Hallet bringt eine weitere Komponente in die Diskussion um die Förderung mündlicher Kompetenzen ein. Er vertritt dabei die Auffassung, die didaktischen Vorstellungen von Mündlichkeit seien „grundsätzlich auf Grundlage der und mit Bezug auf die sozialen und medialen kommunikativen Praktiken der beteiligten Kulturen zu konzeptualisieren und zu spezifizieren“ (Hallet 2014: 76). Daraus folgt, dass mündliche Kompetenzen nicht abstrakt, sondern gebunden an ein konkretes Genre geübt und bewertet werden können. Lernende sollten im Unterricht eine Vertrautheit mit generischen Formen zu verschiedenen Domänen lebensweltlicher Kommunikation entwickeln, um generisches Schemawissen bei Bedarf abrufen zu können. Lehrende hingegen sollten didaktische Entscheidungen hinsichtlich der Wahl geeigneter Diskursformen treffen können und entsprechend ihrer Wahl auch kriteriengeleitete Rückmeldungen erteilen, die den Lernenden bei der Ausbildung kognitiver Strukturen hilft und sie befähigt, die Diskurse erfolgreich zu bewältigen (vgl. Hallet 2014, Hallet 2016). Empirische Grundlagenforschung kann in diesem Zusammenhang dazu dienen, exemplarisch aufzuzeigen, welchen Genres die Sprechaufgaben entsprechen, die Lehrkräfte stellen und welcher Gestalt die Rückmeldungen sind, die lehrerseitig erteilt werden.
2.6.6 Sprechkompetenz messen und beurteilen
Die Evaluation und Beurteilung von Sprechleistungen ist von der institutionellen Förderung des Sprechens nicht zu trennen. Insbesondere in der gymnasialen Oberstufe, die für viele Lernende mit dem Zentralabitur in einer kompetenzorientierten Abschlussprüfung endet, sowie aufgrund der mittlerweile in vielen Schulcurricula verankerten Kommunikationsprüfungen, wirken die Faktoren fördern und beurteilen umso stärker zusammen und aufeinander zurück. Englischlehrende benötigen Kriterien und Maßstäbe für die Bewertung von mündlichen Schülerleistungen und Lernende bedürfen Kriterien für die Selbsteinschätzung ihres Kompetenzfortschritts. Mit dem GeR und seinen Deskriptoren liegt ein auf teilempirischer Basis entwickeltes Referenzdokument vor, das die komplexe Sprechkompetenz in Subaspekte unterteilt und für diese positiv formulierte Kann-Beschreibungen zur Verfügung stellt (vgl. Europarat 2001 sowie Kapitel 2.2). Auch die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache Englisch/Französisch (vgl. KMK 2012 sowie Kapitel 2.3) stellen ein solches Referenzdokument dar, welches speziell für den Unterrichtskontext an deutschen Schulen entwickelt wurde. In der Forschungsliteratur werden immer wieder Versuche unternommen, die komplexe Sprechkompetenz in Unterkategorien aufzuschlüsseln und zu beschreiben, worin eine Sprechleistung in der Zielsprache Englisch besteht, was sie ausmacht und wie sie in geeigneten Prüfungsformaten zu bewerten ist oder aber wie kontinuierlich auf diese Rückmeldung erteilt werden kann.
Brown und Abeywickrama (2010: 183) heben hervor, dass es unmöglich sei, Sprechleistungen nach uniformen Kriterien zu beurteilen. Nur in wenigen Situationen, nämlich in Formaten des monologischen Sprechens, könne man Sprechkompetenzen losgelöst von Hörverstehkompetenzen und Diskurskompetenzen elizitieren und bewerten (ibid). Kriterienkataloge müssen entsprechend dieser Besonderheit des Sprechens Rechnung tragen. Sie schlagen selbst einen solchen vor, der sich in microskills und macroskills aufgliedern lässt. Auch wenn dieser Katalog keine ausdifferenzierten Skalen zur Verfügung stellt, anhand derer eine Bewertung von konkreten Schülerleistungen vorgenommen werden kann, so kann er als wertvolle Grundlage für die Erstellung von Bewertungsrastern fungieren und illustriert gleichwohl die Komplexität der Determinanten einer Sprechleistung. Unter den microskills werden formfokussierte Bestandteile wie phonetische Entscheidungen, Lautproduktion, Betonung, lexikalische Entscheidungen, sprachliche Flüssigkeit, Selbstreflexion und -korrektur, grammatikalische Entscheidungen und Kohärenz subsumiert. Die macroskills umfassen hingegen Diskurskompetenzen wie das situationsangemessene Aushandeln einer kommunikativen Situation, die Wahl eines angemessenen Registers, die Verwendung angemessener Paralinguistik (Mimik, Gestik) und das gezielte Anwenden kommunikativer Strategien zur Herstellung eines Adressatenbezugs1.
Brown und Abeywickrama stellen überdies heraus, dass die Erstellung geeigneter Aufgaben zur Bewertung von Sprechleistungen sich mit drei Problemfeldern konfrontiert sehe. Zuerst sei, wie bereits erwähnt, keine Sprechaufgabe in der Lage, die gewünschte Kompetenz vollständig losgelöst von anderen Kompetenzen zu betrachten. Rezeptive Kompetenzen wie Hörverstehen (in dialogischen Formaten) und Leseverstehen (Aufgabenstellung, Input ) determinierten zumindest in Teilen den Erfolg einer Sprechaufgabe (vgl. Brown/Abeywickrama 2010: 187). Desweiteren sei es schwierig einzelne Aspekte der Sprechkompetenz gezielt anhand von Aufgabenformaten zu überprüfen, da gesprochene Sprache den Lernenden generell eine höhere Anzahl an Möglichkeiten zur kommunikativen Bewältigung einer Aufgabe gestatte und somit ein vorheriges Ausloten der möglichen Schülerlösungen umso wichtiger sei (ibid.). Zuletzt sei, zur Gewährleistung einer bestmöglichen Reliabilität, auf das Erstellen trennscharfer Bewertungsrubriken zu achten, was eine genaue Analyse der Aufgabe, der erwarteten Schülerleistung und der Vorkenntnisse der Lernenden bedingt (ibid.).
Eine wesentliche Grundlage für das effektive Bewerten von Sprechleistungen ist die Kenntnis der Komplexität der am Sprechen beteiligten Vorgänge und die Fähigkeit, Aufgaben zu erstellen, die von den Vorkenntnissen der Lernenden ausgehen und die gewünschten Teilaspekte möglichst gezielt in den Blick nehmen. Über den Schritt der Aufgabenerstellung kann dann die Entwicklung objektiver, reliabler und valider Bewertungskriterien eingeleitet werden. Luoma sieht weitere Anknüpfungspunkte für Forschung vor allem in der Erteilung von Feedback. Sie führt an, dass nützliches Feedback auf Sprechleistungen konkret und deskriptiv sei (Luoma 2004: 189). Lernende benötigen Rückmeldungen, die ihnen gezielt und anschaulich Stärken und Schwächen ihrer Sprechleistung aufzeigen und sich nicht in einem vagen und evaluativen good job oder well done erschöpfen (ibid.). Zu diesem Zweck schlägt sie die Erstellung und Verwendung aufgabenbezogener Feedbackbögen und langfristig angelegter feedback reports vor, hebt aber zugleich hervor, dass die Feedbackpraxis im Fremdsprachenunterricht langfristig empirisch begleitet werden müsse (vgl. Luoma 2004: 189 – 190). Es mangele an Erkenntnissen darüber, welche Rückmeldungen Lehrende auf Sprechleistungen erteilen2 und wie Lernende damit umgehen. Einige Publikationen befassen sich mit der Untersuchung von mündlichen Prüfungen sowie der kriteriengeleiteten Erstellung von Tests zur Erhebung von Sprechkompetenz (Taylor 2011, Hawkey 2011, Khalifa & Salamoura 2011) oder den Eigenschaften von Prüflingen und Prüfern in diesem Zusammenhang (O’Sullivan & Green 2011). Zu wenig liegt der Fokus aber auf den lernwirksamen Rückmeldungen, die Lernende im alltäglichen Unterrichtsgeschehen auf ihre Sprechleistungen erhalten. Im deutschsprachigen Kontext liefert vor allem die Forschung im DaF/DaZ-Bereich und die Didaktik slawischer Sprachen Erkenntnisse zur Feedbackkultur (Kleppin & Mehlhorn 2008, Kleppin 2009, Kleppin 2010, Kleppin 2015, Grotjahn & Kleppin 2015). In diesen Publikationen geht es um den Stellenwert von Fehlern für das Fremdsprachenlernen, geeignete Kriterien für die Beurteilung von mündlichen Leistungen und die Analyse typischer Fehlerquellen. Dass es sich um ein Thema handelt, dass für deutschsprachigen Kontext von wichtiger Bedeutung ist, zeigen die bildungspolitischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre auf (Kompetenzorientierung, Bildungsstandards).
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