6. Besonderheiten bei behördlichen Ermittlungen
172
Das gesamte Konzept der Compliance und der unternehmensinternen Untersuchungen stammt ursprünglich aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum. Unternehmensinterne Untersuchungen gehen dort auf Anforderungen der US-amerikanischen Behörden zurück. In Deutschland besteht zwar nicht die Möglichkeit, dass ein Unternehmen von den Behörden verpflichtet wird, Untersuchungen durchzuführen. Allerdings kann es dem Unternehmen im Einzelfall entgegen kommen, wenn es die Behörden bei bereits laufenden Ermittlungen unterstützt. Das kann z.B. durch die Bereitstellung eigener Untersuchungsergebnisse geschehen, die unter Umständen von den Behörden so gar nicht hätten erlangt werden können.
173
Die Untersuchungen von Seiten einer Behörde entbinden die Gesellschaftsorgane keineswegs von ihrer Pflicht gegenüber der Gesellschaft, Untersuchungen durchzuführen,[31] um den Schaden möglichst gering zu halten. Ein völliges Absehen von der Durchführung eigener Untersuchungen kann dazu führen, dass keine ausreichende Informationsgrundlage zur Beurteilung besteht, um festzulegen, ob und in welchen Maß mit den Behörden kooperiert werden könnte und sollte.[32] Führt eine Behörde schon eigene Ermittlungen gegen das Unternehmen, bzw. dort beschäftigte Personen durch, so empfiehlt es sich regelmäßig, mit dieser eng zusammen zu arbeiten. Andererseits muss bei einer parallelen Durchführung von unternehmensinternen und behördlichen Untersuchungen die Gefahr einer Strafvereitelung gem. § 258 StGB durch die Unterdrückung von Beweisen beachtet werden. Dieser Vorwurf kann insbesondere dann entstehen, wenn durch die unternehmensinternen Ermittlungen Mitarbeiter vorgewarnt oder etwaige Beweismittel vernichtet werden. [33] Hier ist daher eine enge Abstimmung mit den Behörden dringend zu empfehlen.
7. Besonderheiten für börsennotierte Unternehmen
174
In § 15 WpHG (ab dem 3.7.2016: Art. 17 VO EU Nr. 596/2014 – Marktmissbrauchsverordnung – MMVO) ist die Ad-hoc-Publizitätspflicht für börsennotierte Unternehmen vorgesehen. Danach hat eine börsennotierte AG Insiderinformationen, die sie selbst betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen (§ 15 Abs. 1 S. 1. WpHG; Art. 17 Abs. 1 MMVO). Dadurch soll erreicht werden, dass allen Marktteilnehmern relevante Tatsachen zur gleichen Zeit und möglichst frühzeitig bekannt gegeben werden und alle für eine Investitionsentscheidung relevanten Informationen zeitnah in die Kursbildung einfließen können.[34] Eine solche Ad-hoc-Publizitätspflicht wird auch angenommen, wenn das Unternehmen mit einem erheblichen außerordentlichen Aufwand rechnen muss, wie etwa nach der Aufdeckung krimineller Machenschaften.[35] Erhärtet sich der Verdacht krimineller Machenschaften, so kann daher noch während der Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung eine Ad-hoc-Publizitätspflicht für den Vorstand entstehen. Dies ist daher im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen stets gesondert zu prüfen.
[1]
Siehe auch Inderst/Bannenberg/Poppe/ Poppe 7. Kap. Rn. 6.
[2]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913; Arnold ZGR 2014, 76, 95.
[3]
PwC Studie „Wirtschaftskriminalität“ 2007, S. 50.
[4]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 23.
[5]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 23.
[6]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[7]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[8]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[9]
Schürrle/Olbers CCZ 2010, 102, 105.
[10]
Studie „CMS Compliance Barometer 2015“, S. 11.
[11]
Kustor S. 35.
[12]
Reichert/Ott ZIP 2009, 2173, 2174 (allgemein zur Einrichtung von Compliance-Organisationen).
[13]
Moosmayer/Hartwig/Bührer S. 102.
[14]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 26.
[15]
LG Hamburg NJW 2011, 942 – HSH Nordbank = ZIP 2011, 1025.
[16]
LG Hamburg NJW 2011, 942 ff.
[17]
LG Hamburg NJW 2011, 942 ff.
[18]
Anmerkungen von Galen NJW 2011, 945; Anmerkungen Fritz CCZ 2011, 156 ff.; Momsen/Grützner DB 2011 1792, 1796 f.
[19]
LG Braunschweig BB 2015, 2771.
[20]
LG Braunschweig BB 2015, 2771.
[21]
Böttger/Minoggio 15. Kap. Rn. 42.
[22]
Inderst/Bannenberg/Poppe/ Weiss 6. Kap. Rn. 30 ff.
[23]
Reichert/Ott ZIP 2009, 2173, 2176; MK-GmbHG/ Fleischer § 43 Rn. 149.
[24]
BGHZ 135, 244 – ARAG/Garmenbeck.
[25]
Wagner CCZ 2009, 8, 16; Reichert/Ott ZIP 2009, 2173, 2176.
[26]
Wagner CCZ 2009, 2, 16.
[27]
Von Hehn/Hartung DB 2006, 1909, 1913.
[28]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[29]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[30]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[31]
MK-GmbHG/ Fleischer § 43 Rn. 150.
[32]
Wagner CCZ 2009, 8, 17.
[33]
Moosmayer/Hartwig/Gropp-Stadler/Wolfgramm S. 34.
[34]
Vgl. Müller/Rödder/Göckeler § 26 Rn. 230.
[35]
Vgl. Ausführungen des Emittentenleitfaden der BaFin IV.2.2.4.
1. Teil Ermittlungen im Unternehmen› 2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen und Beratung der Unternehmensführung› IV. Amnestieprogramme und unternehmensinterne Untersuchungen
IV. Amnestieprogramme und unternehmensinterne Untersuchungen
175
Unternehmen setzen im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen verstärkt auf sog. Amnestieprogramme. Bei Amnestieprogrammen werden den Mitarbeitern eines Unternehmens im Gegenzug für ihre Mithilfe bei der Aufklärung von internen Sachverhalten Zusagen gemacht.[1] Inhalt und Adressatenkreis einer Amnestieregelung können jeweils individuell festgelegt werden, wobei der Schwerpunkt einer unternehmensinternen Amnestiereglung meist auf den zivilrechtlichen Folgen liegt.
1. Grund für die Einführung von Amnestieprogrammen
176
Da die meisten Rechtsverstöße nicht schriftlich in Akten vermerkt werden, ist das Unternehmen zur Sachverhaltsaufklärung auf die Aussagen seiner Mitarbeiter angewiesen. Für die Mitarbeiter besteht zwar die arbeitsrechtliche Verpflichtung zur Aussage, allerdings können die Mitarbeiter sich durch selbstbelastende Aussagen in die Gefahr von arbeitsrechtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen bringen. Daher wird ihre Motivation zur Aussage häufig nicht besonders hoch sein. Bemerkt die Unternehmensleitung ein solches Verhalten bei ihren Arbeitnehmern, bietet sich häufig die Einführung eines Amnestieprogrammes an, um die Mitarbeiter zur aktiven Teilnahme an der Sachverhaltsaufklärung zu motivieren. Amnestieregelungen haben sich hierbei als ein adäquates Mittel bewiesen, um die „Mauer des Schweigens“[2] zu durchbrechen. Von den Mitarbeitern wird dann im Gegenzug erwartet, dass sie freiwillig und ungefragt alle relevanten Kenntnisse preisgeben und aktiv an der Aufklärung mitwirken.[3]
177
Insbesondere in Kartellverfahren kann die frühe Kenntnis von Rechtsverstößen innerhalb des eigenen Unternehmens von immenser Bedeutung zu sein, um in den Genuss von Kronzeugen- oder Bonusregelungenzu kommen und eventuell sogar als Unternehmen insgesamt Amnestie zu erlangen.[4] Ähnlich verhält es sich im Vergaberecht, bei welchem Amnestieprogramme einen gewichtigen Beitrag zur Wiederherstellung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit des Unternehmens mittels „Selbstreinigung“ darstellen können.[5]
Читать дальше