a) welche Bedingungen das personenzentrierte Arbeiten mit Menschen mit Komplexer Behinderung ermöglichen,
b) inwiefern es gelingt, über diese Prozesse dem tatsächlichen Willen der Person nahezukommen,
c) wie bei der Umsetzung Wünsche und nicht (potentielle) Barrieren in den Vordergrund gerückt werden können und
d) wie die Umsetzung der Ideen aus dem Unterstützungskreis sichergestellt werden kann.
Eine Grundsatzfrage war dabei auch, inwieweit von der »reinen Lehre« der Methode abgewichen werden kann, um individuelle, auf die Zielgruppe unseres Projekts zugeschnittene Zugangswege zu entwickeln.
5. Zu einem Arbeitstreffen für Multiplikator*innen für Unterstützte Kommunikation waren Projektmitarbeitende im September 2019 eingeladen. An diesem Netzwerktreffen nahmen Mitarbeitende aus Angeboten der Eingliederungshilfe aus ganz Norddeutschland teil. Hier wurden zunächst die Ergebnisse der zu Projektbeginn erstellten Literaturrecherche (
Kap. 9) dargestellt und diskutiert, im Anschluss daran folgten erste Eindrücke und Zwischenergebnisse aus den Wohnwunscherhebungs-Prozessen. Der Fokus des Fachaustauschs lag auf den Methoden der Unterstützten Kommunikation und deren Einsatzmöglichkeiten für die Wunschermittlung bei Menschen mit Komplexen Behinderungen.
6. In der letzten Projektphase wurde ein intensiver Dialog mit Vertreter*innen der in NRW zuständigen Sozialleistungsträger, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und dem Landesverband Rheinland (LVR) gesucht. Ziel der Gespräche war es, die Personengruppe der Menschen mit Komplexer Behinderung und deren besondere Bedarfe stärker in das Blickfeld zu rücken. Insbesondere vor dem Hintergrund der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wurde die Frage diskutiert, ob und wie die Wohn- und Lebenswünsche von Menschen, die nicht sprachlich kommunizieren, über die von den Sozialleistungsträgern eingesetzten Bedarfsermittlungsinstrumente erfasst werden können.
Beide Sozialleistungsträger zeigten sich sehr interessiert an den Projektergebnissen. So nahmen mehrere Mitarbeiter*innen des Inklusionsamts Soziale Teilhabe des LWL an unserer Abschlusstagung teil und der LVR lud die Projektleitungen zu einem Fachtag »Paradigmenwechsel« ein.
2.5 Anlage der wissenschaftlichen Begleitung
Das Projekt wurde von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe wissenschaftlich begleitet. Wie bereits aufgezeigt, fand die Bearbeitung in enger Zusammenarbeit mit den Projektmitarbeitenden von Bethel.regional sowie im fortlaufenden Austausch zunächst mit zwei Selbstvertretungsgruppen, im weiteren Projektverlauf mit einer Gruppe statt. Zur Beantwortung der aufgezeigten Fragestellungen (
Kap. 2.2) erfolgte auch die wissenschaftliche Begleitung analog zu den bereits aufgezeigten Arbeitsphasen. Die einzelnen Schritte sollen hier nur überblicksartig vorgestellt werden, da eine genauere Beschreibung des methodischen Vorgehens in den jeweils dazugehörigen Kapiteln erfolgt.
Der erste Bearbeitungsschritt, die Ausgangsanalyse, beinhaltete zunächst eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungsstand zum Thema Wohnen von Menschen mit Komplexer Behinderung (
Kap. 9) sowie die Durchführung eines systematischen Literaturreviews, um die Methoden und Verfahren zur Ermittlung von Wohnwünschen mit Menschen mit Komplexer Behinderung im internationalen Sprachraum zu recherchieren und zu analysieren (Bössing et al. 2020). Die Erkenntnisse aus dem Review wurden sowohl mit der Selbstvertretungsgruppe als auch im Expert*innenworkshop beraten und daraus Vorgehensweisen für die nächste Phase entwickelt und konsentiert. Zudem wurde eine Befragung von Menschen mit Beeinträchtigung und hohem Unterstützungsbedarf, die eine Wohnveränderungen erlebt haben, sowie von beteiligten Mitarbeitenden sowie Expert*innen durchgeführt, um hemmende und fördernde Faktoren zu identifizieren, die bei Wohnwunscherhebungen und Veränderungsprozessen von Bedeutung sind (
Kap. 3).
Im zweiten und dritten Schritt, der Entwicklungs- sowie der Umsetzungs- und Transferphase, wurde der Prozess der Wohnwunschermittlung in Anlehnung an den Forschungsansatz der Grounded Theory im Sinne der Weiterentwicklung von Strauss und Corbin (1996; vgl. Strübing 2014) wissenschaftlich begleitet. Um die Wohn- und Lebenssituation aus der Perspektive der Menschen mit Komplexer Behinderung besser nachvollziehen zu können, wurde ein ethnographischer Ansatz gewählt. Hierbei wurde vor Beginn eines jeden Prozesses die planende Person in ihrer Wohnsituation begleitet und ethnographische Beobachtungen an mindestens zwei Tagen für mehrere Stunden durchgeführt und ggf. durch weitere Beobachtungen ergänzt. Im weiteren Verlauf wurde zunächst anhand eines Pilotprozesses die Anwendung von verschiedenen Methoden der Wohnwunschermittlung beobachtet und ausgewertet. Anschließend wurden nicht mehr alle, sondern – in Absprache mit den Projektmitarbeitenden – ausgewählte Sitzungen aus dem Prozess in die Beobachtung einbezogen (zum methodischen Vorgehen
Kap. 13).
Im vierten Schritt der Auswertungsphase wurden die vorliegenden und bis dahin getrennt ausgewerteten Datenmaterialien aus den einzelnen Prozessen noch einmal übergreifend mit Blick auf Zusammenhänge und Beziehungen der vorliegenden Kategorien analysiert und dabei in Rückbezug auf das Kodierparadigma von Glaser und Strauss (1996) Fragen an das Material gestellt, um Erkenntnisse über Zusammenhänge weiter herauszuarbeiten, die in
Kap. 15im Rahmen der Gesamtauswertung vorgestellt werden. Die im Projekt mit angelegte Frage, wie die Umsetzung des Anspruchs von partizipativen Gestaltungs- und Entwicklungsprozessen im Projekt gelingt, konnte nicht durch die EvH wissenschaftlich bearbeitet werden. Zwar wurde diese Frage regelmäßig in Gesprächen mit den verschiedenen Beteiligungsgruppen reflektiert, jedoch galt es der Frage insbesondere in Bezug auf die Einbeziehung der Menschen mit Behinderung durch eine kritische Außenperspektive genauer nachzugehen. So wurde die Bearbeitung dieser Frage zusätzlich extern an Frau Prof. Dr. Dobslaw vergeben, die anhand von ausgewählten Sitzungen das Projekt daraufhin gemeinsam mit den Projektmitarbeitenden formativ evaluierte (
Kap. 14).
2.6 Ethische Überlegungen
Grundlage der ethischen Überlegungen in Bezug auf das Projektvorhaben und dessen Umsetzung war der Belmont-Report, der als Ethik-Kodex 1978 von der National Commision for the Protection of Human Subjects of Biomedical an Behavioral Research angenommen wurde und auch in der deutschen Pflege- und Gesundheitsforschung vielfach die Grundlage der forschungsethischen Ausrichtung bildet (Schnell & Heinritz 2006). Als Grundprinzipien des Kodexes gelten:
• das Recht auf Unversehrtheit (Prinzip des Nutzens),
• das Recht auf Selbstbestimmung und informierte Zustimmung (Achtung vor der Würde des Menschen) und
• das Recht auf Vertraulichkeit sowie der Gewährleistung der Datensicherheit (Prinzip der Gerechtigkeit).
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