Der Ausgangspunkt in Austins Aufsatz ist die Unterscheidung von zwei verschiedenen Typen von Äußerungen: Konstatierende Äußerungen sind solche, die aus der sprachphilosophischen Tradition bereits bekannt sind – Aussagen, die, wenn man sie in einer spezifischen Situation äußert, entweder wahr oder falsch sein können:
Konstatierende Äußerung |
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Eine Äußerung, die etwas aussagt (= konstatiert), das in der Äußerungssituation entweder wahr oder falsch ist: Die Katze ist auf der Matratze. Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig. Mona sitzt auf dem Stuhl. Ich sitze auf dem Stuhl. Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 167) |
Austins zentrale Beobachtung ist, dass sich nicht alle Äußerungen, selbst wenn sie sprachlich ähnlich oder analog gestaltet sind, unter der Definition einer konstatierenden Äußerung verorten lassen. Performative Äußerungen sind im Kontrast dazu solche, bei denen die Sprecherin mit dem Akt der Äußerung eine Handlung vollzieht . Die Äußerung beschreibt etwas und das, was sie beschreibt, wird im Zuge des Äußerungsaktes zu einer Handlung.
Performative Äußerung |
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Eine Äußerung, mit der die Sprecherin/der Sprecher mit dem Akt der Äußerung das in der Äußerung Beschriebene als Handlung vollzieht: Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“. Ich bitte um Entschuldigung. Ich heiße Sie willkommen. Ich rate Ihnen, das zu tun. Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 163) |
Geht man auf die Suche, lassen sich noch viele weitere Beispiele finden. In der Regel treten performative Äußerungen in einer bestimmten syntaktisch-morphologischen Form auf. Das Prädikat steht in der 1. Person Singular und wird durch ein performatives Verb gebildet, das an sich eine Handlung beschreibt, die sich im Äußerungsakt realisiert: Ich gratuliere dir …; ich befehle dir …; ich bezweifle, dass …; ich betone …; ich warne euch …; ich schlussfolgere, dass …; ich fordere dich dazu auf, dass …; ich verurteile dich zu … usw. Durch die Äußerung – also nur dadurch, dass etwas gesagt wird – wird jeweils die Handlung des Gratulierens, Befehlens, Bezweifelns etc. vollzogen.
Nach Austin kann die Handlung einer performativen Äußerung gelingen oder ggf. misslingen, an sich aber weder wahr noch falsch sein. In diesem Sinne könnte man bei der Analyse der Bedeutung von performativen Äußerungen eher von Gelingensbedingung en Gelingensbedingungen als von Wahrheitsbedingungen sprechen.
Eines der bekanntesten Beispiele von Austin für diesen Zusammenhang ist die Taufformel (vgl. das Beispiel Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“ ): Soll die Äußerung und damit die Handlung gelingen, muss der Kontext ‚stimmen‘: Wir brauchen eine passende Situation, ein bis dahin noch ungetauftes Schiff muss präsent sein, die Sprecherin oder der Sprecher müssen für den Taufakt autorisiert sein etc. Aber sofern die Gelingensbedingungen erfüllt sind, wird mit dem Akt der sprachlichen Äußerung die Handlung der Taufe vollzogen.
Abb. 1.5:
Beispiel einer performativen Äußerung, Illustration von Austins Taufformel
Bei näherer Betrachtung ist die Unterscheidung zwischen Gelingens- und Wahrheitsbedingungen komplexer, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. So diskutiert Austin in seinem Aufsatz, inwiefern auch konstatierende Äußerungen gelingen oder misslingen können. Wenn jemand zum Beispiel den Satz äußert Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig und Hans hat gar keine Kinder, dann ist es schwierig zu sagen, dass in diesem Kontext der Satz falsch ist; eher könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Aussage in dieser Äußerungssituation unpassend ist und „daneben geht“ (Austin ebd.: 168), also nicht gelingt. Im Übrigen ist die Frage berechtigt, ob nicht auch eine konstatierende Äußerung eine Form des Handelns darstellt: Die Äußerung in einer bestimmten Sprechsituation ist ja auch eine Handlung an sich – ein Äußerungs akt . Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig ausspreche, dann tue ich etwas: Ich behaupte , dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. Ich führe damit ebenfalls eine Handlung aus: die des Behauptens.
John R. Searle (*1932), ein ebenfalls für die Theoriebildung maßgebender Sprachphilosoph, der Austins Überlegungen aufgegriffen und weiterentwickelt hat, hat später in seinem Aufsatz „How Performatives Work“ (1989) aber noch einmal explizit darauf gedrungen, dass performative Äußerungen eine besondere Klasse von Akten bzw. Handlungen darstellen. Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig äußere, dann ist das eine sprachliche Handlung, insofern ich etwas behaupte oder etwas berichte. Die Handlung betrifft den Sprechakt , aber nicht das, was inhaltlich in dem Satz beschrieben wird. Bei einer explizit performativen Äußerungexplizit performative Äußerung wird dagegen nach Searle genau die Handlung vollzogen, die in dem Satz ausgedrückt wird. Searle bringt u.a. das Beispiel, dass man die Handlung des Versprechens vollziehen kann, einfach indem man sagt I promise to come and see you (= „Ich verspreche, dich zu besuchen.“); dass aber dazu im Gegensatz noch keine Eier gebraten werden, wenn man nur sprachlich äußert I fry an egg (ebd.: 535).
Abb. 1.6:
Illustration einer explizit und einer nicht explizit performativen Äußerung
Wir können diesen Unterschied wie folgt an dem Kahlkopf-Satz verdeutlichen: Nach Searle ist die einfache Äußerung Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig keine explizit performative. Anders liegt der Fall, wenn ich den Satz mit einem performativen Verb verknüpfe und z. B. den folgenden komplexen Satz (bestehend aus Haupt- und Nebensatz) äußere: Ich behaupte , dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. In diesem zweiten Fall erhalten wir eine performative Äußerung. Denn inhaltlich wird nun auf den Akt des Behauptens fokussiert und mit der Äußerung die im Hauptsatz beschriebene Handlung – der Akt des Behauptens – vollzogen.
Wenn wir Searles Punkt zu Austins Analyse hinzufügen, entsteht folgendes Bild: Die Äußerungen Ich brate ein Ei oder Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig sind keine explizit performativen Äußerungen, aber in einem weiter gefassten Verständnis von Sprachhandlung können es doch auch sprachliche Handlungen sein. Stellen Sie sich z. B. eine Situation vor, in der eine Fernsehköchin vor den Augen ihrer Zuschauer:innen ein Gericht mit Eiern zubereitet und äußert: Zuerst brate ich ein Ei. Die Äußerung ist vielleicht nicht explizit performativ, kann jedoch als eine sprachliche Handlung des Beschreibens verstanden werden. Indem die Fernsehköchin den Satz äußert, handelt sie sprachlich: Sie beschreibt , was sie am Herd tut. Das Eierbraten ist eine Koch handlung; das Sprechen bzw. mündliche Beschreiben ist eine Sprach handlungSprachhandlung. Der einzige Unterschied zur explizit performativen Äußerung besteht darin, dass es bei Letzterer statt zwei Handlungen nur eine gibt – eine einzige Handlung, die das betrifft, was inhaltlich in dem Satz beschrieben wird: Ich äußere Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“ und durch meine Äußerung wird die Taufhandlung vollzogen; hier gilt also: Sprach handlung = Tauf handlung.
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