Anfang Dezember schrieb die Mutter, Ellen müsse nun endlich einmal wiederkommen. Die Tante ließ sie ungern gehen, denn sie hatte große Freude an Ellens Fleiß und konnte ihre rastlose Lebendigkeit gut ertragen. Aber im nächsten Jahr sollte sie wiederkommen und weiterlernen. Ellen fuhr nach Hause mit zwei großen Zeichenmappen und voll von Plänen und Zukunftsträumen. Jetzt strahlte ihr die Welt. Sie wollte gut gegen Mama sein, ihr nachgeben, soweit es ging, und im Stillen weiterarbeiten, bis sie alle überzeugt hatte, daß sie Malerin werden müßte.
Am Weihnachtsabend saßen sie alle noch spät beim Punsch im Eßsaal auf Nevershuus. Der Freiherr ging, wie er es liebte, während des Gespräches mit großen Schritten auf und ab.
»Das waren eure letzten Weihnachten hier«, sagte er plötzlich und blieb am Tisch stehen.
Die vier Geschwister saßen wie versteinert und sahen ihn an.
»Ja, Papa hat Nevershuus verkauft«, sagte nun die Mutter mit Tränen in den Augen. »Zum Frühjahr müssen wir fort.«
Sie schwiegen alle, der Vater stand vor ihnen und reckte sich in die Höhe: »Seid doch froh, wenn wir endlich einmal aus dem Nest herauskommen – von euch Jungens wird ja doch keiner Landwirt, und wir sind jetzt zu alt, um uns damit zu plagen, für nichts und wieder nichts.«
Marianne war die einzige, die schon darum gewußt hatte, die andern konnten sich immer noch nicht von der jähen Überraschung erholen: daran hatten sie nie gedacht, sich nie vorgestellt, daß es einmal so kommen könnte – Nevershuus ihnen nicht mehr gehören. Und die Eltern waren in ihren Augen die »jungen Leute«, denen keine Zeit etwas anhaben konnte – Papa sich zur Ruhe setzen, das war wie eine Erklärung, daß sie nun alt würden. Sie mühten sich alle, ihre Bewegung zu unterdrücken, denn Gefühlsäußerungen, besonders im größeren Kreise, waren bei den Olestjernes niemals Brauch gewesen. Es gab nur hier und da einen etwas unsicheren Ton in den Stimmen, während sie über das große Ereignis sprachen.
»Wo wollt ihr denn hinziehen?« fragte Erik mit seiner gewohnten überlegenen Ruhe – für ihn kam es auch nicht so sehr in Betracht, da er demnächst auf die Universität sollte.
»Das wissen wir noch nicht, aber jedenfalls in eine größere Stadt.«
»Für uns ist es überall gut, wo wir zusammen sind und euch haben«, meinte Marianne; »– aber es war doch unser Nevershuus.«
»Ach, ihr solltet euch doch freuen, einmal in andre Umgebung zu kommen,« sagte der Vater wieder. »Hier versimpelt ihr auf die Länge, seht nichts von der Welt, wißt nichts von der Welt. Euer Nevershuus werdet ihr schon mit der Zeit vergessen.«
»Wie kannst du das sagen, Christian!« Der Freifrau ging es wie den Kindern, sie hing mit allen Fasern an dem alten Schloß – vierundzwanzig Jahre – ihre ganze Ehe – die Kinder, die hier geboren und aufgewachsen – ihr Ältester, der hier gestorben war! Sie begriff doch nicht recht, daß ihr Mann sich so leicht loslöste, es wie eine Befreiung empfand, wie einen neuen Lebensanfang, von hier fortzukommen.
Marianne saß mit ineinandergelegten Händen und sah nur ihren Vater an – er war grauer geworden in den letzten Jahren, die Stirn noch höher und gefurchter, aber heute schien er ihr so verjüngt. Sie wußte am besten, wie er sich von jeher hinausgesehnt aus diesem engumschlossenen Leben, in das die Verhältnisse ihn gegen seine Neigung hineingezwungen hatten.
Durch die offne Tür sah man in den Weihnachtssaal, die Lichter waren längst heruntergebrannt, das Silber auf den Tannen schimmerte matt im Dunkeln.
»Ihr lacht ja heute gar nicht«, sagte der Freiherr auf einmal, »was ist denn in euch gefahren?« Sonst mochte es ihm manchmal zu viel werden, wenn seine junge Schar bei jedem vernünftigen Gespräch, bei jeder ernsten Lektüre unweigerlich im Chor losplatzte, besonders an Festtagen, wenn die Bowle auf dem Tisch stand. Aber er vermißte doch etwas, wenn sie so unnatürlich ernst waren.
Aber sie saßen alle und dachten, daß diese Weihnachten nun die letzten in der alten Heimat wären, da wollte kein Gelächter in Gang kommen.
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