DER PRÄZEPTOR. Alles, was Eure Hoheit angeordnet haben, wurde gewissenhaft erfüllt, und alles ist wunderbar geglückt.
DER FÜRST. Sei gelobt, Fortuna! … wenn Sie nichts übertreiben, Pater. So wurde also nichts unversucht gelassen, um seinen Geist zu formen, um ihn mit allem Wissen zu schmücken, das ein Fürst besitzen muss, um seinem Namen und seinem Rang Ehre zu machen?
DER PRÄZEPTOR. Eure Hoheit sind umfassend gebildet. Ihr werdet selbst meinen edlen Schüler befragen können und sehen, dass sein Studium anspruchsvoll und durch und durch männlich war.
DER FÜRST. Lateinisch, Griechisch, hoffe ich?
DER PRÄZEPTOR. Er beherrscht das Lateinische wir Ihr selbst, das darf ich sagen, Euer Gnaden; und das Griechische … wie …
(Er lächelt gewandt.)
DER FÜRST (herzlich lachend). Wie Sie, Pater? Wunderbar, ich danke Ihnen und gestehe Ihnen in diesem Punkt die Überlegenheit zu. Und Geschichte, Philosophie, Literatur?
DER PRÄZEPTOR. Das kann ich mit Sicherheit bejahen; die Ehre fällt dabei ganz dem Verstand des Schülers zu. Seine Fortschritte waren schnell, geradezu erstaunlich.
DER FÜRST. Studiert er gerne? Gelten seine Vorlieben ernsten Dingen?
DER PRÄZEPTOR. Er studiert gerne, und er ertüchtigt sich auch gerne, liebt die Jagd, die Waffen, den Wettlauf. Seine Geschicklichkeit, seine Ausdauer und sein Mut gleichen die körperliche Kraft aus. Seine Vorlieben gelten den ernsten Dingen, aber er hat auch die Vorlieben seines Alters: für schöne Pferde, reiche Gewänder, glänzende Waffen.
DER FÜRST. In diesem Fall steht alles zum Besten, und Sie haben meine Absichten vollkommen begriffen. Jedoch ein Wort noch. Haben Sie es verstanden, seinen Gedanken diese besondere, ganz eigene Ausrichtung zu geben … Sie wissen, was ich meine?
DER PRÄZEPTOR. Ja, Euer Gnaden. Seit seiner zartesten Kindheit (Eure Hoheit hatten selbst seiner Phantasie diesen ersten Anstoß gegeben) wurde er durchdrungen von der ruhmreichen Stellung des Mannes und von der Schmach der weiblichen Rolle in Natur und Gesellschaft. Die ersten Gemälde, die er erblickt hat, die ersten Grundzüge der Geschichte, die ihm zu denken gegeben haben, haben ihm die Schwäche und Dienstbarkeit des einen Geschlechts vor Augen geführt, sowie die Freiheit und Macht des anderen. Seht hier auf diesen Tafeln die Fresken, die ich nach Eurem Befehl habe fertigen lassen: auf dieser den Raub der Sabinerinnen, auf jener Tarpeias Verrat; dann die Verbrechen und Bestrafung der Danaiden; dort der Verkauf von Sklavinnen im Orient; andernorts gibt es verstoßene Königinnen, geächtete oder verratene Geliebte, hinduistische Witwen auf dem Scheiterhaufen ihres Gatten; überall die Frau als Sklavin, Besitz, Eroberung, die, wenn sie ihre Ketten abzuschütteln versucht, zu nichts als Lüge, Verrat, feigen und nutzlosen Verbrechen greifen kann und sich dadurch doch nur einer noch härteren Strafe aussetzt.
DER FÜRST. Und welche Gefühle haben diese ständigen Beispiele in ihm erweckt?
DER PRÄZEPTOR. Eine Mischung aus Abscheu und Mitleid, aus Sympathie und Hass …
DER FÜRST. Sympathie, sagen Sie? Ist er denn je einer Frau begegnet? Hat er je ein paar Worte wechseln können mit den Vertreterinnen eines anderen Geschlechts als … seinem? …
DER PRÄZEPTOR. Ein paar Worte wohl; ein paar Gedanken nie. Er hat nur von weitem die Bauernmädchen gesehen, und er würde niemals mit ihnen sprechen.
DER FÜRST. Und Sie meinen wirklich, dass er selbst nichts von der Wahrheit ahnt?
DER PRÄZEPTOR. Seine Jugend war so keusch, seine Gedanken sind so rein, die Wahrheit ist ihm mit einem so undurchdringlichen Schleier verhüllt, dass er nichts ahnt und erst aus dem Mund Eurer Hoheit erfahren wird, was er erfahren muss. Allerdings muss ich Euch warnen: Es wird ein harter Schlag, ein heftiger, vielleicht ein übersteigerter Schmerz … Das ist nun die Kehrseite der Dinge …
DER FÜRST. Bestimmt … gut so. Sie werden ihn im Gespräch vorbereiten, wie wir es vereinbart haben.
DER PRÄZEPTOR. Euer Gnaden, ich höre ein Pferd im Galopp … Er ist es. Wenn Ihr durch dieses Fenster sehen wollt … Er kommt.
DER FÜRST (steht lebhaft auf und blickt, versteckt hinter dem Vorhang, durchs Fenster). Was denn! Dieser junge Mann auf einem schwarzen Pferd, so schnell wie der Wind?
DER PRÄZEPTOR (stolz). Ja, Euer Gnaden.
DER FÜRST. Der Staub, den er aufwirbelt, verhüllt mir sein Gesicht … Dieses prächtige Haar, diese elegante Gestalt … Ja, das muss ein hübscher Reiter sein … Gute Haltung auf dem Pferd; Anmut, Geschick, Kraft sogar … Wie! Wird er etwa über die Mauer springen, dieser junge Heißsporn?
DER PRÄZEPTOR. Wie immer, Euer Gnaden.
DER FÜRST. Bravissimo! Ich hätte es mit fünfundzwanzig nicht besser gemacht. Pater, wenn die übrige Erziehung genauso gelungen ist, beglückwünsche ich Sie und werde Sie zu Ihrer Zufriedenheit entlohnen, verlassen Sie sich darauf. Jetzt trete ich in den Raum, den Sie mir angewiesen haben. Hinter dieser Wand höre ich Ihre Unterredung mit. Ich muss mich selbst darauf vorbereiten, ihn zu sehen, muss ihn etwas kennen lernen, bevor ich mit ihm spreche. Ich bin ergriffen, das gestehe ich offen, Pater. Das hier ist ein ernster Moment in meinem Leben und im Leben dieses Kindes. Alles wird sich in einem Augenblick entscheiden. Von seinem ersten Eindruck hängt die Ehre einer ganzen Familie ab. Die Ehre! Welch leeres, welch allmächtiges Wort …!
DER PRÄZEPTOR. Der Sieg wird Euer sein, wie immer, Euer Gnaden. Zwar konnte ich seine Instinkte nicht vollständig nach Eurem Willen formen, und so wird sich seine schwärmerische Seele in der ersten Bestürzung vielleicht auflehnen; doch die Abscheu vor der Sklaverei, der Durst nach Unabhängigkeit, nach Tätigkeit und Ruhm werden über alle Skrupel triumphieren.
DER FÜRST. Ich hoffe, Sie orakeln richtig! Ich höre ihn … sein Schritt ist beherzt! Ich gehe hier hinein … Ich gebe Ihnen eine Stunde … mehr oder weniger, je nach …
DER PRÄZEPTOR. Euer Gnaden, Ihr werdet alles hören. Wenn Ihr wünscht, dass er vor Euch tritt, lasst einen Gegenstand fallen; dann weiß ich Bescheid.
DER FÜRST. Nun denn!
(Er betritt den Nebenraum.)
DER PRÄZEPTOR, GABRIEL
(Gabriel im modischen Jagdgewand, langes, lockiges, zerzaustes Haar, die Gerte in der Hand. Er wirft sich schnaufend auf einen Stuhl und wischt sich die Stirn.)
GABRIEL. Puh! Ich kann nicht mehr.
DER PRÄZEPTOR. Sie sind tatsächlich bleich, Monsieur. Sie hatten doch nicht etwa einen Unfall?
GABRIEL. Nein, aber beinahe hätte mein Pferd mich abgeworfen. Dreimal hat es in vollem Galopp gescheut. Merkwürdig, das ist mir mit diesem Tier noch nie passiert. Mein Reitknecht sagt, das ist ein schlechtes Omen. Für mich ist es ein Zeichen, dass mein Pferd launisch wird.
DER PRÄZEPTOR. Sie wirken erschüttert … Sie sagen, Sie wären beinahe abgeworfen worden?
GABRIEL. Ja, tatsächlich. Beinahe, beim dritten Mal. Und da bin ich wirklich erschrocken.
DER PRÄZEPTOR. Erschrocken? Sie, ein so guter Reiter?
GABRIEL. Nun, ich bekam Angst, wenn Sie so wollen.
DER PRÄZEPTOR. Nicht so laut, Monsieur, man könnte Sie hören.
GABRIEL. Na, und wenn? Bin ich etwa einer, der seine Worte hütet und seine Gedanken versteckt? Was wäre daran so beschämend?
DER PRÄZEPTOR. Ein Mann darf niemals Angst haben.
GABRIEL. Genauso gut könnte man sagen, mein lieber Pater, ein Mann darf nie frieren oder nie krank sein. Ich glaube, ein Mann darf seinen Feind nur nie sehen lassen, dass er Angst hat.
DER PRÄZEPTOR. Der Mann ist von Natur aus dazu veranlagt, sich der Gefahr zu stellen, und eben das unterscheidet ihn von der Frau.
GABRIEL. Die Frau! Die Frau, ich weiß nicht, weshalb Sie mir immer von der Frau anfangen. Ich jedenfalls habe nicht das Gefühl, dass meine Seele ein Geschlecht hat, wie Sie es mir so oft beweisen wollen. Zu nichts verspüre ich in mir eine absolute Fähigkeit: Zum Beispiel fühle ich mich nicht absolut tapfer, und auch nicht absolut feige. Es gibt Tage, wenn unter der heißen Mittagssonne meine Stirn glüht, mein Pferd vom Galopp berauscht ist wie ich, da würde ich allein zum Vergnügen über die tiefsten Abgründe unserer Berge hinwegsetzen. Und es gibt Abende, da erschauere ich beim Klappern eines Fensters im Wind und würde um keinen Ruhm in der Welt ohne Licht über die Schwelle meiner Kapelle treten. Glauben Sie mir, wir stehen alle unter dem Eindruck des Augenblicks, und würde ein Mann vor mir behaupten, er habe noch nie Angst gehabt, so hielte ich ihn für einen Angeber, genauso wie eine Frau mir sagen könnte, dass sie an manchen Tagen voller Mut ist, ohne dass ich mich wundern würde. Als Kind habe ich mich der Gefahr oft bereitwilliger gestellt als heute: Denn ich war mir ihrer nicht bewusst.
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