Die Stimme noch mehr erhebend, brach er in verzweiflungsvolle Schreie aus. Da beschloß Petronius, alles auf einen Wurf zu setzen, und die Hand ausstreckend, griff er nach dem seidenen Tuche, das Nero stets um den Hals zu tragen pflegte, riß es ab und drückte es auf die Lippen des Kaisers.
»Herr!« sagte er ernst und feierlich, »magst du Rom, magst du die ganze Welt in deinem Schmerze zu Grunde richten, nur erhalte uns deine Stimme!«
Die Anwesenden staunten; einen Augenblick staunte Nero, nur Petronius allein bewahrte seine Ruhe. Er wußte, daß Terpnos und Diodor strengen Befehl hatten, den Mund des Kaisers zu berühren, wenn er, die Stimme allzusehr erhebend, diese einer Gefahr aussetzte.
»O Cäsar!« sprach er weiter mit derselben traurigen Würde, »wir haben einen unermeßlichen Verlust erlitten, möge uns daher dieser Trost erhalten bleiben!«
Neros Antlitz zuckte und Tränen stürzten aus seinen Augen; er schlang die Arme um den Hals des Petronius, und das Haupt auf dessen Brust legend, rief er unter stetem Schluchzen: »Du allein von allen hast daran gedacht, du allein! Petronius, du allein!«
Tigellinus wurde gelb vor Neid, Petronius aber sagte: »Fahre nach Antium! Dort kam sie zur Welt, dort strömte die Wonne auf dich hernieder, dort ströme auch Beruhigung herab. Möge die Meeresluft deine Götterkehle erfrischen, deine Brust ihre salzige Feuchte einatmen! Wir Getreuen folgen dir überall hin, und wenn wir deinen Schmerz durch unsre Freundschaft zu besänftigen suchen, so besänftige du den unsern durch deinen Gesang.« »Ja!« entgegnete Nero klagend, »eine Hymne will ich dichten und in Musik setzen, die ihr Andenken verherrlichen soll.«
»Und dann suchst du die wärmere Sonne in Bajae auf.«
»Und dann – Vergessenheit in Griechenland.«
»In der Heimat des Gesangs und der Musik!«
Nach und nach wich die trübe Stimmung, und ein Gespräch entspann sich, in dem zwar noch die Trauer durchklang, in dem man aber doch schon Zukunftspläne schmiedete, sich über Reisen, über Kunstdarstellungen und über die Vorkehrungen unterhielt, die zu dem in Aussicht gestellten Besuch des armenischen Königs Tyridates getroffen werden sollten.
Petronius begab sich, als er den Palast verlassen hatte, zu Vinicius und sagte, nachdem er ihm den Vorfall mit Nero erzählt hatte: »Ich habe nicht nur die Gefahr von Aulus Plautius und Pomponia und uns beiden, sondern auch von Lygia abgewendet. Man wird sie nicht suchen, schon darum nicht, weil ich den feuerbärtigen Affen beredet habe, nach Antium zu fahren und von dort nach Neapel oder Bajae zu gehen, was er schon aus dem Grunde tun wird, weil er bisher nicht wagte, in Rom öffentlich im Theater aufzutreten, und sich schon lange vorgenommen hatte, in Neapel die Bretter zu betreten. Aber was ist dir? War unser edler Philosoph seither nicht hier?«
»Dein edler Philosoph ist ein Betrüger. Nein, er zeigte sich nicht und wird sich auch nicht zeigen.«
»Da habe ich eine bessere Meinung, nicht von seiner Ehrlichkeit, aber von seinem Verstand. Er hat schon einmal deinen Beutel bluten lassen und wird es noch einmal versuchen.«
«Er möge sich hüten, daß ich ihn nicht bluten lasse!«
»Laß das lieber, aber gib ihm kein Geld mehr, sondern versprich ihm reiche Belohnung, wenn er dir sichere Nachrichten bringt. Schreibe mir übrigens, wenn du etwas erfährst, denn ich muß nach Antium reisen.«
«Ich werde es tun!«
Raschen Schrittes ging Vinicius auf und ab. Man sah ihm an, wie sehr er seinen Schmerz zu bezwingen suchte. Schließlich traten ihm aber doch Tränen in die Augen, so daß ihn Petronius erstaunt ansah.
Gerade wollten sich die beiden verabschieden, als ihnen ein Sklave den Chilon Chilonides meldete.
Vinicius befahl, ihn sofort einzulassen, während Petronius sagte: »Habe ich es nicht gesagt? Nur Ruhe! Sonst gewinnt er die Oberhand über dich!«
»Gruß und Ehre dem edlen, ritterlichen Tribun und dir, Herr!« sprach Chilon beim Eintreten. »Möge euer Glück eurem Ruhme gleichen, der Ruhm eures Namens aber durcheile die ganze Welt, von den Säulen des Herkules bis an die Grenzen des Arsakidenreiches.«
Vinicius fragte mit erkünstelter Ruhe: »Was bringst du?«
»Neulich, o Herr, brachte ich dir die Hoffnung, heute bringe ich dir Gewißheit, daß das Mädchen sich finden wird.«
»Du willst also sagen, daß es bisher noch nicht gefunden ist?«
»So ist es, Herr; aber ich habe erfahren, was das Zeichen bedeutet, das sie dir machte; ich weiß, wer die Leute sind, die sie herausgehauen haben, und ich weiß, welche Gottheit diese Bekenner verehren.«
Vinicius, ungeduldig wie immer, wollte von seinem Sitze aufspringen, doch Petronius hielt ihn zurück, wandte sich an Chilon und sagte: »Sprich weiter.«
»Bist du deiner Sache völlig sicher, Herr, daß das Mädchen einen Fisch in den Sand zeichnete?«
»Gewiß!« rief Vinicius erregt.
»Dann ist sie also Christin – und Christen haben sie herausgehauen.«
Es entstand eine kurze Stille.
»Höre, Chilon,« sagte Petronius endlich, »wir wissen, daß man die Pomponia Graecina des christlichen Aberglaubens geziehen, und daß ein Hausgericht sie freigesprochen hat. Willst du von neuem die Anklage erheben? Willst du uns einreden, daß Pomponia und Lygia zu den Feinden des Menschengeschlechts, zu den Brunnen-und Quellenvergiftern und den Kindesmördern gehören, die sich den schändlichsten Ausschweifungen ergeben?«
Chilon breitete die Arme aus zum Zeichen, daß ihn keine Schuld treffe, und sagte: »Herr, sprich folgenden Satz griechisch aus: Jesus. Christus, Gottes Sohn, Erlöser.«
»Gut, ich spreche es … Was soll aber das?«
»Jetzt nimm den ersten Buchstaben jedes Wortes und setze sie zu einem Worte zusammen.«
»Fisch!« rief Petronius verwundert.
»Deshalb also wurde Fisch zum Losungswort der Christen!« erwiderte Chilon stolz.
Alle schwiegen eine Weile. Die Beweisführung des Griechen war so schlagend, daß die beiden Freunde des Staunens sich nicht erwehren konnten.
»Vinicius,« sagte Petronius, »wir kennen beide das Haus des Aulus. Wenn also der Fisch wirklich das Losungswort der Christen ist, und wenn Pomponia und Lygia Christinnen sind, dann, bei der Göttin der Unterwelt, sind die Christen eben nicht das, wofür wir sie halten!«
»Du sprichst wie Sokrates, o Herr!« bemerkte Chilon. Wer hat je einen Christen ergründet? Wer hat ihre Lehre je kennengelernt? Als ich vor zwei Jahren von Neapel nach Rom wanderte – o warum bin ich nicht dort geblieben –, gesellte sich ein Mann namens Glaukus zu mir, von dem man sagte, daß er ein Christ sei, und ungeachtet dessen habe ich mich von seiner Güte und Tugendhaftigkeit überzeugt.«
»Ist das derselbe Gerechte, von dem du jetzt erfahren, was der Fisch bedeutet?«
»O nein, Herr! Ein großes Unglück traf uns. Auf dem Wege nach einer Herberge versetzte einer dem braven Alten einen Messerstich; sein Weib und Kind schleppten Sklavenhändler hinweg, und ich verlor diese beiden Finger bei deren Verteidigung. Da aber unter den Christen, wie man mir sagte, fortwährend Wunder geschehen, gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß mir diese Finger nachwachsen werden.«
»Was soll das heißen? Bist du vielleicht auch ein Christ?«
»Seit gestern, Herr, seit gestern! Dieser Fisch hat mich zum Christen gemacht, welch große Kraft liegt doch in dem Symbol! In einigen Tagen schon werde ich der Eifrigste unter den Eifrigen sein, damit sie mich in ihre Geheimnisse einweihen, und haben sie mich erst in ihre Geheimnisse eingeweiht, dann weiß ich auch, wo sich das Mädchen verborgen hält. Ich habe auch Merkur gelobt, wenn er mir hilft, das Mädchen aufzufinden, ihm zwei einjährige Kalbinnen von gleicher Größe zu opfern.«
»Dein jetziges Christentum und deine frühere Philosophie hindern dich dennoch nicht, an Merkur zu glauben?«
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