•welche Faktoren in ihrem bisherigen Leben zu einer Überforderung geführt haben,
•was an ihren derzeitigen Rahmenbedingungen nicht guttut,
•welche persönlichen Bewältigungsmuster nicht mehr sinnvoll sind (und warum),
•welche „Schwachstellen“ es möglicherweise in der eigenen Persönlichkeit gibt und wie sie neue Kraftquellen und Werkzeuge gewinnen, um mit dem eigenen Leben besser zurechtzukommen.
Zugegeben, unsere heutigen Lebensbedingungen mit all ihrer Hektik bereiten uns eine Menge Stress. Auch sind die Erwartungen von außen, aber auch die eigenen Ansprüche an Wohlstand und Glück oft viel zu hoch. So mancher kann dadurch aus dem Gleichgewicht geraten. Jeder Mensch hat jedoch – abgesehen von den gesellschaftlichen Bedingungen, die uns alle betreffen – ganz individuelle Voraussetzungen für seine Erkrankung. Nicht das absolute Maß an innerer und äußerer Belastung ist entscheidend dafür, ob Sie krank werden oder nicht. Vielmehr spielen Ihre ganz persönliche Vorgeschichte, Ihre körperliche und seelische Konstitution, aber auch Ihr ganz persönliches Schicksal eine wesentliche Rolle.
Im Laufe unserer Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen kann so manches schiefgehen. Da haben Sie vielleicht ein Leben lang Ihre fehlende Selbstsicherheit mit besonderer Leistungsbetonung und betont lockerem Auftreten übertünchen müssen. Sie haben sich vielleicht schon viel zu lange „zusammengerissen“, damit nur ja keiner merkt, wie es wirklich in Ihnen aussieht. Ausgerechnet Sie haben vielleicht einen Arbeitsplatz, an dem Ungerechtigkeiten oder Überforderungen an der Tagesordnung sind, was Sie schon seit Jahren in innere Not gebracht hat. Vielleicht sind Sie auch durch Schicksalsschläge völlig überfordert. Vergleiche mit anderen Menschen, die vielleicht den gleichen Belastungen ausgesetzt sind wie Sie, die aber gesund bleiben, nützen hier gar nichts.
In der Krise ist die Abwehr meist zusammengebrochen. Zusammenreißen geht nicht mehr. Tapfer sein auch nicht. Körper, Geist und Seele verweigern jegliche Leistung. Für jemanden, der es gewohnt war, sich ständig zu überfordern, ist das zunächst eine sehr bedrohliche Erkenntnis. Die Fassade bröckelt, die Fundamente wackeln. Im Grunde ist die Depression jedoch eine notwendige und „gesunde“ Verweigerung des ganzen Menschen, die dazu dient, sich neu im Leben auszurichten. Endlich ist Zeit, um Ihre gesamte Energie zur Regeneration all ihrer Kräfte zu nutzen.
Die typischen Symptome einer Depression, sowohl körperliche als auch seelische, wollen uns immer etwas sagen.So kann die Tatsache, dass Sie sich körperlich und seelisch völlig erschöpft fühlen und Ihr Herz viel zu schnell schlägt, daran erinnern, dass Sie mehr Stille, Schutz und Erholung brauchen. Die Tatsache, dass Ihr Gedächtnis und der gesamte Denkapparat, ja, oft sogar das Hörvermögen in Mitleidenschaft geraten sind, will signalisieren, dass Ihr Kopf dringend Entlastung braucht. Es fühlt sich oft an, wie wenn das System abgeschaltet hat, ein seelischer „Totstellreflex“, der wie im Tierreich dem Überleben dient. Auf diese Weise verschafft Ihre Seele sich mehr Gehör. Zu lange war sie unter Druck oder bekam zu wenig Aufmerksamkeit.
Manche Depressive trifft die Erkrankung zu einem Zeitpunkt, an dem die größten seelischen Belastungen eigentlich längst vorbei sind. So liegt vielleicht die überfordernde Pflege eines Angehörigen hinter ihnen und eigentlich könnte eine Phase des Aufatmens folgen. Vielleicht haben sie nach einer längeren Mobbingphase am Arbeitsplatz endlich wieder gute Arbeitsbedingungen. Offensichtlich hat die anstrengende Zeit ihre Seele jedoch so sehr überfordert, dass das System jetzt jeglichen Dienst verweigert. Jedoch kann auch die Tatsache, nun nicht mehr gebraucht zu werden oder unter Druck zu sein, eine tiefe Sinnkrise auslösen.
Bei Depressiven, die seit Jahren immer wieder Rückfälle haben und unter heftigen Symptomen leiden, fehlen nach meiner Erfahrung oft noch ganz bestimmte Bausteine für einen nachhaltigen Heilungsprozess, die es herauszufinden gilt. Vielleicht hat die bisherige Behandlung die tiefer liegenden Ursachen noch nicht berührt. Vielleicht fehlen noch Bewältigungsstrategien für den Umgang mit bestimmten Stressfaktoren. Vielleicht steckt dahinter ein Problem, das bisher noch nicht angesprochen werden konnte oder durfte. Vielleicht hat die Krankheit auch eine wichtige Bedeutung für Sie, die man nicht einfach ignorieren darf. Schließlich kann es sein, dass für eine dauerhafte Heilung noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist oder Sie noch nicht den Menschen gefunden haben, der Sie wirklich versteht.
Gerade in der Behandlung von traumabedingten Depressionen fehlt es vielfach noch an Wissen und Erfahrung, da die Auswirkungen von Traumen erst in den letzten zehn Jahren genauer verstanden werden. Vielen Betroffenen hat es geradezu „die Sprache verschlagen“, sodass es ihnen schwerfällt, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Manche werden auch als „therapieresistent“ angesehen, weil sie angeblich nicht „mitmachen“. Betroffene haben oft einen leidvollen Weg hinter sich, bei dem sie von Therapeuten die Zuschreibung bekommen haben, dass sie angeblich nicht therapiefähig seien. Das ist bitter! Mit dem tiefen Wunsch, gesund zu werden, und der hartnäckigen Suche nach einer kompetenten Begleitung können Betroffene jedoch Schritt für Schritt Fortschritte auf ihrem Gesundungsweg machen.
Genau dieser Prozess, nämlich herauszufinden, was Ihre Seele braucht, um wieder stabil zu werden, ist die Herausforderung dieser Krankheit. Wie im Folgenden beschrieben wird, können Sie selbst dazu eine Menge beitragen.
Worauf es bei der Heilung ankommt
Depression ist eine Antwort der Seele auf innere und äußere Not. Heilung erfolgt meist nicht direkt, sondern indirekt durch Herstellen guter Bedingungen – ein Gedanke, der in der naturheilkundlichen Medizin schon seit Jahrhunderten bekannt ist. In der wissenschaftlichen Medizin und nach der WHO-Definition wird mit „Gesundheit“ ein Zustand des vollkommenen körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen bezeichnet. Nach dieser Definition gibt es heute streng genommen kaum gesunde Menschen. Im naturheilkundlichen Denken wird hingegen unter Gesundheit die Fähigkeit verstanden, flexibel auf das reagieren zu können, was uns immer wieder aus unserer eigenen Mitte bringt. Hier wird vielmehr die grundsätzliche Regulationsfähigkeit unseres Körpers und unserer Seele in den Mittelpunkt gestellt. Statt eines Zustands von Symptomfreiheit geht es um die Fähigkeit, uns mithilfe unserer Selbstheilungskräfte zu regenerieren und wieder zu regulieren.
Für einen Menschen in der Krise bedeutet das, zu verstehen, wie es dazu gekommen ist und welche Faktoren die „Schieflage“ aufrechterhalten. Statt des Anspruchs unserer heutigen Gesellschaft auf völlige Unversehrtheit und Fitness geht es mehr um die Wertschätzung und Akzeptanz der eigenen Möglichkeiten, auch wenn diese unter Umständen begrenzt sind, sowie um unsere Verantwortung, das Beste aus dem eigenen Leben zu machen. Verständlicherweise bedeutet Gesundheit deshalb für den einen schon die Fähigkeit, wieder arbeiten zu können; für einen andern Menschen geht es um Stabilität und Glücksempfinden im privaten Bereich.
Dass es manchen Menschen schwerer fällt als anderen, wieder stabil zu werden, hat unter anderem mit der Neurotransmitterausstattung des Gehirns zu tun, die meist schon im Kindesalter ausgeprägt wird.
So hat eine Untersuchung ergeben, dass es konstitutionell gesehen zwei Gruppen von Kindern gibt. Die eine hat einen normalen Serotoninspiegel, der sie gegen Stresseinwirkungen sehr gut abfedert. Die andere Gruppe von Kindern weist einen erniedrigten Serotoninspiegel auf, wodurch die Kinder deutlich stressanfälliger sind. Interessant ist, dass eine fürsorgliche Haltung der Eltern in den ersten Lebensjahren diesen Mangel völlig ausgleicht und diese Kinder im Erwachsenenalter sogar besonders flexibel und stressresistent macht, mehr noch als die Kinder mit erhöhtem Serotoninspiegel. Belastende oder gar traumatische Kindheitserlebnisse wirken sich bei der einen Gruppe also besonders fatal aus, während die andere Gruppe davon weniger stark irritiert wird.
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