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Empfehlenswert ist es, mit externen Beratern eine Vertraulichkeitsvereinbarung sowie eine Vertragsstrafenvereinbarung für den Fall zu treffen, dass widerstreitende Interessen vertreten werden.[21] Dies gilt jedenfalls dann, wenn Berater eingeschaltet werden, die nicht bereits aufgrund berufsrechtlicher Vorschriften entsprechenden Verpflichtungen unterliegen (wie z.B. Rechtsanwälte und Steuerberater).
4. Konkrete Maßnahmen zur Informationsgewinnung
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Der Begriff der unternehmensinternen Untersuchung ist ein weiter, auch etwas unbestimmter Begriff. Von einem informellen Gespräch mit einem einzelnen Mitarbeiter, bis hin zur groß angelegten konzernweiten Untersuchung mit Befragungen ganzer Abteilungen, kann vieles unter diesen Begriff gefasst werden.[22]
a) Anwendbarkeit der Business Judgement Rule
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Für die Auswahl der Maßnahmen, mit denen die benötigten Informationen erlangt werden sollen, also das „Wie“ der Untersuchung, kommt dem Vorstand bzw. dem Aufsichtsrat ein Auswahlermessen zu.[23] Hier gilt die Business Judgement Rule, § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. Hieran wurde zwar zum Teil gezweifelt, da nach der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH[24] im Erkenntnisbereich den Entscheidern nur ein begrenzter Beurteilungsspielraum zugestanden wird. Allerdings sprechen die besseren Argumente dafür, die Informationsbeschaffung dem sog. Handlungsbereich zuzuordnen, sodass die zuständigen Organe zumindest bzgl. der Wahl der Aufklärungsmethode über Ermessen verfügen.[25] Dieses Ermessen verdichtet sich nur dann zu der Pflicht, eine bestimmte Methode zur Aufklärung zu ergreifen, wenn andere Methoden keinen vergleichbaren Erfolg versprechen.[26] Es liegt also im Ermessen des Vorstands bzw. der Geschäftsführung, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Ein Ermessen besteht nicht, wenn bei der GmbH die Gesellschafter den Geschäftsführern verbindliche Weisungen erteilen. So lange auf Grundlage einer „angemessenen Informationsbasis“ eine vernünftige Entscheidung getroffen wird, ist dies für die Geschäftsleitung ausreichend. Das Ermessen ist nur dann reduziert, wenn andere Mittel nicht gleich erfolgversprechend wären.
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Drei Arten von Maßnahmen haben sich als besonders effektiv herausgestellt und werden daher am häufigsten herangezogen: Interviewsmit Mitarbeitern, gezieltes Screening der Unterlagender Gesellschaft und die Sichtung von Emailsund anderer Kommunikation. Bei der Anwendung dieser Maßnahmen sind stets die gesetzlichen Grenzen bzw. Anforderungen zu beachten. Dies sind insbesondere die Regelungen des Arbeits-, Datenschutz- und Strafprozessrechts. Bei der Durchführung von Interviews mit Mitarbeitern ist vor allem auf die Beachtung von arbeits- und datenschutzrechtlichen Vorgaben zu achten. Bei der Sichtung von E-Mails und anderer Kommunikation sind vorrangig datenschutzrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Einschränkungen zu befolgen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im 12. Kap. verwiesen.
5. Faktoren für Umfang der Ermittlungen
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Es obliegt grds. der Geschäftsleitung, also dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung, zu entscheiden, welche konkreten Maßnahmen gewählt werden und in welchem Umfang die Untersuchungen vorgenommen werden sollen. Die Geschäftsleitung muss also abwägen, welche Maßnahmen angemessen und ergebnisorientiert, welche Kosten der Untersuchung noch verhältnismäßig und wann die Untersuchungen einzustellen sind, weil sie nicht mehr als zielführend betrachtet werden können. Wird z.B. im Laufe der Untersuchung klar, dass durch den potentiellen Verstoß kein oder nur ein geringer Schaden für die Gesellschaft entstehen kann und könnte der Schuldige nur durch unverhältnismäßige Anstrengungen herausgefunden werden, sollte von einer weitergehenden Untersuchung abgesehen werden.
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In die Abwägung, welcher Untersuchungsumfang im konkreten Fall angemessen ist, sollten verschiedene Faktoren einbezogen werden. Der nötige Umfang der Ermittlungen wird zum einen durch den Auslöser der Ermittlungen mitbestimmt. Es kann einen erheblichen Unterschied machen, ob aufgrund des Eingangs einer Meldung über die Whistleblower-Hotline oder aufgrund behördlicher Ermittlungen untersucht wird.[27] Ein weiterer Faktor ist letztlich die voraussichtliche Begründetheit des Verdachts. Je wahrscheinlicher es ist, dass ein Fehlverhalten tatsächlich stattgefunden hat, desto größer sollten die Anstrengungen sein, den Sachverhalt aufzuklären. Ebenfalls relevant sind auch die Schwere des vermuteten Verstoßes und dessen potentielle Auswirkungen auf das Unternehmen. Je höher der dem Unternehmen drohende finanzielle Schaden sowie die drohenden Strafen und Bußgelder sind, desto mehr ist es für das Unternehmen angezeigt, den Sachverhalt intensiv zu erforschen. Auch der dem Unternehmen drohende Reputationsverlust, sei es durch das Bekanntwerden des Fehlverhaltens selbst oder des mangelnden Engagements des Unternehmens bei der Aufklärung, muss bedacht werden. Verhält sich ein Unternehmen im Krisenfall zu passiv, so kann dies in der Öffentlichkeit bei Bekanntwerden schnell als fehlendes Commitment des Unternehmens zur Rechtsordnung und zur Good Governance gesehen werden. Aber auch die Vorteile, die aus einer Zusammenarbeit mit den Behörden im Wege der Bereitstellung der Informationen erwachsen können, müssen in die Abwägung eingestellt werden.[28]
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Anhand der verschiedenen Faktoren sollte der Vorstand im Sinne eines Stufenmodellsentscheiden, in welchem Umfang er die Untersuchungen vornehmen will. Je schwerer der Verstoß, glaubwürdiger die Meldung, begründeter der Verdacht und größer die drohenden Einbußen für das Unternehmen sind, desto länger, intensiver und ressourcenträchtiger, sollten die Untersuchungen ausfallen.
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Bei der Beurteilung, wie weit die Untersuchungen gehen müssen, sollte sich das handelnde Organ auch immer den Sinn und Zweck der internen Untersuchungen vor Augen führen. Oberstes Ziel der Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen ist die Aufdeckung, Aufklärungund das Abstellen von Verstößen. Dies erfordert die Beschaffung von Informationen über die tatsächlichen Vorkommnisse. Häufig wird z.B. erst durch die Untersuchungen eine arbeitsrechtliche Bewertung der Geschehnisse ermöglicht. Hiermit eng verknüpft ist der Aspekt, dass durch die Untersuchungen auch Fehler im Compliance-System des Unternehmens aufgedeckt werden können, welche den Verstoß unter Umständen erst ermöglicht haben.
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Ein weiterer Faktor ist das für jedes Unternehmen existentielle Vertrauen seiner Kunden und Mitarbeiter. Werden Verstöße in der Öffentlichkeit bekannt, kann dies das Vertrauen in Gefahr bringen. Interne Untersuchungen können dann helfen, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen oder bereits den Verlust des Vertrauens oder der Reputation verhindern, indem das Unternehmen damit zeigt, dass solche Verstöße nicht geduldet werden.
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Für eine umfassende Untersuchung kann auch sprechen, dass die Staatsanwaltschaft, Kartell- oder andere Behörden von der Möglichkeit einer Strafmilderung oder Reduzierung von Geldbußen Gebrauch machen, wenn das Unternehmen bei der Aufdeckung und Untersuchung von Verstößen aktiv ist und kooperiert.
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Die durch das Unternehmen erlangten Informationen können schließlich auch die Grundlage für eine Verteidigungsstrategie sein, sofern es zu zivil- oder straf-/bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren gegen das Unternehmen kommt. Diese Zwecke sollten durch die Untersuchung bestmöglich erfüllt werden können.
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Enden muss die Aufklärungspflicht wohl spätestens dann, wenn eine weitere Untersuchung nicht mehr vom Unternehmensinteresse gedeckt wäre.[29] Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der zu betreibende Aufwand außer Verhältnis zum Nutzen der potentiell erlangbaren Informationen steht.[30]
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