214
Für eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose muss die mittelfristige Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit wahrscheinlicher sein als der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit. Drohende Zahlungsunfähigkeit setzt mithin voraus, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist als deren Vermeidung. Dies ist dann der Fall, wenn nach dem Abwägen aller für die Fortbestehensprognose relevanten Umstände mehr Gründe dafür sprechen als dagegen. Maßgeblich ist die Sicht der gesetzlichen Vertreter, denen – wie auch bei der Beurteilung der Fortführungsannahme – ein gewisser Beurteilungsspielraum zugebilligt werden muss (vgl. BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91 – DB 1994, 1608).
215
Dem Fortbestehen des Unternehmens steht nicht entgegen, wenn eine Teilliquidation (Veräußerung von aufgrund des Unternehmenskonzeptes nicht betriebsnotwendigen Vermögensteilen) erforderlich ist.
216
Soll zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit Liquidität zugeführt werden, können auch eingeleitete oder beabsichtigte Maßnahmen, z.B. Gesellschafterdarlehen, Zuzahlungen in das Eigenkapital, Kapitalerhöhungen, Aufnahme von (Sanierungs-) Krediten etc., mit ihren erwarteten Auswirkungen in die Finanzplanung einbezogen werden, wenn diese Maßnahmen hinreichend konkretisiert sind. Gleiches gilt für die geplante Verwertung von Vermögensgegenständen zur Schöpfung von Liquidität.
b) Planungszeitraum und Detaillierungsgrad
217
Der Planungszeitraum für die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose umfasst regelmäßig das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr.
218
Der erforderliche Detaillierungsgrad (z.B. quartals-, monats- oder wochenweise Planung) wird vom Ausmaß der Unternehmenskrise und der bereits eingetretenen sowie der erwarteten Liquiditätsanspannung bestimmt.
c) Fortschreibung der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose
219
Die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose ist fortzuschreiben, wenn neue Ereignisse eingetreten sind oder sich abzeichnen, die für das Ergebnis und für die Validität der Prognose von wesentlicher Bedeutung sind. Die Pflicht der gesetzlichen Vertreter zur Beurteilung der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose entfällt erst dann, wenn die Insolvenzgefahr endgültig gebannt ist.
220
Im Falle einer positiven Fortbestehensprognose liegt keine Überschuldung vor; die Aufstellung eines Überschuldungsstatus ist in diesem Fall nicht erforderlich. Ist die Prognose hingegen negativ, ist festzustellen, ob neben der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch der Insolvenzgrund der Überschuldung vorliegt. Dazu sind das Vermögen und die Schulden in einem stichtagsbezogenen Status (Überschuldungsstatus) gegenüberzustellen. Ein sich daraus ergebendes negatives Reinvermögen begründet eine Insolvenzantragspflicht.
221
Praktischer Ausgangspunkt für die Erstellung des Überschuldungsstatus ist regelmäßig eine zeitnahe Handelsbilanz oder ein Zwischenabschluss. Allerdings sind handelsrechtliche Grundsätze, wie z.B. Anschaffungskosten-, Imparitäts-, Realisations- und Vorsichtsprinzip nicht maßgeblich. Vielmehr sind die Ansatz- und Bewertungsgrundsätze im Überschuldungsstatus mangels spezieller gesetzlicher Vorschriften am Zweck der Überschuldungsprüfung auszurichten.
222
Im Überschuldungsstatus sind alle Vermögenswerte anzusetzen, die einzeln zu verwerten sind, sowie alle zu bedienenden Verpflichtungen. Es sind auch Vermögensgegenstände anzusetzen, die als Kreditsicherheiten dienen.
223
Die Ansatzfähigkeit der vollständig zu erfassenden Vermögenswerte und Schulden wird bestimmt durch deren Verwertbarkeit im Rahmen des zugrunde liegenden Verwertungskonzeptes.
224
In den Überschuldungsstatus sind ggf. auch nicht in der Handelsbilanz erfasste Vermögenswerte und Schulden aufzunehmen, für die am Stichtag der Überschuldungsprüfung eine vertragliche oder tatsächliche Basis vorliegt. Insbesondere sind die mit einer Liquidation des Unternehmens im Zusammenhang stehenden Kosten und steuerlichen Lasten grundsätzlich zu berücksichtigen (z.B. Vertragsstrafen oder Kosten für einen Sozialplan). Auch sind durch die Liquidation verursachte Rückzahlungsverpflichtungen zu passivieren.
225
Vermögenswerte und Verpflichtungen werden im Überschuldungsstatus mit Liquidationswerten angesetzt. Dabei sind – anders als im handelsrechtlichen Jahresabschluss – ggf. vorhandene stille Reserven und Lasten aufzudecken.
226
Die der Verwertungsprognose zugrunde liegende Verwertungsstrategie bestimmt Liquidationsintensität und Liquidationsgeschwindigkeit. Der Grad der Zerschlagung der Unternehmensteile sowie der Zeitraum, in dem die Verwertung der Unternehmensteile erfolgen soll, prägen dabei maßgeblich die Höhe der Veräußerungserlöse. Die für die Liquidation zur Verfügung stehende Zeit stellt insbesondere dann eine entscheidende Restriktion dar, wenn der Finanzplan ohne Ansatz von Liquidationserlösen für die nähere Zukunft nachhaltige Zahlungsengpässe ausweist.
227
Bei der Ermittlung der Liquidationswerte ist auf Grundlage von Verwertungskonzept und Finanzplanung von der jeweils wahrscheinlichsten Verwertungsmöglichkeit auszugehen. Entscheidend ist, wie viel ein potenzieller Erwerber für den immateriellen oder materiellen Vermögenswert auszugeben bereit ist. Bei der Bewertung sind primär vorhandene Marktpreise heranzuziehen. Nach den Umständen des Einzelfalls kann sich die Bewertung aber auch an kapitalwert- oder kostenorientierten Verfahren orientieren. Dabei müssen die Verwertungsmöglichkeiten hinreichend konkret sein und die Vermögensgegenstände im Zweifel eher vorsichtig bewertet werden. Je geringer die Marktgängigkeit eines Vermögenswerts ist, desto höhere Anforderungen sind an seine Realisierbarkeit zu stellen.
c) Besonderheiten bei ausgewählten Vermögensgegenständen und Verpflichtungen
228
Im Gegensatz zu einer handelsrechtlichen Bilanz, die unter Abkehr von der Fortführungsannahme nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB aufgestellt wurde, werden im Überschuldungsstatus stille Reserven aufgedeckt. Zudem bleiben handelsrechtliche Aktivierungsverbote außer Acht. Auf der Passivseite sind ggf. zusätzliche Schulden zu erfassen, soweit sie durch die Abkehr von der Unternehmensfortführung verursacht werden. Im Folgenden wird auf die bilanzielle Behandlung ausgewählter Posten im Überschuldungsstatus eingegangen.
229
Bei ausstehenden Einlagen handelt es sich um Forderungen gegenüber einem Gesellschafter. Diese Forderungen sind im Überschuldungsstatus zu aktivieren, soweit sie werthaltig sind. Gleiches gilt für eine noch nicht geleistete Zahlung auf eine wirksam beschlossene Kapitalerhöhung.
230
Sonstige immaterielle Vermögensgegenstände wie Konzessionen, Markenrechte, Patente oder Lizenzen sind anzusetzen, soweit sie veräußert werden können. Das handelsrechtliche Ansatzverbot nach § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB bleibt unberücksichtigt.
231
Ein derivativer oder originärer Geschäfts- oder Firmenwert kann nur aktiviert werden, soweit es sich hinreichend konkretisiert hat, dass Betriebseinheiten veräußert werden können und der Kaufpreis voraussichtlich über der Summe der Liquidationswerte der einzelnen Gegenstände des Betriebsvermögens liegt. Bei einem konkreten Angebot für einen Unternehmensteil erscheint es zweckmäßig, die Betriebseinheit insgesamt mit dem erwarteten Nettoerlös anzusetzen und die damit erfassten Vermögensgegenstände und Schulden ohne Zuordnung von Einzelwerten festzuhalten.
232
Aktivierungsfähig sind auch gesellschaftsrechtlich begründete Ansprüche (z.B. gem. §§ 30, 31 GmbHG) sowie Ansprüche gegenüber Dritten auf vertraglicher Grundlage (z.B. aufgrund einer „harten“ Patronatserklärung).
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