Das Hauptmerkmal dramapädagogischen Unterrichts ist, dass fiktive Szenarien geschaffen werden. Dramapädagogen erhoffen sich, dass die SuS diese as if -Situationen als „geschützten Freiraum“ (Schewe 1993: 401) empfinden, der sie zu Verhalten ermutigt, das sie im alltäglichen Unterrichtsablauf nicht zeigen würden.
Ein weiteres typisches Element der Drama-Methode ist, dass sie auf ganzheitliches Lernen abzielt. Dies bezieht sich vor allem darauf, dass die SuS bei drama activities in der Regel nicht am Platz sitzen bleiben, sondern sich auch körperlich bewegen. Für den Fremdsprachenunterricht entscheidend ist, dass in der dramatischen Interaktion nicht nur sprachliche, sondern auch die im Unterricht oft vernachlässigten non-verbalen Aspekte der Kommunikation eine wichtige Rolle spielen. Im besten Fall interagieren die SuS in ihrer Rolle insofern authentisch, als sie unter Entzifferung und Verwendung verschiedenster verbaler, prosodischer und körperlicher Signale versuchen, ihr Kommunikationsziel zu erreichen.
Innerhalb der Dramapädagogik gibt es jedoch auch die Richtung, Rollenspiele, wie sie seit den 1960ern Einzug in den Fremdsprachen- (und anderen) Unterricht gehalten haben, als zu geschlossene Übungsformen abzulehnen. Grundbedingung für dramapädagogischen Unterricht sei es demnach, dass die SuS sich aktiv mit ihrer gesamten Persönlichkeit einbringen können und nicht nur gelerntes Wissen reproduzieren (Bolton 1984, für den deutschsprachigen Raum: Schewe 1993).
In diesen Bereich der Dramapädagogik gehören auch die hier präsentierten Impro-Techniken. Improvisieren können – muss das nicht ein zentrales Ziel des Fremdsprachenunterrichts sein? Denn dies ist ja die Realität, wenn wir kommunizieren: Wir improvisieren!
Manche Leute mögen der Meinung sein (und dies war auch lange Zeit die vorherrschende Meinung in der Fremdsprachendidaktik), dass die Schülerinnen und Schüler erst einige Jahre Sprache lernen müssten, bevor sie wirklich frei sprechen können. Hinter dem Einsatz von Improvisationen steht der gegenteilige Ansatz: Schülerinnen und Schüler werden hier grundsätzlich als successful communicators betrachtet, die sich von Anfang an erfolgreich (wenn auch natürlich noch nicht fehlerfrei) in der Fremdsprache verständigen können (Kurtz 2001: 125).
Die zum erfolgreichen Kommunizieren nötige strategic competence (Canale/Swain 1980: 28ff.), also die Fähigkeit, sich in Situationen zu behaupten, in denen man nicht genau weiß, wie man sich ausdrücken soll (wobei dann z.B. Paraphrasierung, Umschreibung, Wiederholung, Zögern, Vermeidung und Raten helfen können), muss im Unterricht aber auch ihren Ort bekommen. Anstatt also nur mit geschlossenen Aufgabenstellungen zu arbeiten, bei denen die SuS inhaltlich stark gelenkt werden, weil man befürchtet, sie wüssten sonst nicht, was sie sagen sollten, sollen Improvisationen
neugierig machen, die Fantasie anregen, den Ehrgeiz wecken und zum Mitmachen provozieren, indem sie von den eingefahrenen Routinen und Ritualen des Unterrichtsalltags, vom Gewohnten und Erwarteten abweichen und dabei bisweilen auch die Grenzen der Wirklichkeit (gedanklich) vorübergehend überschreiten (Kurtz 2001: 122).
Es müssen also für das freie Sprechen förderliche Gelegenheiten geschaffen werden, oder didaktisch ausgedrückt: Wir brauchen mehr „interaktive Lernarrangements zur Förderung der fremdsprachlichen Sprechhandlungsfähigkeit“ (Kurtz 2001: 121).
Bei Impro-Techniken handelt es sich nun um Übungen und Tricks, die ursprünglich aus dem Schauspieltraining stammen und eines gemeinsam haben: Sie sollen es den Schauspielerinnen und Schauspielern erleichtern, ohne auswendig gelernten Text eine Geschichte zu spielen, also: zu improvisieren. Der Fremdsprachenunterricht ist natürlich kein Schauspielunterricht. Doch geschickt ausgewählt und gegebenenfalls adaptiert, können viele dieser Impro-Techniken auch Schülerinnen und Schüler zum freien Sprechen bringen.
Es gibt Unmengen an Impro-Spielen und -Übungen für Schauspielerinnen und Schauspieler (vgl. z.B. die Sammlung auf der Seite improwiki.com/en). Mittlerweile gibt es aber auch schon einige Versuche, aus diesen Spielen solche herauszusuchen, die sich für den Fremdsprachenunterricht eignen, und sie gegebenenfalls anzupassen (vor allem: Hudson 2013; vgl. aber auch z.B. Elis/Blanckenburg/Haack 2016, Kurtz 2001, von Blanckenburg/Loder 2017; Maley/Duff 2005). Die meisten dieser Spiele und Übungen stehen allerdings außerhalb oder zumindest neben dem ‚normalen‘ Unterricht. Das nimmt ihnen nicht ihren Wert, aber für die Lehrkraft stellt sich doch die Frage: Habe ich genug Zeit für diese Übungen (die oft auch ein passendes warm-up brauchen), und: Kann ich das überhaupt, wenn ich selbst kein Impro-Spieler bzw. keine Impro-Spielerin bin?
Daher wurden hier aus diesen Hunderten von improv acitivities drei Techniken bzw. Tricks herausgefiltert, die jederzeit im Rahmen einer Lehrwerk-Stunde anwendbar sind und sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für die Lehrkraft niedrigschwelliger zugänglich sind als viele ‚echte‘ Impro-Spiele. Zur Veranschaulichung werden zusätzlich Impro-Spiele beschrieben, die sich für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht eignen und die jeweilige Technik beinhalten.
2 Die drei wichtigsten Impro-Techniken
2.1 Impro-Technik Nr. 1: Schaffe eine unerwartete, gerne auch unsinnige Problemsituation
Einfache improvisierte Szenen beginnen so: Das Publikum gibt eine Vorgabe (engl.: ask for oder suggestion ), z.B. einen Ort, eine Haushaltstätigkeit oder eine Beziehung zwischen zwei Menschen. Die Spieler/innen etablieren eine ‚Routine‘ auf Grundlage dieser Vorgabe. Dann ensteht ein ‚Problem‘ oder ‚Konflikt‘, das heißt, etwas bringt die Routine durcheinander. Schließlich versuchen die Spielenden, diesen Konflikt zu lösen.
Auf diese Art lassen sich freie Szenen spielen, also Geschichten, die abgesehen von der anfänglichen Vorgabe völlig offen verlaufen. Die allermeisten sogenannten Impro-Spiele beinhalten darüber hinaus Elemente, die eigentlich das Spielen noch schwieriger machen müssten. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Indem die Schauspielerinnen und Schauspieler ein spielerisches ‚Problem‘ lösen, z.B. dass sie nur sprechen dürfen, wenn sie eine/n Mitspieler/in berühren oder jeder Satz nur ein Wort haben darf, schreitet die Geschichte voran.
Dieses Grundprinzip funktioniert auch mit Fremdsprachenschülerinnen und -schülern. Entscheidend ist, dass die Problemsituation so beschaffen ist, dass sie für die SuS nicht überfordernd wirkt, sondern diese im Gegenteil zu einer Lösung motiviert – und die SuS werden gar nicht merken, dass sie gerade frei sprechen!
Wenn – wie im unten beschriebenen Beispiel – eine ‚Ärztin‘ dem ‚Patienten‘ erklären soll, weshalb ausgerechnet Tennisspielen gegen Halsweh helfen soll, hat dies für viele SuS einen größeren Aufforderungs-Charakter als viele scheinbar besonders ‚realistische‘ Aufgabenstellungen und Aufgabenverläufe. Im spielerischen Kontext entsteht für die SuS ein echtes Kommunikationsbedürfnis. Es ist paradox: Gerade das fiktive Szenario mit der absurden Vorgabe verleitet die Schülerinnen und Schüler zu authentischem, nämlich improvisiertem Sprachgebrauch.
2.2 Impro-Technik Nr. 2: Nimm den Druck vom Einzelnen und verteile die Verantwortung auf mehrere Spielende
Viele Impro-Spiele funktionieren nach diesem Prinzip, und viele können ohne größere Änderungen direkt im Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden.
Word at a time- und sentence at a time- Spiele:
Ein typisches Beispiel ist das Prinzip word at a time , bei dem jede/r Schüler/in dem Satz nur jeweils das nächste Wort anfügt, z.B. Tina – is – a – cool – girl . Dies kann als Übung im Kreis mit einer Schülergruppe gespielt werden (Hudson 2013: 21) oder auch als Szene, bei der zwei SuS eingehakt zusammen eine Person spielen und ‚Wort für Wort‘ sprechen. Dabei führen sie zum Beispiel eine alltägliche Tätigkeit aus und sprechen darüber einen (gemeinsamen) Monolog (Hudson 2013: 35; z.B. I – love – pizza – so – I’ll – make – one – today , etc.) oder sie treffen auf eine andere Doppel-Person.
Читать дальше