Da nickte der Terrorist wohlwollend.
»Darf ich Ihnen auch eine Frage stellen?«, fuhr Pertschenko fort.
Sein Gegenüber verzog keinen Gesichtsmuskel.
»Was haben Sie damit vor?«
Er fragte im Gegenzug: »Wurden die Vorrichtungen eingebaut, die jegliches Entschärfen verhindern?«
»Die neusten, die es auf dem Markt gibt«, beteuerte Pertschenko mit dezent prahlerischem Ton.
»Dann haben Sie alles getan, worum ich Sie bat.« Der Araber trat vom Tisch und aus dem einfallenden Licht zurück. »Wären Sie nun so freundlich, diese Bomben von Ihren Männern in den Kofferraum meines Wagens legen zu lassen?«
Der Russe nickte, wodurch sich seine Gehilfen aufgefordert sahen, der Bitte des Ausländers nachzukommen.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, erinnerte Pertschenko. »Was haben Sie damit vor?«
Der Araber trat zur Seite, während die Bewaffneten die Kisten vom Tisch hoben, und machte sich auf den Weg zu seinem SUV, der vor der Hütte parkte. Die Heckklappe war bereits offen.
»Ich finde, bei einem Preis von dreißig Million Dollar steht mir das Recht zu, dergleichen für mich zu behalten.«
Pertschenko hielt seine Hände hoch, wie um sich zu ergeben. »Ich wollte Ihnen mit der Frage nicht zu nahe treten, mein Freund, keineswegs.«
Der Mann verließ das Gebäude ohne weitere Bemerkung.
»Nur damit Sie es wissen«, rief ihm der Russe hinterher. »Geschäfte mache ich weder zweimal am selben Ort noch mit denselben Personen. Meines Erachtens ist das wesentlich sicherer.«
Der Araber drehte sich nicht um, sondern hob nur eine Hand, um zu zeigen, dass er es gehört hatte, und ging weiter. »Ich habe keinen Bedarf an weiteren Dienstleistungen. Das ist alles, was ich brauche.« Schließlich trat er hinaus.
Wenige Augenblicke später heulte der Motor der Geländelimousine auf, und gleich darauf entfernte sie sich die kurvige Auffahrt hinunter.
Pertschenko blieb im Lichtkegel stehen. Sein Gesicht war mit fest geschlossenem Mund verzogen, während er hinterfragte, ob er mit klug entschieden hatte. Der Missbrauch bestimmter Waffen mochte erhebliche Konsequenzen auf der ganzen Welt nach sich ziehen, sodass hinterher nichts als Schutt und Asche zurückblieb.
Er war allerdings bereit, dies in Kauf zu nehmen – auch noch mit vierundsiebzig.
Andererseits wusste er insgeheim, dass er seinen gesunden Menschenverstand der Habsucht wegen hintangestellt hatte. Schlimmer noch – ihm wurde klar, er hatte einem Kind eine geladene Pistole gegeben, das nichts von den möglichen Folgen ihrer Verwendung verstand.
Pertschenko schloss die Augen und dachte darüber nach, was er wohl in Bewegung gesetzt haben mochte.
Wohngebiet Cipro, Rom, Italien | Sechs Monate später
Es hörte sich an wie ein Kind, dessen Geschrei man vage nebenbei mitbekam – jene Art von Geräusch, die fern und dumpf klingt, wie ein Schrei vom anderen Ende eines langen Tunnels oder auch irgendetwas aus einem schwammigen Traum. So oder so, Vittoria Pastore fiel es auf.
Die Mutter von drei Kindern hob ihren Kopf ein klein wenig vom Kissen und horchte.
Im Zimmer war es dunkel. Die Schatten bewegten sich nicht. Draußen wehte leichter Wind durch die Äste der Bäume vorm Schlafzimmerfenster.
Aber kein Ton mehr.
Nachdem sie den Kopf wieder gesenkt hatte, brummelten abermals leise Stimmen vor der Tür.
Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte 3:32 Uhr an.
Vittoria stützte sich auf einen Ellbogen und lauschte erneut, während sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Zu ihrer Linken neben dem Fenster stand ein Kleiderschrank, ein edles antikes Stück mit üppigen Verzierungen – handgeschnitzten Putten über den Türen –, und direkt vor ihr die zugehörige Kommode mit einem Spiegel, in dem sie sich gerade sah. Wie zur Bestätigung ihrer Ungewissheit in diesem Moment rutschte ihr eine Haarsträhne in die Stirn, gelockt wie mehrere Fragezeichen untereinander, was ihren zutiefst argwöhnischen Blick noch intensiver wirken ließ. Ist da draußen jemand?
Die Antwort erhielt sie prompt: Es klang abermals wie ein ferner Schrei, nahezu unhörbar. Sie fuhr erschrocken hoch und drückte sich die Fäuste gegen die Brust. »Chi c'è?« Wer ist da?
Die Frage war kaum lauter als geflüstert.
Stille.
Sie wiederholte sie, diesmal lauter: »Chi c'è?«
»Mama? Mama, vieni qui.« Mama. Mama, komm her.
Obwohl der Rufer weit entfernt zu sein schien, gab es für sie kein Vertun: Es handelte sich um ihren fünfzehnjährigen Sohn, es war die Stimme eines Knaben, der zu einem erwachsenen Mann heranreifte. »Basilio, sono le tre e trenta del mattino. Che c'è?« Basilio, es ist halb vier in der Früh. Was ist los?
Basilios nächster Ruf klang dringlicher, als jammere er vor Entsetzen. »Per favore, mama. Per favore!« Bitte, Mama. Bitte!
Plötzlich knallte die Tür am anderen Ende des Flurs zu, dass das ganze Haus vibrierte.
»Basilio?«
Nichts.
»Basilio?«
Vittoria warf die Decken beiseite und stand nach kaum sechs Schritten an der Schlafzimmertür. Im Flur davor blieb es finster. »Basilio?« Sie tastete blind im Dunkeln, bis sie den Lichtschalter fand, und drückte darauf, immer wieder.
Die Lampen gingen nicht an.
Daraufhin schlich sie langsam zum Zimmer der Kinder, die Arme vorgestreckt wie eine Untote.
Bei Tag waren die Wände so hellblau, dass es Nichteuropäern weiß vorgekommen wäre, wohingegen es Vittoria an den strahlenden Putz der Reihenhäuser an den Kanälen Venedigs erinnerte, vor allem das ihrer Eltern, in dem sie aufgewachsen war. Nachts blieb die Wand allerdings ebenfalls dunkel.
Vittoria bewegte sich auf dem Flur vorwärts, indem sie sich mit den Händen an den vielen Gegenständen orientierte, die an den Wänden hingen, wobei sie die meisten verschob, sodass sie schief hängen blieben, was sie später wieder zu berichtigen gedachte.
Sanft und leise trat sie auf, die Bohlen fühlten sich unter ihren Füßen kalt an wie die Schatten überall ringsum.
»Während sie sich dem Kinderzimmer näherte, machte sie Helligkeit unter der Türschwelle aus.
»Basilio?«
Die Tür ging von selbst auf wie zur Einladung, aber nicht ganz, und gleichzeitig flutete Licht aus dem Raum in den Flur.
»Mama?«
»Basilio, che diavolo ci fai?« Basilio, was zur Hölle tust du da?
Sie öffnete die Tür ganz und sah den Jungen mit seinen beiden jüngeren Schwestern in den Armen auf der Couch sitzen. Alle weinten.
Neben ihnen stand ein dunkelhäutiger Mann, der ein Soldatengewehr auf sie richtete. Er trug eine Armeehose und einen schwarzen Kapuzenpullover. An der Waffe war ein Schalldämpfer, der so lang wie der Lauf selbst war, dessen Maß also verdoppelte.
In einem Sessel gegenüber der Couch saß ein Bursche mit übereinandergeschlagenen Beinen und auf die Armlehnen gestützten Ellbogen, der die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinanderdrückte. Er sah unwesentlich älter als ihr Sohn aus, schaute die Mutter jedoch zwanglos wie eine alte Freundin an. Er war schmächtig und hatte einen zerrupften Bart. Sein Blick wirkte freudlos, so lange er auf ihr ruhte. Gleich darauf verwies er mit einer Hand auf einen zweiten Sessel, der vor ihm stand.
»Bitte«, begann er. »Ihren Kindern geschieht nichts, wenn Sie tun, was ich sage. Sie haben mein Wort.« Seine Stimme klang buchstäblich honigsüß, sein Italienisch war tadellos. »Bitte.«
Vittoria zog den Stoff ihres Nachthemds am Ausschnitt zusammen und nahm wie aufgefordert Platz. Ihr Kinn zitterte, während sie die Eindringlinge ansah. »Was soll das heißen?«, wollte sie wissen.
Der junge Kerl antwortete nicht. Er taxierte sie bloß weiter, wobei er seine Finger immerzu nachdenklich gegeneinander beugte und streckte.
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