Mit gebührender Höflichkeit zeigte sie mir jedoch mein Zimmer und ließ mir Zeit, mich etwas zu erholen. Beim Anblick meines Spiegelbildes war ich entsetzt: Durch den kalten Wind waren meine Hände angeschwollen und gerötet, meine Haare aufgelöst und zerzaust und mein Gesicht leicht purpurn gefärbt; zu allem Überfluss war mein Kragen schrecklich zerknittert, mein Kleid schlammbespritzt, und meine Füße steckten in einem Paar derber, neuer Stiefel; und da man die Koffer noch nicht heraufgebracht hatte, konnte dem allem auch nicht abgeholfen werden. Als ich mein Haar, so gut es ging, gebändigt und meinen widerspenstigen Kragen mehrmals zurechtgezupft hatte, machte ich mich daran, in den beiden Treppenfluchten meinen Weg zu suchen, wobei ich vor mich hin grübelte. Mit einiger Schwierigkeit fand ich den Raum, in dem Mrs. Bloomfield mich erwartete.
Sie führte mich ins Esszimmer, wo der Familientisch gedeckt war. Man setzte mir Beefsteak und ein paar lauwarme Kartoffeln vor. Während ich saß, saß sie mir gegenüber, beobachtete mich, wie es mir vorkam, und gab sich Mühe, eine Art Gespräch in Gang zu halten, das größtenteils aus einer Reihe von abgedroschenen Phrasen bestand, die sie mit steifer Förmlichkeit äußerte. Aber das mochte eher mein Fehler als der ihre sein, denn ich war beim besten Willen nicht in der Lage, mich zu unterhalten. In der Tat nahm das Essen meine Aufmerksamkeit fast völlig in Anspruch: nicht etwa wegen meines Heißhungers, sondern weil mir die Zähigkeit des Beefsteaks und meine klammen Finger zu schaffen machten, die fast gelähmt waren, nachdem sie fünf Stunden dem bitterkalten Wind ausgesetzt gewesen waren. Nur zu gern hätte ich die Kartoffeln gegessen und das Fleisch übriggelassen, aber da man mir ein großes Stück davon auf den Teller gelegt hatte, wollte ich nicht unhöflich sein. Nach mehreren ungeschickten und erfolglosen Versuchen, es mit dem Messer zu schneiden, mit der Gabel zu zerreißen oder mit beidem zusammen in kleine Stücke zu zerlegen, nahm ich schließlich – immer der Tatsache bewusst, dass die schreckliche Lady die ganze Prozedur verfolgte – wie ein zweijähriges Kind verzweifelt Messer und Gabel in beide Fäuste und machte mich mit all meinem bisschen Kraft ans Werk. Dies nun verlangte eine Entschuldigung, und mit dem schwachen Versuch zu lachen, sagte ich: »Meine Hände sind so taub von der Kälte, dass ich kaum mit Messer und Gabel umgehen kann.«
»Ich dachte schon, Sie fänden es kalt«, antwortete sie mit einer kühlen, stets gleichbleibenden Würde, die nicht gerade dazu angetan war, mich zu beruhigen.
Als die Zeremonie beendet war, führte sie mich ins Wohnzimmer zurück, wo sie läutete und nach ihren Kindern schickte.
»Sie werden feststellen, dass sie in ihren Kenntnissen nicht sehr weit fortgeschritten sind«, sagte sie, »denn ich hatte so wenig Zeit, mich selbst um ihre Erziehung zu kümmern, und wir dachten bis jetzt, sie seien noch zu klein für eine Gouvernante; aber ich glaube, es sind intelligente Kinder, sehr bereitwillig zu lernen, besonders der kleine Junge: Er ist, wie ich meine, der Beste von allen – ein großzügiger, edel gesinnter Knabe, der geführt, doch nicht angetrieben werden muss und der ausnahmslos die Wahrheit spricht. Betrug scheint er zu verachten.« (Nun, das hörte man gern.) »Seine Schwester Mary Ann braucht etwas Aufsicht«, fuhr sie fort, »obwohl sie im Großen und Ganzen ein sehr liebes Mädchen ist, aber ich möchte, dass sie so weit wie möglich aus dem Kinderzimmer ferngehalten wird, denn sie ist jetzt fast sechs und könnte die schlechten Angewohnheiten der Kindermädchen annehmen. Ich habe angeordnet, ihr Bett in Ihrem Zimmer aufzustellen, und wenn Sie so freundlich wären, sie beim Waschen und Anziehen zu beaufsichtigen und ihre Kleidung in Ordnung zu halten, braucht sie in Zukunft nichts mehr mit dem Mädchen zu tun zu haben.«
Ich erwiderte, dass ich das gern tun wolle, und im gleichen Augenblick betraten auch schon meine kleinen Schüler zusammen mit ihren beiden jüngeren Schwestern das Zimmer. Master Tom Bloomfield war ein hochaufgeschossener Knabe von sieben Jahren, mit drahtigem Körperbau, flachsblondem Haar, blauen Augen, einer kleinen Stupsnase und zartem Teint. Auch Mary Ann war groß, dunkelhaarig wie ihre Mutter, hatte aber ein rundes, volles Gesicht und hochrote Wangen. Die nächste Schwester war Fanny, ein sehr hübsches kleines Mädchen; Mrs. Bloomfield versicherte mir, dass sie ein besonders sanftes Kind sei und etwas Ermunterung brauche: Sie hätte bis jetzt noch gar nichts gelernt, würde aber in einigen Tagen vier Jahre alt und solle dann mit dem Lernen des Alphabets beginnen und mit den anderen ins Schulzimmer gehen. Blieb noch Harriet, ein kleines, rundes, fröhliches, verspieltes Ding von knapp zwei Jahren, zu dem es mich mehr als zu allen anderen hinzog – aber ausgerechnet mit ihr hatte ich nichts zu tun.
Ich sprach mit meinen kleinen Schülern, so gut ich konnte, und versuchte, mich liebenswürdig zu geben, aber, wie ich fürchte, ohne großen Erfolg, denn die Anwesenheit ihrer Mutter machte mich auf unangenehme Weise befangen. Ihnen dagegen ging jede Schüchternheit ab. Anscheinend waren es kecke, lebhafte Kinder, mit denen ich hoffentlich bald auf freundschaftlichem Fuße stehen würde, vor allem mit dem kleinen Jungen, von dessen vielversprechendem Charakter ich seine Mutter ja hatte sprechen hören. Mary Ann hatte ein gewisses affektiertes Lächeln und den ausgeprägten Wunsch nach Beachtung, was ich mit Bedauern registrierte. Aber ihr Bruder beanspruchte meine ganze Aufmerksamkeit für sich. Er stand, die Hände auf dem Rücken, kerzengerade zwischen mir und dem Kamin, plauderte unaufhörlich wie der größte Redner und unterbrach seinen Redefluss nur gelegentlich, um seinen Schwestern einen scharfen Tadel zu erteilen, wenn sie zu viel Lärm machten.
»O Tom, was für ein Schatz du bist!«, rief seine Mutter. »Komm her und gib deiner Mama einen Kuss. Und willst du dann nicht Miss Grey euer Schulzimmer und eure schönen, neuen Bücher zeigen?«
»Ich will dir keinen Kuss geben, Mama, aber ich will Miss Grey mein Schulzimmer und meine neuen Bücher zeigen.«
»Und mein Schulzimmer und meine neuen Bücher, Tom«, sagte Mary Ann. »Sie gehören genauso mir.«
»Sie gehören mir«, antwortete er entschieden. »Kommen Sie, Miss Grey, ich begleite Sie.«
Nachdem Schulzimmer und Bücher vorgeführt worden waren – nicht ohne Streitereien zwischen Bruder und Schwester, die beizulegen und zu schlichten ich mir die größte Mühe gab –, brachte mir Mary Ann ihre Puppe und begann, weitschweifig über deren vornehme Kleider, ihr Bett, ihre Kommode und sonstige Ausstaffierung zu schwatzen. Doch Tom hieß sie, den Mund zu halten, damit Miss Grey sich sein Schaukelpferd ansehen könne, das er unter großem Getöse von seinem Platz in der Ecke bis in die Mitte des Zimmers zog, wobei er mich mit lauter Stimme aufforderte, nun gut achtzugeben. Dann befahl er seiner Schwester, die Zügel zu halten, bestieg das Pferd und ließ mich volle zehn Minuten dastehen und zusehen, wie beherzt er mit Peitsche und Sporen umging. Während dieser Zeit bewunderte ich allerdings Mary Anns hübsche Puppe samt allem Zubehör; danach versicherte ich Mr. Tom, dass er ein ausgezeichneter Reiter wäre, aber hoffentlich Peitsche und Sporen bei einem echten Pony nicht so häufig einsetzen würde.
»Und ob ich das tue!«, sagte er und schlug mit noch größerem Eifer drauflos. »Ich werde es ihm geben wie der Teufel. Mein Wort drauf, der wird es spüren.«
Es war ganz abscheulich, aber ich hoffte, mit der Zeit eine Besserung bewirken zu können.
»Jetzt nehmen Sie Haube und Schal«, sagte der kleine Held, »und ich zeige Ihnen meinen Garten.«
»Und meinen «, sagte Mary Ann.
Tom hob mit drohender Gebärde seine Faust; sie stieß einen lauten, gellenden Schrei aus, lief auf meine andere Seite und schnitt ihm eine Grimasse.
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