Vorwort zur zweiten Auflage
Liebe Leserin, lieber Leser!
Als wir dieses Buch dem Verlag übergeben haben, am 15. März 2020, war die Welt noch eine andere – und gleichzeitig gerade an einem Wendepunkt. Es war der Vorabend des ersten Lockdowns in Österreich. Ein neues Rauschen war im Raum. Noch ohne dass wir alle wussten, was da auf uns zukommen sollte, war es merkbar. Ein Rauschen, das für jede und jeden eine andere Bedeutung bekommen sollte.
Heute, beim Lesen des Buches in Vorbereitung der zweiten Auflage, haben wir dort einen besonders schönen Satz von Stephen Porges gefunden: „Sicherheit heißt nicht, die Gefahr wegzumachen, sie völlig auszuschließen, sondern das Gefühl für Sicherheit zu erhöhen.“
Dieser Satz kommt uns gerade jetzt besonders bedeutsam vor. Für uns als Waschbären und als Mäuse .
Er lädt uns ein, immer wieder innezuhalten: Moment einmal, was passiert da in mir? Wer in mir, welche meiner Seiten, ist gerade auf der inneren Bühne? Und wofür setzt sich diese Seite gerade ein? Und wie versucht sie das? Und wie wirkt sich das dann aus für mich – und für andere? Und mit welchem Blick schaue ich dann dadurch in die Welt? Zu welcher Welt wird diese dann? Für welche Welt will ich unterwegs sein? Wie kann ich mich so mit mir und allem in mir verbinden, und mit hilfreichen Quellen außerhalb von mir, so dass ich mich wieder sicher geborgen fühle, selbst wenn im Außen vieles im Ungewissen bleibt?
Wir haben viele E-Mails von Leserinnen und Lesern dazu bekommen und hören es auch in unseren Seminaren immer wieder, dass die hypnosystemische Haltung als ein so wohltuender Beitrag für den Umgang mit inneren und äußeren Welten empfunden wird – erzählerisch über die Figuren Maus, Waschbär und Frosch getragen.
Wir möchten uns auf diesem Weg für die vielen schönen, sehr persönlichen Rückmeldungen zum Buch und auch zum ergänzenden audiovisuellen Reiseproviant auf der Website bedanken, die uns erreicht haben. Wo Menschen erzählen, wie sie von Maus, Waschbär und Frosch inspiriert wurden und werden. Als Begleiterinnen und als Menschen insgesamt.
Und wir können sagen, dass es uns selbst nach wie vor genauso geht mit den Dreien. Immer wieder Frosch-Momente. Am Mäuse-Weg. Den Waschbären-Blick auf das gerichtet, was gesehen werden will. Neugierig auf die erstaunlichen Entwicklungen, die dadurch möglich werden. Für uns selbst. Und für die Welt.
Vera Popper und Martina GrossWien, November 2021
Wir sind räumliche Wesen, im dreidimensionalen Raum findet unser Erleben statt. Damit es zwischen die Seiten eines zweidimensionalen Buches passt, mit seiner linearen Logik, haben wir die Reise, auf die wir dich gerne mitnehmen möchten, entzerrt. Wir ent-zerren es, um auf etwas Gleichzeitiges schauen zu können.
Dabei sind wir uns der damit verbundenen Komplexitätsreduktion bewusst. Diese Idee würden wir dir gerne auch für die Nutzung der im Buch beschriebenen hypnosystemischen Methoden anbieten: Diese können »Halt« geben, damit Handeln möglich wird. Gleichzeitig bliebe das Arbeiten mit ihnen ohne Konzept und Haltung »halt-los«.
Das Buch enthält verschiedene Räume, die dich einladen, deine Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Aspekte zu richten (siehe dazu Abb. 1). Den Begriff der Räume möchten wir von Mechthild Reinhard 2übernehmen, die uns die essenzielle Notwendigkeit der Gestaltung von Räumen nähergebracht hat, in denen ein gewünschtes Erleben überhaupt erst stattfinden kann.
In diesen Räumen werden wir linear über Erlebensprozesse schreiben, die nicht linear sind, sondern in Wechselwirkungen miteinander verbunden. Daher sind diese Räume auch nicht-linear begehbar. Du kannst für dich entscheiden, ob du zuerst Informationen zu einem Inhalt bekommen möchtest, etwas selbst erleben willst, oder ob du Informationen über das Weitergeben an andere möchtest.
Der WissensRaum: Hier bekommst du, wie Gunther Schmidt 3es nennt, »Produktinformationen« zu Konzepten, Haltung und Methoden.
Der ErlebnisRaum: Dieser Raum enthält Einladungen, Methoden selbst zu erleben. Du findest hier neben Geschriebenem (wie z. B. Reflexionsfragen) auch Gesprochenes (wie z. B. Trancen) und Bebildertes.
Der BegegnungsRaum: Wenn du Menschen professionell auf ihren Entwicklungsreisen begleitest, dann findest du in diesem Raum Ideen, wie du sie dazu einladen kannst. Diese wiederum bewusst komplexitätsreduzierten Anleitungen kannst du nutzen, um Schritt für Schritt für dich zu erfahren, wie du deinen Klientinnen, Coachees und Kundinnen eine Methode anbieten kannst. Diese »didaktischen Skripte« basieren auf unseren jahrelangen Erfahrungen als Begleiterinnen und als Seminarleiterinnen, die sich intensiv mit hypnosystemischer Weiterbildung beschäftigt haben. Verstehe sie dennoch bitte als Anregung, um deine eigenen Versionen zu finden.
ErlebnisRaum und BegegnungsRaum führen dich auch aus den Buchseiten heraus auf die Website zum Buch: Dort möchten wir deine weiteren Sinne ansprechen und laden dich ein, dir Trancen anzuhören, unsere Anregungen zu Methoden anzuschauen, und bieten dir weitere nützliche Ressourcen an, die über das Buch hinausgehen. Diesen zusätzlichen audiovisuellen Reiseproviant kannst du in unserer Mediathek auf der Website erwerben.
www.hypnosystemischer-erlebnisraum.at
Als roten Faden im Buch möchten wir dir die Metapher einer Reise anbieten. Einer Reise, die durch die verschiedenen Welten führt, in denen wir hypnosystemisch unterwegs sind, um uns selbst oder andere in Entwicklungsprozessen zu begleiten. Auch dafür werden wir wiederum miteinander Verbundenes entzerren, um es beschreibbar zu machen. Im ersten Kapitel möchten wir dir deine Reisegefährtinnen vorstellen. Ergänzend möchten wir noch dazulegen, dass wir uns in diesem Buch auf die Begleitung im Einzelsetting fokussieren.
Diese Welten 4möchten wir nennen:
Ich-Welt: Das bewusste Denken, Kognition, Großhirnprozesse oder das, was wir zumeist unter unserer Alltagsrealität verstehen: unsere bewusst-willkürliche Fokussierung von Aufmerksamkeit.
Es-Welt: Die Intuition, Gehirn der Bilder, unser kluges Unbewusstes, also unsere unbewusst-unwillkürliche Fokussierung von Aufmerksamkeit.
Körper-Welt: Die unwillkürlichen und teilweise auch unbewussten Prozesse des Organismus, unser reaktives körperliches System, das die ganze Zeit Informationen verarbeitet und uns Feedback zu unserem Erleben gibt.
Universelle Welt: Eine für uns besonders schöne Ergänzung der inneren Welten – diese meint eine Ebene der Welt, in der wir alle miteinander und mit allem verbunden sind. Diese Welt existiert somit sowohl in uns als auch außerhalb von uns, jedoch nicht getrennt von uns. Diese inneren Welten stehen in Wechselwirkung mit der äußeren Welt, unseren verschiedenen Kontexten oder Bühnen im Leben. Hier ist unser »Ich« mit einem »Du« verbunden, sodass ein »Wir« entstehen kann.
Abb. 1: Der rote Faden durch das Buch
Die Reise beginnt mit einem »Rauschen«, mit einem Be-Merken, und endet mit dem Transfer, der Integration oder Kooperation (aus denen wiederum neues »Rauschen« entstehen kann).
Wir hoffen, dass dieser Einstieg dir eine erste Orientierung ermöglicht hat, und laden dich nun sehr herzlich ein, mit uns auf die Reise zu gehen …
2 Mitbegründerin der sysTelios Klinik: Eine private Akutklinik für Psychotherapie und psychosomatische Gesundheitsentwicklung in Siedelsbrunn (Deutschland). Gegründet und aufgebaut von Gunther Schmidt und Mechthild Reinhard.
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