einteilung in spezifische Phasen noch am ehesten als lineares Modell dargestellt werden kann, wird es dagegen schwierig, sich vorzustellen, wie ein solches Modell die dynamischen Interaktionen mit dem Umfeld oder die komplexen kognitiven und emotionalen Prozesse berücksichtigen könnte, die in und zwischen Individuen ablaufen. Davon abgesehen ist natürlich auch der Zeitaspekt keineswegs eine stabile Größe. Die offensichtliche Begrenztheit dieser Modelle initiiert in Psychologie und Fremdsprachenforschung derzeit “a new way of thinking, pushing forward relational and dynamic systems perspectives“ (Ebd.).
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