Im ersten Teil stelle ich die Gotteslehre Kants dar. In diesem Teil wird die Bedeutung der apriorischen Theologie bzw. der Lehre vom transzendentalen Ideal hervorgehoben, die m.E. die Grundlage der kantischen Religionsphilosophie bildet. Außerdem wird die apriorische Theologie mit den aposteriorischen Theologien (dem symbolischen Anthropomorphismus und der Moraltheologie) in Zusammenhang gebracht. In diesem Teil versuche ich zu erklären, wie Kant die Gotteslehre innerhalb der Vernunft darstellt und wie Gott für ihn ein notwendiger Gegenstand der Vernunft ist. In diesem Teil werden in Kapitel 1 zwei verschiedene Weisen, Gott zu denken, thematisiert. Die apriorischen Eigenschaften Gottes sollen durch die Vernunft a priori begriffen werden, während Verstand und Wille nur aposteriorisch, nämlich durch das Verhältnis Gottes zur Zweckmäßigkeit der Welt, Gott zugeschrieben werden. Kapitel 2 zeigt auf, dass die Existenz Gottes nicht dadurch gesichert wird, dass die Methode apriorisch oder aposteriorisch ist. Aufgrund dessen werde ich in Kapitel 3 weiter diskutieren, warum die Moral die Existenz Gottes notwendig postuliert. In diesem Kapitel werden die Ähnlichkeit und der Zusammenhang zwischen der Moraltheologie und dem symbolischen Anthropomorphismus ins Zentrum gestellt.
Die Aufgabe des zweiten Teils ist die Erörterung der Gotteslehre Schleiermachers. Die Unerkennbarkeit Gottes ist der Leitfaden dieses Teils. Hier möchte ich klarmachen, dass sich diese Art der Unerkennbarkeit Gottes von der kantischen Unerkennbarkeit unterscheidet. Kurz gesagt, verneint Kant die Denkbarkeit Gottes nicht, während Schleiermacher sie vollständig ablehnt. Außerdem wird in diesem Teil auf die Frage eingegangen, ob die radikale Unerkennbarkeit Gottes in der Religionsbegründung Schleiermachers überhaupt möglich ist. Ausgehend davon untersucht Kapitel 4 die Gotteslehre seiner frühen Zeit, in der Kant und Spinoza einen großen Einfluss auf ihn hatten. Die Spinozaschrift und die Reden sollen als Ausbruch aus der kantischen Gotteslehre anhand der spinozianischen Philosophie betrachtet werden. Um die metaphysische Grundlage für diese radikale Unerkennbarkeit Gottes herauszufinden, interpretiert Kapitel 5 die Erkenntnistheorie in der Dialektik , wo Schleiermacher die Grenze der Erkenntnis deutlich in den Vordergrund stellt. Auf dieser Grundlage kritisiert er alle Formeln der Idee Gottes bzw. des transzendentalen Grundes. Damit wird die Denkbarkeit Gottes durch die Vernunft vollständig abgelehnt. Kapitel 6 beantwortet die Frage, ob sich ein Widerspruch zur radikalen Unerkennbarkeit Gottes in der Darstellung des religiösen Gefühls verbirgt. Das Kapitel weist darauf hin, dass nur in der zweiten Auflage der Glaubenslehre ein vorausgesetztes Wissen über Gott vermieden wird.
Einen grundlegenden Vergleich nehme ich im dritten Teil vor. Durch die Beschränkung der Erkenntnis auf die Erfahrung wird Gott ein Problem für den Verstand. Gott wird in die Welt der Noumena verschoben. Schleiermacher nimmt diese Tradition auf. Deshalb bildet die Unerkennbarkeit Gottes eine gemeinsame Voraussetzung oder die Grundlage für Kant und Schleiermacher. Obwohl die Unerkennbarkeit Gottes eine zentrale Herausforderung für beide Philosophen ist, haben sie je ihre eigenen Weisen erarbeitet, Gott zu denken. Meines Erachtens möchte Kant die Aporie über Gott innerhalb der Grenze der Vernunft lösen, indem er das allerrealste Wesen (das ens realissimum ) durch das Prinzip der durchgängigen Bestimmung aus der Vernunft entwickelt. Im Unterschied dazu betrachtet Schleiermacher Gott als Dasein außerhalb unserer Vernunft, jedoch mit der Überlegung, dass Gott immer tätig und handelnd in der Welt ist. Wir werden entdecken, dass die jeweiligen Betrachtungsweisen ihre eigenen Schwierigkeiten in sich bergen. Was Kant betrifft, liegt die Aporie seiner Theorie darin, dass die Existenz Gottes nicht direkt aus dem Begriff vom enti realissmo abgeleitet werden kann. Damit soll die Idee eines lebendigen Gottes nur auf aposteriorische Weise ergänzt werden. Im Gegensatz dazu ist die Existenz Gottes für Schleiermacher unmittelbar durch das religiöse Bewusstsein gesichert. Außerdem ist der lebendige Gott eine Voraussetzung für Schleiermachers Religionstheorie. Jedoch liegt im Ausschluss eines vorausgehenden Wissens um Gott ein innerer Widerspruch: Ohne über Gott theoretisch nachzudenken, wäre es unmöglich zu bestimmen, ob das im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl mitgesetzte X Gott ist. Um ihre aposteriorischen Erkenntnisse Gottes zu vergleichen, gebe ich der Moraltheologie Kants und der Religionstheorie Schleiermachers jeweils den Namen Moral-Physikotheologie und Bewusstseins-Kosmotheologie. Daraus ergibt sich, dass Kant den Verstand und den Willen Gottes für symbolisch und aus der Zweckmäßigkeit der Welt abgeleitet hält, während Schleiermacher alle Eigenschaften Gottes durch die Wirkung Gottes auf das religiöse Bewusstsein erkennen möchte, wobei die Zweckmäßigkeit der Welt keine Rolle spielt.
Aufgrund dieser Auslegungen kommt diese Untersuchung zum Schluss, dass die apriorischen und aposteriorischen Erkenntnisse Gottes untrennbar sein müssen. Darin liegt der Grund, warum m.E. die kantische Theorie logisch konsequenter als die Religionsphilosophie Schleiermachers ist. Es wird darauf hingewiesen, dass die Gottesbezogenheit für Schleiermachers Darlegungen über das religiöse Gemüt notwendig ist. Damit erscheint der Vorwurf der „Subjektivität“ als wenig stichhaltig.
A. Kant: Moral als Zugang zu Gott
Die Gottesfrage ist eines der Kernprobleme in der kantischen Philosophie. Kant diskutiert über Gott in seinen umfangreichen Schriften, nicht nur in den Schriften aus seiner vorkritischen und seiner kritischen Periode, sondern auch in nachgelassenen Schriften und Vorlesungen. Die Forschung interessiert sich dafür, wie sein Konzept von Gott systematisch und einheitlich zu verstehen ist. Allerdings beschäftigt sich diese Untersuchung nicht mit einer systematischen Erklärung der Gottesgedanken Kants, sondern mit den metaphysischen Grundlagen, die für eine systematische Interpretation nötig sind. Nur auf diesen Grundlagen kann ein Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher gerechtfertigt werden und erfolgreich sein.
Dieser Teil wird in folgende drei Kapitel gegliedert: In Kapitel 1 werde ich darauf hinweisen, dass Kant auf die transzendentale oder apriorische und aposteriorische Weise die Eigenschaften Gottes bestimmt hat. In Kapitel 2 wird dargelegt, dass die Gewissheit der Existenz Gottes dadurch aber nicht garantiert wird, mit anderen Worten, man kann niemals dogmatisch das Dasein Gottes ableugnen oder daran festhalten. Deswegen werde ich in Kapitel 3 ausführen, wie Kant durch die praktische Vernunft und Moralität die Gewissheit der Existenz Gottes wieder begründet.
1 Zwei Methoden, die Eigenschaften Gottes zu denken
Zunächst ist eine fundamentale Tatsache zu betonen: Kant behauptet zwar manchmal, dass Gottes Natur unerforschlich sei, so in den Prolegomena : „Wir gestehen dadurch: daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und auf bestimmte Weise sogar undenkbar sei“.1 Doch das bedeutet nicht, dass Kant es aufgegeben hat, Gott zu denken,2 noch viel weniger wäre Kant in das sogenannte „Menon-Paradox“ geraten, das die Unmöglichkeit beschreibt, einen ihm unbekannten Gegenstand zu suchen.3 In diesem Kapitel wird bewiesen, dass die Unerforschbarkeit und Undenkbarkeit Gottes bei Kant sich nur auf sein Dasein bezieht; es ist doch gänzlich möglich, Gottes Eigenschaften genau zu denken, obwohl Gott als Ding an sich nicht ein Gegenstand der Wahrnehmung und des Verstandes ist. Tatsächlich hat Kant auf viele verschiedene Arten versucht, Gottes Eigenschaften zu bestimmen.
Читать дальше