Natürlich ist der Ticket-Zweitmarkt unfair gegenüber den Konzertbesucher*innen, auch wenn die Fans dort natürlich »freiwillig« die überhöhten Preise für die Eintrittskarten bezahlen. Sie wollen eben unbedingt an dem Event teilnehmen, koste es, was es wolle. Das Hauptmotiv der Ticketkonzerne, sich dem Kampf gegen den Ticket-Zweitmarkt zu verschreiben, dürfte letztlich darin begründet sein, daß derartige Plattformen den Ticket-Großkonzernen massive Probleme bereiten. Die Trennung von Primary und Secondary Ticketing ist ja lediglich eine interne Sicht der Konzertindustrie. Die Fans machen diesen Unterschied nicht, sie kaufen die überteuerten Tickets, wenn sie unbedingt auf ein bestimmtes Konzert gehen wollen, bei Viagogo oder bei Stubhub, und so wurde Stubhub zu einem der größten Tickethändler in den USA, der dem dortigen Marktführer Ticketmaster bedrohlich nahegekommen ist. Dies dürfte der Grund sein, warum die größten Tickethändler Ticketmaster und CTS Eventim eigene Zweitmarkt-Plattformen auf den Markt gebracht haben.
Großveranstalter (auch solche, die zu Konzernen wie CTS Eventim gehören) haben sich mittlerweile zu einer Initiative namens »Face-Value Alliance for Ticketing« (FEAT), also einer »Allianz für den Nennwert beim Ticketing«, zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Lobbyarbeit für gesetzgeberische Initiativen, um Fans und Künstler vor Ticketspekulanten und -betrügern zu schützen. In Großbritannien gibt es eine entsprechende Initiative namens »FanFair Alliance«, und in Frankreich, das in dieser Hinsicht führend in Europa ist, gibt es sogar ein Gesetz gegen Zweitmarkt-Plattformen wie Viagogo. Entsprechende Gesetze auf europäischer Ebene wären wünschenswert, wenn sie sich aber lediglich auf den Zweitmarkt beschränken, statt auch die von den Großkonzernen wie CTS Eventim und Ticketmaster eingeführten, Fan-feindlichen Zusatzgebühren zu berücksichtigen, greift diese Initiative zu kurz. Sie beschränkt sich auf eine oberflächlichen Anbiederung an Fans und Künstler, während die Ticketkonzerne weiter ihr legales Unwesen treiben.
Zu den Maßnahmen der Ticketingkonzerne gegen die Konkurrenten vom Zweitmarkt gehören auch die »Verified Fan«-Vorverkäufe oder die sogenannten »Platin-Tickets«, mit denen ein begrenztes Kontingent von Karten zu nachfrageorientierten Preisen erst dann angeboten wird, wenn die Konzerte »ausverkauft« sind. Das Ziel ist, die letzte Eintrittskarte möglichst erst am Konzerttag zu verkaufen, um den gewerblichen Weiterkauf von Tickets mit drastischen Aufschlägen einzudämmen und, natürlich, den gesamten Erlös bei den Künstler*innen und ihren Partnern, den Konzernen, zu belassen. Derartige Platin-Tickets sind keineswegs VIP-Tickets, auch wenn die Fans das oft annehmen. Es handelt sich lediglich um die angeblich besten Plätze zum Zeitpunkt des Kartenkaufs.
Die einfachste und vernünftigste Art und Weise, dem Ticket-Zweitmarkt den Hahn zuzudrehen, wäre ein Modell, das längst zur Verfügung steht, aber hierzulande viel zu selten genutzt wird: das papierlose Ticket. Dieses befindet sich auf dem Smartphone und wird beim Einlaß zum Konzert gescannt, wie wir es zum Beispiel bei Flügen kennen. Die ID des Käufers kann durch anonymisierte Tokens festgestellt werden, wie sie beispielsweise Apple Pay verwendet. Vorteil: Diese digitale Einlaßberechtigung (und nichts anderes ist ja ein Ticket) kann nicht zu überhöhten Preisen weiterverkauft werden, denn sie kann gar nicht weiterverkauft werden, sie ist ja an die ID der Nutzer*innen gekoppelt. Und wenn Käufer*innen aus irgendwelchen Gründen ihre Einlaßberechtigung (ihr papierloses Ticket) nicht nutzen können, weil sie zum Beispiel verhindert sind, müssen die Ticketinganbieter gegen eine geringe Gebühr eine Plattform anbieten, auf denen das papierlose Ticket an Interessent*innen zum Originalpreis weiterverkauft werden kann – die ebenfalls mit einer Käufer*innen-ID belegen, daß sie keine kommerziellen Weiterverkäufer*innen sind.
Go paperless, und ihr seid das lästige Secondary-Ticketing-Problem los!
Der amerikanische Philosoph Michael Sandel hat in seinem Buch »Was man für Geld nicht kaufen kann« von einer »Ethik des Schlangestehens« gesprochen: Wer als erster kommt, wird als erster bedient. Wer später kommt, muß sich anstellen und kommt später dran. Es geht, wie man so sagt, »immer der Reihe nach«, und es gehört sich nicht, sich vorzudrängeln. Man könnte sagen, die Schlange macht uns gleich. Oder sie erinnert uns daran, daß wir in einer Demokratie zumindest theoretisch alle gleich sind, daß zu den Idealen der Aufklärung neben »Freiheit« und »Brüderlichkeit« eben auch die »Gleichheit« zählt. Wenn nun aber jemand, der Karten für ein ausverkauftes Konzert erwerben möchte und bereit ist, nicht den ursprünglichen, von Künstlern und Veranstaltern festgelegten, sondern einen beträchtlich überhöhten Eintrittspreis zu zahlen, dann wird die Gleichheit außer Kraft gesetzt. Diejenigen, die sich mit ihrem Geld das Privileg erkaufen wollen und können, die Schlange zu ignorieren und statt derjenigen, die den normalen Eintrittspreis bezahlen, in die Veranstaltung gelangen, sind im Grunde Egoisten, die ihre Ellbogen ausfahren und die sich rücksichtslos und zum Nachteil der anderen vordrängeln. Wollen wir wirklich in einer Welt der Vordrängler leben? In einer Welt, in der sich die mit dem meisten Geld durchsetzen? In der die Gleichheit aller Menschen nur auf dem Papier existiert?
Es gibt ja immer noch Musiker*innen wie auch Veranstalter*innen, denen es nicht egal ist, wie hoch die Eintrittspreise sind. Das Recht auf Preisgestaltung und letztlich auf Gleichbehandlung der Konzertbesucher*innen wird jedoch durch neue Ticketing-Modelle aufgeweicht, die der neoliberalen Wirtschaftsweise und den Möglichkeiten der Digitalisierung abgeschaut worden sind. Zu diesen Modellen gehört das »Dynamic Pricing«, wie wir es zum Beispiel von Fluglinien oder aus der Hotellerie kennen. In der Konzertbranche bedeutet Dynamic Pricing vor allem: Je höher die Nachfrage nach Tickets, desto teurer werden sie. Und je größer die Nachfrage nach einem bestimmten Ticket (z. B. dem vermeintlichen »Best Seat«), desto teurer wird dieser beste Platz. Umgekehrt gilt: Wenn für ein Konzert im Vorverkauf nur wenige Karten abgesetzt werden, könnten die Eintrittspreise billiger werden, um den Verkauf anzukurbeln. Ticketverkauf zu wechselnden Preisen je nach Nachfrage.
Live Nation / Ticketmaster haben allein durch die Praxis des Dynamic Pricing für das Geschäftsjahr 2018 Zuwächse in Höhe von 500 Millionen US-Dollar erwartet. Mit Dynamic Pricing kann man also noch mehr Profit aus den Konzerten herausholen. Dynamic Pricing nutzt dabei die Datensammelwut sowohl der Handelsriesen als auch der Internetplattformen. Letzteren ist zum Beispiel bekannt, mit welcher Hardware ihre Kunden die Seiten ansteuern. Nach einer Recherche des SWR-Magazins Marktcheck bezahlen Apple-Nutzer teilweise höhere Preise für einzelne Produkte, weil sie von den Konzernen als zahlungsstärker eingestuft werden. Auch Amazon hat eingestanden, daß Kunden für Amazon-Produkte zum Teil unterschiedliche Preise zahlen. *
* »Wenn wir das Gefühl haben, es entwickelt sich für den Kunden ein neuer Marktpreis, und das kann bei manchen Produkten mehrmals am Tag sein, reagieren wir darauf.« Ralf Kleber, Deutschland-Chef von Amazon, in: »Amazon-Chef: Wir passen den Preis den Kunden an«, Süddeutsche Zeitung , 1. 11. 2015.
Und die Informatikerin Constanze Kurz hat beschrieben, wie sogenannte »Tracker«, die in Apps auf dem verbreiteten Android-Betriebssystem enthalten sind, ohne daß die Nutzer*innen davon Kenntnis haben, pausenlos »Daten aus den Mobiltelefonen an Unternehmen senden, die Nutzerprofile anlegen und sie meistens Werbekunden anbieten«. Laut einer Studie von Forschern der Universität Oxford haben 90 Prozent aller Apps, die im »Google Play Store« angeboten werden, Tracker eingebaut, und fast alle gehören US-amerikanischen Unternehmen, die diese Nutzerdaten erhalten. Etwa zehn Prozent der Apps senden ihre Trackerdaten nicht nur an US-Firmen, sondern »zusätzlich in andere Länder, in denen Profilfirmen sitzen«. Im Klartext bedeutet das: »Fremde Dritte sitzen massenhaft und unbemerkt in unseren Mobiltelefonen und vermerken unser Verhalten oder unsere politische Gesinnung, um uns später maßgeschneiderte Werbung schicken zu können.« 27
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