cc) Gesamtschau der Normen
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Wie schon bei der Einzelgesellschaft ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung der Normen§§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 130 OWiG auch eine konzernweite Compliance-Verantwortung für die Unternehmensleitung der Muttergesellschaft. Unter Berücksichtigung der Compliance-Verantwortung erwächst die Pflicht zur Durchführung von konzernweiten unternehmensinternen Untersuchungen. Zwar liegt es grundsätzlich in dem unternehmerischen Ermessen der Unternehmensleitung der Muttergesellschaft, wie intensiv sie von ihren Weisungsrechten und Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch macht und Compliance-Maßnahmen selbst durchführt, da es ihre eigene unternehmerische Entscheidung ist, ob eine zentrale oder dezentrale Konzernleitung angestrebt wird.[284] Bestünde in einer vergleichbaren Situation in einer unverbundenen Gesellschaft aber die Pflicht zur Durchführung einer unternehmensinterne Untersuchung, so folgt aus der Pflicht zur Sicherstellung gesetzeskonformen Verhaltens die Pflicht, auf die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung innerhalb der Tochtergesellschaft im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten hinzuwirken.[285]
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Zu den Pflichten der Konzernleitung der Muttergesellschaft gehört eine angemessene Compliance-Organisation des gesamten Konzerns und soweit möglich, der Eingriff bei Verdacht von schweren Rechts- und Regelverstößen.[286] Die Muttergesellschaft trifft insofern die Pflicht, darauf hin zu wirken, dass die Rechts- und Regelverletzungen abgestellt werden.[287] Für die Verhinderung von Rechts- und Regelverstößen innerhalb einer so komplexen Konstruktion wie einem Konzern bedeutet dies aber insbesondere eine saubere Aufarbeitung des Sachverhaltes durch eine unternehmensinterne Untersuchung. Die Konzernleitung muss insofern auch überprüfen, ob nur eine Tochter- oder Enkelgesellschaft betroffen ist oder ob es sich möglicherweise um ein konzernweites Problem handelt. Diese Pflicht ergibt sich aus dem Schadensabwendungsgebotgegenüber der Muttergesellschaft, weshalb auch nur die Muttergesellschaft einen Anspruch auf die Durchführung einer internen Untersuchung durch ihre Unternehmensleitung hat.[288] Die Tochter- und Enkelgesellschaften müssen sich wiederum an ihre eigene Unternehmensleitung halten, welche auch eine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen trifft.[289]
b) Konkrete Pflicht zur Durchführung konzernweiter unternehmensinterner Untersuchungen
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Es besteht somit grundsätzlich eine allgemeine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen zur Sachverhaltsaufklärung bei Bekanntwerden von Rechtsverstößen innerhalb eines Konzerns. Wie weit diese Pflicht im Einzelfall geht, hängt jedoch entscheidend von den Einflussmöglichkeiten der Konzernmutter auf die Unternehmen innerhalb des Konzerns ab. Die konkrete Pflicht der Unternehmensleitung zur Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung kann naturgemäß nicht weiter gehen, als die jeweiligen Befugnisse gegenüber den Tochtergesellschaften reichen.
Die konkrete Eingriffsmöglichkeit auf die konzernierten Unternehmen hängt entscheidend davon ab, ob es sich um einen Vertragskonzern oder einen faktischen Konzern handelt.
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Besteht ein Vertragskonzern, so ist das herrschende Unternehmen aufgrund des Beherrschungsvertrages berechtigt, dem Tochterunternehmen Weisungen zu erteilen.[290] Nach § 308 Abs. 1 AktG schließt das Weisungsrecht sogar nachteilige Weisungen mit ein.[291] Bei einem GmbH-Vertragskonzern geht die Weisungskompetenz mit der Geschäftsführungszuständigkeit auf das herrschende Unternehmen gem. § 308 Abs. 1 AktG analog über.[292] In einem Vertragskonzern kann die Unternehmensleitung somit ihren Tochter- und Enkelgesellschaften die Weisung erteilen, bei konkreten Anlässen eine unternehmensinterne Untersuchung durchzuführen. Die Unternehmensleitung ist verpflichtet, beim Verdacht von Rechtsverstößen innerhalb ihres Konzernes die Weisung zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen zu geben, wenn die Unternehmensleitung des konzernierten Unternehmens selbst keine Untersuchung durchführt.
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Bei einem faktischen Konzern muss hingegen zwischen den unterschiedlichen Rechtsformen differenziert werden.[293]
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Handelt es sich bei der Tochtergesellschaft um eine AG, dann leitet der Vorstand der Tochtergesellschaft diese gem. § 76 Abs. 1 AktG in eigener Verantwortung. Eine Einflussnahme der Muttergesellschaft durch die Hauptversammlung ist damit nicht ohne weiteres möglich, da die Hauptversammlung den Vorstand weder anweisen, noch an Beschlüsse binden kann.[294] Zwar kann die Hauptversammlung Beschlüsse fassen, die der Vorstand nach § 83 Abs. 2 AktG umzusetzen hat, die Beschlussfassung muss aber vom Vorstand gem. § 83 Abs. 1 AktG herbeigeführt oder gem. § 119 Abs. 2 AktG verlangt werden.[295]
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Auch eine Kontrolle und Beschränkung der Vorstandstätigkeit durch den Aufsichtsrat ist nur im Rahmen der oben dargestellten, allgemeinen Befugnisse des Aufsichtsrats möglich.[296] Die Muttergesellschaft als Aktionärin hat ebenfalls grds. kein Recht, eine unternehmensinterne Untersuchung anzuordnen oder gar selbst durchzuführen. Eine Ausnahme gilt lediglich im Rahmen des Sonderprüfungsrechts gem. § 142 Abs. 1 AktG. Die Rechte der Muttergesellschaft als Aktionärin unterscheiden sich dabei nicht von den Rechten einer natürlichen Person als Aktionär.
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Will die Konzernleitung im faktischen Konzern umfassende Weisungs- und Eingriffsbefugnisse zur Sicherung eines einheitlichen Compliance-Systems wahrnehmen, müssen mit den Konzerntöchtern entsprechende schuldrechtliche konzerninterne Verträge abgeschlossen werden. In diesen schuldrechtlichen Verträgen müssen dann die Tochtergesellschaften das Recht zur Wahrnehmung von Compliance-Maßnahmen auf die Muttergesellschaft übertragen.[297] Die jeweiligen Weisungs- und Eingriffsbefugnisse müssen dann in den schuldrechtlichen Verträgen im Einzelnen geregelt werden.
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Grundsätzlich kann die Muttergesellschaft im faktischen Konzern damit nur bedingt eine unternehmensinterne Untersuchung gegen den Willen des Vorstandes der Tochtergesellschaft durchführen, wenn diese eine AG ist. Für die Muttergesellschaft sollte es aber von bedeutendem Interesse sein, über die meisten Vorgänge innerhalb ihrer untergeordneten Unternehmen informiert zu sein. Auch wenn die Muttergesellschaft im faktischen Konzern somit keine Pflicht zur Durchführung trifft, da sie gesellschaftsrechtlich kein Recht dazu hat, wird sie aus wirtschaftlichem Interesse auch eine Sanktionierung ihrer Tochterunternehmen sowie die direkten und indirekten Folgen für die eigene Reputation verhindern wollen. Deshalb sollte sich die Muttergesellschaft von den Vorständen ihrer konzernierten AGs jedenfalls durch einen schuldrechtlichen Vertrag das Recht zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen erteilen lassen.
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Handelt es sich bei der Tochtergesellschaft nicht um eine AG, sondern um eine GmbH,[298] kann die Muttergesellschaft als Mehrheits- oder Alleingesellschafterin auch in einem faktischen Konzern über einen Beschluss der Gesellschaftsversammlung Weisungen erteilen.[299] Dies stellt schon das Weisungsrecht aus § 37 GmbHG sicher. Für einen Gesellschafterbeschluss ist die einfache Mehrheit ausreichend, soweit der jeweilige Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes vorsieht.[300]
c) Die Rolle des Aufsichtsrats im Konzern
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Der Aufsichtsrat der Muttergesellschaft hat kein Recht zur Durchführung konzernweiter unternehmensinterner Untersuchungen. Zwar ist er zur Überwachung der Geschäftsführung der Konzernmutter verpflichtet und damit grds. auch zur Überwachung der Leitung des Konzernes durch den Vorstand zuständig. Allerdings folgen daraus keine Eingriffsmöglichkeiten in konzernierte Unternehmen.
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