»Nein. Ich bin verheiratet und bleib' es. Ich will gar nicht den Heiligen markieren. Ich würde ganz gern mal rauskommen, was ausfressen und 'n paar Tropfen trinken. Aber man hat seine Pflichten –«
Er war froh, daß Nat sich zum Gehen anschickte. Doch er war unruhig. Er hörte Carola auf der Treppe. »Komm, setz dich zu mir!« rief er freundlich.
Sie reagierte nicht auf seine Freundlichkeit. Sie saß auf der Veranda, schaukelte schweigend und seufzte dann: »So viele Moskitos heute. Du hast die Netze noch nicht vorgehängt.«
Als ob er sie untersuchte, fragte er ruhig: »Wieder Kopfschmerzen?«
»Ach, nicht sehr, aber – das Mädel lernt so langsam. Alles muß ich ihr zeigen. Den größten Teil vom Besteck hab' ich selber putzen müssen. Und Hugh war den ganzen Nachmittag so schlimm. Er hat immer gewinselt. Der arme Kerl, 's war ihm heiß, aber er hat mich todmüd gemacht. Na – ich denke, ich geh' hinein und les' einen Augenblick – ich möchte mir die letzte Vogue ansehen – und dann werd' ich wohl schlafen gehen. Das heißt, wenn du mich nicht brauchst, Lieber? Natürlich, wenn du mich wirklich für etwas brauchst –?«
»Nein. Nein … Ja, eigentlich muß ich ja rein und nach Frau Champ Perry sehen. Es geht ihr nicht gut. Also geh nur rein und – Vielleicht mach' ich auch noch 'nen Sprung in die Drogerie. Wenn du schläfrig wirst und ich noch nicht zu Haus bin, so wart nicht auf mich.«
Er küßte sie, machte sich auf den Weg, nickte Jim Howland einen Gruß zu, blieb stehen, um ein paar gleichgültige Worte mit Frau Terry Gould zu sprechen. Aber sein Herz raste, sein Magen krampfte sich zusammen. Er ging langsamer. Er kam zu Dave Dyers Hof. Er sah hinein. Auf der Veranda, von wildem Wein eingerahmt, saß die Gestalt einer in Weiß gekleideten Frau. Er hörte das Sofa knacken, als sie sich plötzlich aufsetzte, hinausstarrte und sich dann wieder zurücklehnte.
»'n Glas kaltes Bier war' nicht schlecht. Nur auf 'ne Sekunde hineinschauen«, prägte er sich ein, während er die Tür öffnete.
Unter dem Schutz von Tante Bessie Smail machte Frau Bogart Carola einen Besuch.
»Haben Sie von der schrecklichen Person gehört, die angeblich hergekommen ist, um Kostüme zu nähen – eine Frau Swiftwaite – eine schreckliche Wasserstoffsuperoxydblonde?« ächzte Frau Bogart. »Bei ihr im Haus sollen ja die fürchterlichsten Dinge vor sich gehen, erzählt man – ganz junge Burschen und alte grauköpfige Knacker schleichen am Abend dort rein und trinken Schnaps, und alles mögliche soll sich da tun. Wir Frauen können uns nie ganz die fleischlichen Gedanken in den Herzen der Männer vorstellen. Ich sage Ihnen, obwohl ich Will Kennicott kenne, fast seit er 'n kleiner Junge war, ich würde nicht mal ihm trauen! Wer weiß, wozu raffinierte Frauenzimmer ihn verführen könnten! Besonders einen Arzt, wo immer Weiber reinkommen, um in seinem Büro mit ihm zu sprechen und so! Sie wissen, ich red' nie rum, aber haben Sie nicht auch so ein Gefühl gehabt, daß –«
Carola war wütend. »Ich will gar nicht behaupten, daß Will keine Fehler hat. Aber eines weiß ich: er ist so unschuldig in dem, was Sie ›sich tun‹ nennen, wie ein Kind. Und wenn er jemals ein so trauriger Schuft sein sollte, eine andere Frau anzusehen, dann hoffe ich wenigstens, daß er helle genug sein wird, um selbst die Frau zu verführen und sich nicht reinlegen zu lassen wie in Ihrer scheußlichen Geschichte da.«
»Aber, wie sündhaft, so etwas zu sagen, Carrie«, rief Tante Bessie.
»Nein, ich mein's ernst! Ach, natürlich mein' ich es nicht ernst! Aber – Ich kenne jeden Gedanken in seinem Kopf so gut, daß er mir nichts verbergen könnte, auch wenn er wollte. Erst heute früh – Er war gestern abend lang ausgeblieben: er hat zu Frau Perry gehen müssen, die nicht ganz auf dem Posten war, und dann hat er noch einem Mann die Hand in Ordnung gebracht, und heute früh war er so still und nachdenklich beim Frühstück und –« Sie beugte sich vor und flüsterte den beiden gespannt dahockenden Harpyen in dramatischen Tönen zu: »Woran, glauben Sie, hat er gedacht?«
»Nun?« zitterte Frau Bogart.
»Ob das Gras geschnitten werden muß, wahrscheinlich! Na, na! Seien Sie nicht böse, daß ich so ungezogen bin. Ich hab' ein bißchen frisches Rosinenbackwerk für Sie.«
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Kennicott mißbilligte die Bjornstams unentwegt. Er protestierte: »Wozu willst du dich mit dem Narren unterhalten?« Er gab zu verstehen, daß ein früheres »schwedisches Dienstmädchen« ein schlechter Umgang für den Sohn Dr. Will Kennicotts sei. Sie gab keine Erklärungen ab. Sie verstand sich selbst nicht ganz; sie wußte nicht, daß sie in den Bjornstams ihre Freunde, ihren Klub und ihre Portion wohltuenden Zynismus fand. Eine Zeitlang war das Geschwätz Juanita Haydocks und der Lustigen Siebzehn eine Zuflucht vor Tante Bessie gewesen, aber diese Freude hatte nicht lang gedauert. Ohne es recht zu wissen, hatte sie auf die Lustige Siebzehn, auf Guy Pollock, auf Vida und alle verzichtet außer Frau Westlake und den Freunden, die sie nicht deutlich als Freunde erkannte – den Bjornstams.
Für Hugh war der Rote Schwede die heldischste und mächtigste Persönlichkeit auf der ganzen Welt. Mit ungehemmter Bewunderung trottete er hinter Miles einher, wenn dieser die Kühe fütterte, sein Schwein jagte oder ein Huhn schlachtete. Und für Hugh war Olaf ein Edelmann unter den Sterblichen, weniger kraftvoll als der alte Monarch, der König Miles, doch mit mehr Verständnis für den Wert der Dinge – kleiner Stöcke, einzelner Spielkarten und hoffnungslos ruinierter Faßreifen.
Carola sah – allerdings gestand sie es nicht ein – daß Olaf nicht nur schöner war als ihr eigenes dunkelhaariges Kind, sondern auch anmutiger. Olaf war ein nordischer Herzog: gerade, hellhaarig, großgliedrig, voll strahlender Liebenswürdigkeit für seine Untertanen. Hugh war ein Spießbürger; ein betriebsamer Geschäftsmann. Hugh rief lärmend: »Spielen wir«; Olaf tat leuchtend blaue Augen auf und stimmte in herablassender Freundlichkeit zu: »Schön.« Wenn Hugh ihn prügelte – und Hugh prügelte ihn – zeigte Olaf keine Angst, aber er war entsetzt. In großartiger Einsamkeit marschierte er zum Haus, während Hugh seine Sünde und den Verlust der erhabenen Gunst beklagte.
Miles hatte mit seiner Molkerei Erfolg gehabt. Er besaß jetzt sechs Kühe, zweihundert Hühner und einen Ford-Lastwagen. Und im Frühjahr hatte er zwei Zimmer an seine Hütte angebaut.
Während der Arbeit an seinem Anbau hatte Miles offen mit Carola gesprochen. Er gestand jetzt ein, daß er ein Paria bleiben würde, solange er in Gopher Prairie lebte. Beas lutheranische Freunde nahmen an seinen agnostischen Spötteleien ebenso Anstoß wie die Kaufleute an seinem Radikalismus. »Und mir scheint, ich kann die Klappe nicht halten. Ich denk', ich bin ein Bählamm und lass' mich auf keine wilderen Theorien ein, als: ›man schreibt Katze K–a–t–z–e‹, aber wenn die Leute gegangen sind, merk' ich, daß ich ihnen auf ihre geliebten religiösen Hühneraugen getreten bin. Ach, der Vorarbeiter von der Mühle kommt noch immer her und der dänische Schuster und einer aus Elders Fabrik und 'n paar Schweden, aber sie kennen Bea ja: 'n großes, gutmütiges Kind wie sie braucht immer 'ne Menge Menschen um sich – muß sich um sie zu schaffen machen – ist nie zufrieden, wenn sie nicht für jemand Kaffee kochen kann.
Einmal hat sie mich erpreßt und in die Methodistenkirche geschleift. Ich geh' rein, fromm wie die Witwe Bogart, und sitz' still und grins' nicht ein einziges Mal, während der Prediger uns mit seinem Unwissen über die Evolution beehrt. Aber nachher, wie die alten Glaubensfesten bei der Tür allen die Arme ausreißen und sie ›Bruder‹ und ›Schwester‹ nennen, da lassen sie mich vorbeisegeln, ohne meine Pfote zu sehen. Sie denken sich, ich bin der schwarze Mann von der Stadt. Und das werd' ich wohl immer bleiben. Olaf wird dann weiterkommen müssen. Und manchmal – ich will verdammt sein, wenn ich nicht Lust hab', hinzugehen und zu sagen: ›Bis jetzt bin ich konservativ gewesen. Da ist nichts dran. Jetzt will ich was in den miserablen Holzfällerlagern im Westen von der Stadt anfangen.‹ Aber Bea hat mich hypnotisiert. Herrgott, Frau Kennicott, wissen Sie denn wirklich, was für 'ne nette, brave, treue Frau das ist? Und den Olaf hab' ich so gern – ach, ich werd' Ihnen jetzt nicht sentimental vorwinseln.
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