In Luzern wurde im Jahr 2000 die Universität Luzern eröffnet. Wie eingangs erwähnt, geht die Vermittlung höherer theologischer Bildung in Luzern auf das 16. Jahrhundert zurück, in welchem das Jesuitenkollegium entstanden war. Dieses zur Akademie auszubauen gelang nicht. Die Tatsache, dass es schon die katholische Universität Freiburg gab, war diesem Projekt nicht dienlich. Weitere Ideen, wie etwa diejenige einer katholischen Universität mit Sitzen in Luzern sowie Freiburg oder aber die einer konfessionsneutralen Zentralschweizer Universität scheiterten. Ab 1973 anerkannte der Bundesrat die theologische Fakultät als beitragsberechtigt. Später ergab sich aus der Kombination des philosophischen Instituts mit dem historischen Lehrstuhl die geisteswissenschaftliche Fakultät. Eine politische Volksabstimmung im Jahr 2000 verhalf schliesslich dazu, die universitäre Hochschule zur Universität anzuheben, die eine theologische, eine rechtswissenschaftliche, eine kultur- und sozialwissenschaftliche und ab Herbst 2016 auch eine wirtschaftswissenschaftliche Fakultät umfasst.
Auch wenn die Geschichte der Universitäten nur in Umrissen dargestellt werden konnte, wird daraus ersichtlich, dass die europäische Universität nie eine nach aussen abgekapselte Festung war, wo Genies sich nach Lust und Laune geistig austoben konnten. Die Institution der Universität war vielmehr seit jeher in Bezugs- und Machtverhältnisse eingebunden. Anfänglich waren diese v.a. kirchlicher, später vor allem politischer – zuerst territorialstaatlicher, dann nationalstaatlicher und schliesslich gesellschaftlich-wirtschaftlicher – Natur. Die Universität muss somit als Institution betrachtet werden, die seit den Anfängen einem dominanten Machtapparat zudient, der bestimmt, welche Art von Bildung es zu vermitteln gilt. Auch zeigt dieser knappe Überblick, dass die Machtverhältnisse, in denen die Universitäten sich entwickelten, erhebliche Auswirkungen auf die Herkunft der Studierenden und auf deren Mobilität hatten und haben.
Im Folgenden soll in zwei Unterkapiteln der Mobilität in der Schweiz Beachtung geschenkt werden. Es wird zuerst die Mobilität der akademischen Bildung seit ihren Anfängen umrissen, wobei zum Tragen kommt, inwiefern damals die Sprache bereits eine Rolle spielte. Danach steht die aktuelle Mobilität im Fokus, auch hier mit besonderem Augenmerk auf die Sprache.
2.1.2 Bildungsmobilität in der Schweiz von den universitären Anfängen bis heute
Gyr (1989) stellt fest, dass es vor 1370 bei den eidgenössischen Studenten klare Favoritenuniversitäten gab. Dazu gehörten Bologna, Paris, Orléans und Montpellier. Die Notwendigkeit mobilisierte, die Eidgenossenschaft bot damals noch keine Tertiärbildung. Die Richtung der Mobilität war trotz anderer Möglichkeiten (z.B. Universitäten in Prag und Wien) vorbestimmt. Gemäss Stelling-Michaud (1938: 152) waren die Studenten aus der Eidgenossenschaft „orientés exclusivement vers les pays de langue romane“. Dies veränderte sich auch nach der Gründung der Universität Basel 1460 nicht sogleich. Die in der Ferne weilenden Studierenden kehrten nicht sofort in die Heimat zurück. Geographische Nähe war eben nur ein Argument. „Fachrichtung, Lehrangebot, Lehrkörper, konfessionelle Ausrichtung sowie politische Abkommen“ (Gyr 1989: 37) spielten ebenso eine Rolle. Wie Stelling-Michaud (1938: 153) festhält, bewirkte die Gründung der Basler Universität, „d’augmenter encore le nombre des Suisses dans les universités étrangères, car la nouvelle et vaste clientèle écolière de Bâle, attirée par la proximité du lieu, allait en grande partie poursuivre et terminer ses études dans d’autres pays“. Gyr (1989) verweist ausserdem auf die ausserhäusliche Erziehung als ein durchgängig befolgtes Prinzip, wobei das Aneignen von Fähigkeiten wie auch der Reifeprozess von Bedeutung waren. So sollte der Studierende sich, dank dem Aufenthalt in der Fremde, nicht nur eine Ausbildung aneignen, sondern auch erwachsen werden.
Seit wann genau der Erwerb von Sprachen für die Eidgenossen von Bedeutung war, ist schwierig zu sagen. Sicher ist, dass bis in die Epoche des Humanismus Latein jene europäische Sprache war, welche die an Universitäten Lehrenden und Lernenden ortsunabhängig miteinander verband und von der sie umgebenden städtischen Gesellschaft trennte (vgl. Fisch 2015: 21). Aber auch die Vorrangstellung des Französischen geht weit zurück, wie Bischoff in seinen Schlussfolgerungen zum Fremdsprachenlernen im Mittelalter aufzeigt. „From the twelfth century on, and especially in the thirteenth century, French acquired such a position; it was highly appreciated and its study was eagerly recommended. […] Already in the twelfth century Danish nobles sent their sons to Paris so that they should become familiar with the French language and literature“ (Bischoff 1961: 210). Im 15. Jahrhundert wurden sowohl aus Bern als auch aus Basel Studierende an die Pariser Universität geschickt, auch wegen der Sprache. Anfangs des 16. Jahrhunderts weisen Korrespondenzen, wie etwa diejenige zwischen dem Glarner Heinrich Loriti in Paris und Zwingli in der Eidgenossenschaft explizit auf die Möglichkeit hin, in Paris neben dem Hochschulstudium auch die französische Sprache zu erwerben (Amman 1928). Ebenso zeigen Belege aus Nachbarländern, dass neben dem Erwerb fachlicher Kenntnisse jener einer Fremdsprache mehr und mehr an Bedeutung gewann. Beispielsweise hiess es, deutsche Studierende würden die Universität Orléans nicht nur der Ausbildung, sondern auch der Sprache wegen wählen. So hält Paul Hentzner, ein deutscher Student, in seinem Reisejournal fest: „man spricht dort ein so reines Französisch, dass ‚Orléanisch’ den gleichen Ruf hat wie in der Antike der ‚Attizismus’“ (Babeau 1970: 70). Gemäss Gyr (1989: 44) ist es unklar, wie viele eidgenössische Studenten auch wegen der Sprache nach Paris gesandt wurden, hingegen macht er deutlich, dass es sich nicht um Einzelfälle handelte; vielmehr kündigten sich in solchen Äusserungen Elemente einer neuen Sinngebung des Aufenthalts in der Fremde an, die sich im 17. und 18. Jahrhundert verstärkten.
Aber auch die Schweiz, wo es, abgesehen von Basel, noch keine universitären Angebote gab, genoss eine über die regionalen Grenzen hinausgehende Anziehungskraft. Diese war vor allem klerikaler Natur. So zogen im 16. Jahrhundert katholische Geistliche u.a. aus dem Heiligen Römischen Reich, aus Staaten1, die heute zu Italien gehören, nach Luzern, damals Teil des Landes der Eidgenossen, wo sie als Reaktion auf fortschreitende Reformationsbewegungen das Jesuitenkolleg gründeten (Studhalter 1973). Bis Mitte des 17. Jahrhunderts nahm die Zahl der Studierenden ständig zu. In der Blütezeit besuchten bis zu 600 Studenten das Kollegium oder das später gegründete Lyzeum mit den Abteilungen Theologie und Philosophie (Luzern zählte damals rund 4000 Einwohner.). Dank diesem Bildungsangebot genoss Luzern ein hohes Ansehen über die Stadtgrenzen hinaus. Mit der 1605 von Bischof Johann VI. Fluggi erlassenen Anordnung, Kinder dürften „nicht zu Andersgläubigen in die Lehre, als Dienstboten oder in die Schule“ (Mayer 1914: 380), nahm die Mobilität weiter zu. In Graubünden gab es nämlich damals nur das Kloster in Disentis und die evangelische Nikolaischule in Chur (Maissen 1957). Deswegen kamen im Jesuitenkolleg Luzern im Zeitraum 1588–1778 rund 215 Bündner Studenten in den Genuss ihrer katholischen Schulbildung (Maissen 1957: 106). Mobilität war somit erstrebenswert und sozusagen unumgänglich. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass ihr auch in einem der „ludi autumnales“ (Herbstspiele), die sehr bedeutungsvoll waren, öffentlich aufgeführt wurden und den Übergang von einem Schuljahr zum andern markierten (Ehret 1921), ein Platz eingeräumt wurde. 1715 handelt das von der „studierende[n] Jugend dess Gymnasii der Gesellschafft Jesu zu Lucern“ verfasste Stück davon, wie Gerold aus Liebe zu Christus die Regierung trotz Widerstand des ihm gut gesinnten Adels und der ihn schätzenden Untertanen an seinen ältesten Sohn übergab, um in das „ober Teutschland“ zu reisen (Jugend dess Gymnasii der Gesellschafft Jesu zu Lucern 1715: s.p.). Aus Sicht der Jesuiten im Kollegium in Luzern – viele davon waren zwecks ihrer theologischen Studien selber mobil geworden – war bildende Mobilität positiv konnotiert und hing direkt mit Glaubensfragen und theologischer Ausbildung zusammen.
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