(Marc klopft auf den Tisch. Der Wirt kommt.)
WIRT. Welchen Wein darf ich den Herrschaften servieren?
MARC (zu Gabriel). Welchen Wein darf er Eurer Herrschaft servieren?
GABRIEL (zum Wirt). Was für eine Frage! Natürlich den besten!
(Der Wirt entfernt sich. Zu Marc.)
Sag mal! Kannst du dich nicht lockerer geben? Vergisst du etwa, wo wir sind, und willst du mich bloßstellen?
MARC. Ich werde mein Bestes geben … Aber ich bin das eben nicht gewohnt … Sind Sie sicher, dass es hier ist?
GABRIEL. Ganz sicher. Wohl wahr! Die Spelunke schaut übel aus, das stimmt; aber es kommt darauf an, wie man die Dinge sieht. Los, alter Freund, ein bisschen Dreistigkeit!
MARC. Es tut mir weh, Sie hier zu sehen! … Wenn jemand Sie erkennen würde …
GABRIEL. Das wäre sicher von allerbester Wirkung.
GRUPPE STUDENTEN. – ERSTER STUDENT. Wetten, dieser junge Taugenichts ist mit seinem Onkel hier, um ihn betrunken zu machen und ihm zwischen zwei Gläsern Wein seine Schulden zu gestehen?
ZWEITER STUDENT. Der da? Das ist ein gesitteter Junge. Allein schon an den Falten seiner Halskrause sieht man, wie pedantisch er ist.
DRITTER STUDENT. Welcher von beiden?
ZWEITER STUDENT. Beide.
MARC (klopft auf den Tisch). Und? Unser Wein?
GABRIEL. Wunderbar! Klopf noch lauter!
GRUPPE GEDUNGENER MÖRDER.
ERSTER MÖRDER. Die Leute da haben’s aber eilig! Brennt diesem alten Irren die Kehle?
ZWEITER MÖRDER. Sie sind ordentlich angezogen.
DRITTER MÖRDER. Komisch! Ein Alter und ein Kind! Wie spät ist es?
ERSTER MÖRDER. Lenk den Wirt ab, dass er sie nicht zu schnell bedient. Bis sie zwei Karaffen geleert haben, haben wir sicher Mitternacht.
ZWEITER MÖRDER. Sie sind gut bewaffnet.
DRITTER MÖRDER. Ach was! Der eine bartlos, der andere zahnlos.
(Astolphe tritt ein.)
ERSTER MÖRDER. Puh! Da ist ja dieser Hitzkopf Astolphe. Wann sind wir den endlich los?
VIERTER MÖRDER. Wann wir wollen.
ZWEITER MÖRDER. Er ist heute allein.
VIERTER MÖRDER. Aufgepasst!
(Er zeigt auf die Studenten, die sich erheben.)
DIE GRUPPE STUDENTEN.
ERSTER STUDENT. Da ist ja der König der Haudegen, Astolphe. Laden wir ihn ein, eine Karaffe mit uns zu leeren; seine Lustigkeit wird uns wachmachen.
ZWEITER STUDENT. Lieber Himmel, nein. Es ist schon spät, auf den Straßen treibt sich das Gesindel herum.
ERSTER STUDENT. Hast du nicht deinen Degen?
ZWEITER STUDENT. Ach, ich habe diese Dummheiten satt. Dafür sind die Büttel da, nicht wir, um jede Nacht den Dieben nachzustellen.
DRITTER STUDENT. Außerdem gefällt mir dein Astolphe gar nicht. Er mag ja arm und ausschweifend sein, aber er kann nicht vergessen, dass er von Adel ist, und manchmal überkommt ihn wie von selbst sein herrschaftlicher Dünkel, dass ich Lust bekomme, ihn zu ohrfeigen.
ZWEITER STUDENT. Und diese beiden braven Spießer da, die traurig in der Ecke trinken, sehen mir aus wie schlecht verkleidete deutsche Junker.
ERSTER STUDENT. In dieser Kneipe ist heute Abend wirklich schlechtes Publikum. Gehen wir.
(Sie bezahlen den Wirt und gehen. Die Mörder verfolgen jede ihrer Bewegungen. Gabriel ist in die Beobachtung von Astolphe versunken, der sich grimmig auf eine Bank geworfen hat, die Ellbogen auf dem Tisch, ohne etwas zu bestellen und ohne irgendwen anzusehen.)
MARC (leise zu Gabriel). Ein gutaussehender junger Mann; aber wie schlecht gekleidet! Sehen Sie nur, seine Halskrause ist zerrissen und sein Wams voller Flecken!
GABRIEL. Daran ist sein Kammerdiener schuld. Diese edle Stirn! Ach, hätte ich doch diese männlichen Züge, diese breiten Hände …
ERSTER MÖRDER (mit einem Blick aus dem Fenster). Sie sind weg … Wenn diese beiden Idioten, die da hocken, ohne auszutrinken, doch endlich auch gehen würden …
ZWEITER MÖRDER. Du willst ihn hier angehen? Der Wirt ist ein Feigling.
DRITTER MÖRDER. Deshalb erst recht.
ZWEITER MÖRDER. Er wird schreien.
VIERTER MÖRDER. Wir bringen ihn schon zum Schweigen.
(Es schlägt Mitternacht.)
(Astolphe haut mit der Faust auf den Tisch. Die Mörder beobachten abwechselnd ihn und Gabriel, der nur Augen für Astolphe hat.)
MARC (leise zu Gabriel). Da sind übel aussehende Leute, die Sie dauernd anstarren.
GABRIEL. Sie finden es eben lustig, wie ungelenk du dein Glas hältst.
MARC (trinkend). Dieser Wein ist entsetzlich, ich fürchte, er steigt mir zu Kopf.
(Langes Schweigen.)
ERSTER MÖRDER. Der Alte schläft ein.
ZWEITER MÖRDER. Er ist doch gar nicht blau.
DRITTER MÖRDER. Aber doch schon ziemlich grau. Geh und sieh nach, ob nicht Mezzani draußen auf der Straße ist; es ist seine Zeit. Dieser junge Bursche mit den Glotzaugen hat einen schwarzsamtenen Rock, der nicht nach löchrigen Taschen aussieht.
(Zweiter Mörder geht zur Tür.)
WIRT (zu Astolphe). Nun, Herr Astolphe, welchen Wein darf ich Ihnen bringen?
ASTOLPHE. Scher dich zum Teufel!
DRITTER MÖRDER (halblaut zum Wirt, ohne dass Astolphe es merkt). Dieser Herr hat schon dreimal Malvasier bestellt.
WIRT. Wirklich?
(Er läuft nach draußen. Der erste Mörder macht dem dritten ein Zeichen, welcher wie zufällig eine Bank vor die Tür schiebt. Der zweite kommt mit einem fünften Kumpan zurück.)
ERSTER MÖRDER. Mezzani?
MEZZANI (leise). Abgemacht. Zwei Fliegen mit einer Klappe … Der Moment ist günstig. Die Wache ist eben durch. Ich breche einen Streit vom Zaun.
(Laut.)
Welcher Flegel reißt denn hier so ungeniert das Maul zum Gähnen auf?
ASTOLPHE. Flegel gibt es hier nur einen: Sie, Meister.
(Er fängt wieder an zu gähnen und reckt genüsslich die Arme.)
MEZZANI. Herr Zaushaar, achten Sie auf Ihre Manieren.
ASTOLPHE (streckt sich aus, als wollte er schlafen). Still, Großmaul, ich bin müde.
ERSTER MÖRDER (wirft mit seinem Glas nach ihm). Astolphe, auf dein Wohl!
ASTOLPHE. Na endlich; es hat mir schon gefehlt, dass ich heute noch keinen Krug zerbrochen und keinen Hund geschlagen habe.
(Er geht auf sie los, schiebt seinen Tisch schnell vor sich her. Der Tisch der Mörder kippt um, ihre Flaschen und Leuchter fallen. Der Kampf beginnt.)
MEZZANI (hält Astolphe an der Gurgel). He, ihr Trampel, auf das Kind mit euch!
ERSTER MÖRDER (geht auf Gabriel los). Der zittert ja.
(Marc wirft sich vor ihn, wird zu Fall gebracht. Gabriel tötet den Mörder mit einem Pistolenschuss aus nächster Nähe. Ein anderer geht auf ihn los. Marc steht auf. Sie duellieren sich. Gabriel ist blass und still, kämpft aber kaltblütig.)
ASTOLPHE (befreit sich von Mezzani, arbeitet sich kämpfend zu Gabriel vor). Gut, junger Löwe! Nur Mut, mein schöner junger Mann! …
(Er durchstößt Mezzani mit dem Degen.)
MEZZANI (fallend). Zu Hilfe, Kameraden! Ich bin tot …
WIRT (von draußen schreiend). Hilfe! Mord! Ein Hauen und Stechen in meinem Haus!
(Der Kampf geht weiter.)
ZWEITER MÖRDER. Mezzani tot … Sanche halb tot … drei gegen drei … Gute Nacht!
(Er flieht Richtung Tür; die beiden anderen wollen ihm nach. Astolphe tritt ihm in den Weg.)
ASTOLPHE. Oh nein, so nicht. Tod den Bestien! Das ist für dich, Galgenheld! Und für dich, Langfinger!
(Er drängt zwei in die Ecke, verletzt einen, der um Gnade winselt. Marc verfolgt den anderen, der zu fliehen versucht. Gabriel entwaffnet den dritten und legt ihm den Dolch an die Kehle.)
MÖRDER (zu Gabriel). Gnade, junger Herr, Gnade! Schau, das Fenster steht offen, ich kann davon … stürz mich nicht ins Verderben! Das hier war mein erstes Verbrechen, es wird mein letztes sein … Lass mich nicht an Gottes Gnade zweifeln! Lass mich! … Erbarmen!
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