Der Mythos und der Zauber der irdischen Evolution haben mich seit jeher fasziniert und begeistert. Es ist doch aufregend zu erfahren, woher man gekommen ist und wohin man gehen könnte. Ich glaube, oder besser gesagt, ich hoffe, dass du mein Interesse an dem Thema teilen wirst. In dem Traktat „Leben – eine privilegierte Architektur der Natur“ habe ich mir zur Naturgeschichte unserer Welt und deren Zukunft ein paar Gedanken gemacht. Du wirst sie so komprimiert in keiner Rubrik eine Suchmaschine im Internet finden. Man kann zu diesem oder jenem Aspekt sicherlich ein paar andere Ansichten haben. Ich halte es aber für wichtig, dass ein junger Mann wie du überhaupt über das Woher, Wohin und Warum evolutionärer Prozesse nachdenkt. Leuten, die sich darüber überhaupt keine Gedanken machen, dürfte ein Stück geistiger Standortbestimmung im Leben fehlen!
Zum Schluss des Traktates habe ich meine Gedanken ein bisschen poetisch verklärt. Es kann sein, dass du diese Passagen wegen einer gewissen Melodramatik als unzeitgemäß empfinden wirst. Sieh es mir nach oder halte es meiner fehlenden digitalen Nüchternheit oder unangemessenen analogen Euphorie zugute. Es mag sein, dass in mir etwas von einem Dichter gesteckt hat. Das habe ich aber niemandem verraten und davon hat auch niemals ein Mensch Notiz genommen.
Falls du mit meinen Gedanken nichts anfangen kannst, dann musst du sie eben in den Papierkorb befördern. Das täte mir zwar ein bisschen leid für mich, aber auch für dich. In diesem Fall habe ich als Großvater in der Angelegenheit halt Pech gehabt. Das Leben ist nun mal äußerst facettenreich und die Menschen mit ihren Interessen, Neigungen und Vorlieben sind es auch. Daher mag es immer wieder Überraschungen und Enttäuschungen sowie unerwartete Entwicklungen und nicht zuletzt auch bittere Erfahrungen geben. Ein Großvater muss das akzeptieren und auch aushalten können, selbst wenn ihm das nicht gefallen und manchmal sogar schwerfallen sollte!
Herzliche Grüße in die Zukunft!
Opa
Anlage
Leben – eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Leben, eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Vor etwa 4,6 Milliarden Jahren leuchtete am inneren Rand des Orion-Arms der Galaxie, der die Menschen später den Namen Milchstraße gegeben haben, ein ziemlich gewöhnlicher Stern auf der Hauptreihe des Hertzsprung-Russel-Diagramms auf. Die gelbe Sonne vom Spektraltyp G 2/V war auserkoren, um wenig später auf dem dritten Trabanten des solaren Systems einen beispiellosen evolutionären Prozess in Gang zu setzen. Die biologische Evolution hat die Entwicklung des Planeten fortan all die Erdzeitalter hindurch nachhaltig verändert. Dieses Szenario hält bis heute an und selbst in der Zukunft wird die Handschrift der Evolution neben dem Wirken des Menschen das Antlitz der Erde mit ihrer gestalterischen Kraft prägen.
Entstehung des Planeten Erde vor ca. 4,5 Milliarden Jahren
Erdzeitalter:
Hadaikum
Archaikum
Proterozoikum
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Kambrium/Ordovizium/Silur/Devon/Karbon/Perm
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Trias/Jura/Kreide
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Paläozän/Eozän/Oligozän/Miozän/Pliozän/Quartär
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Zukunft
(wie auch immer die sich die gestalten mag)
Die Evolution ist ein eigenwilliger Teil des kosmologischen Prozesses, der sich nicht zwangsläufig in Gang setzt. Nicht zu jeder Zeit und an auch nicht an jedem Ort eines Universums wird ihr dafür eine Bühne bereitet sein. Die biologische Evolution, wo und wann auch immer sie Leben entstehen lässt und dessen Entwicklung vorantreibt, muss als ein kostbares Privileg der Natur verstanden werden. Die Architektin und Baumeisterin des Lebens ist ein hochkomplexer Experimentator, der fleißig, beharrlich, lernfähig und geduldig daherkommt. Manchmal wird sie von einer erstaunlichen Kühnheit getrieben und bringt zuweilen Schöpfungen hervor, die von wundervoller Genialität inspiriert sind. Hin und wieder scheint die Evolution aber auch vergesslich und oberflächlich zu sein und mitunter sogar in einfallslose Plakativität und stupide Replikation zu versinken. Diese evolutionären Blackouts lassen Verwunderung und Befremden aufkommen und nähren Zweifel an der Perfektion der Architektin des Lebens. Doch gerade das Spannungsfeld zwischen gestalterischer Vollkommenheit und evolutionärer Fehlleistung, von dem Unmengen fossiler Hinterlassenschaften zeugen, macht den Prozess der Selbstorganisation der belebten Materie so spannend, dramatisch und interessant.
Die Wege, die die Evolution auf ihrer ständigen Suche nach Vollkommenheit und Perfektionierung beschreitet, sind vielfältig. Sie werden von mannigfaltigen Trümmerfeldern des Lebens gesäumt. Manche Entwürfe scheinen rasch skizziert und schnell wieder verworfen zu werden. Andere Baupläne erweisen sich dagegen als wahrhaft fundamental, sodass sie Hunderte von Millionen Jahren überdauern. Es gibt solide Visionen und wenig geeignete Ansätze, Erfolgsrezepte und fatale Irrtümer, lange Zeiten evolutionärer Untätigkeit und stürmische Epochen biologischer Entwicklung. Die Evolution versucht, Bewährtes zu bewahren, aber sie verwirft auch bedenkenlos ungeeignete Konzepte. Vor allem jedoch variiert und verändert sie biologische Architekturen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und wechselndem Erfolg im Strom der Zeit. Ihre Geschichte gleicht einem epischen Ringen zwischen originärer Schöpfung, ständiger Neuerfindung, permanenter Optimierung und Anpassung sowie biologischer Auslöschung, frühem Artentod und gnadenlosem Untergang von einst verheißungsvoll kreierten biologischen Schöpfungen.
Um ihre Prozesse in Gang setzen zu können, bedarf die Evolution einer bestimmten kosmischen Konstellation. Ein Universum, in dem die Naturkonstanten und Naturgesetze so fein abgestimmt sind, dass Elemente höherer Ordnungszahlen und komplexe chemische Verbindungen entstehen können, ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erschaffung von Leben. Das kann die Natur nur gewährleisten, wenn die Stärken der vier fundamentalen Kräfte
starke Kernkraft
schwache Kernkraft
Elektromagnetismus
Gravitation
im Verhältnis zueinander Werte haben, die die Existenz stabiler Atomkerne und Elemente sowie großräumige, differenzierte kosmische Strukturen ermöglichen. Dabei kommt der Feinstrukturkonstanten Alpha (
) eine Schlüsselrolle zu. Alpha ist dimensionslos und bestimmt die Stärke der elektromagnetischen Kraft. Außerdem ist auch die Gravitationskonstante von Bedeutung, über deren mögliche lokale und zeitliche Schwankungen im Standarduniversum die Wissenschaftler bis heute philosophieren!
Doch wie auch immer sich die Stärken der physikalischen Grundkräfte zueinander in einem Universum verhalten mögen, die Evolution benötigt für ihr Wirken noch eine Reihe weiterer astrophysikalischer Voraussetzungen. Es bedarf vor allem einer Galaxie mit einem hinreichend hohen Alter, damit im interstellaren Gas und im Staub der Sterne die erforderlichen Bausteine des Lebens in ausreichender Häufigkeit vorhanden sind. In einer solchen Galaxie muss ein Hauptreihenstern existieren, dessen Spektraltyp und Größe mehrere Milliarden Jahre lang eine mehr oder weniger gleichmäßige Kernfusion ermöglichen. Diese Sonne sollte zumindest in ihrem Strahlungsverhalten möglichst stabil und wenig veränderlich sein. Eine weitere unabdingbare Voraussetzung ist die Anwesenheit eines Planeten, der eine geeignete Masse, Rotation, Atmosphäre und ein nennenswertes Magnetfeld aufweist. Darüber hinaus muss die stabile Umlaufbahn des Trabanten innerhalb der habitablen Zone des Sterns liegen.
Doch es gibt noch mehr astrophysikalische Erfordernisse für die Entstehung und Entfaltung des Lebens. Im nahen Umfeld des Sternensystems von einigen Dutzend Lichtjahren sollten sich mehrere Milliarden Jahre lang keine lebensfeindlichen Prozesse wie Nova- und Supernova-Szenarien oder Gamma-Strahlenausbrüche ereignen. Darüber hinaus darf in dem Sonnensystem das Impakt-Geschehen nicht zu intensiv und langandauernd sein. In galaktischen Zentralgebieten mit hungrigen schwarzen Singularitäten und einer turbulenten chaotischen Himmelsmechanik werden das Leben und seine Evolution keine guten Karten haben. Angesichts der vielfältigen kosmischen Randbedingungen ist es schon erstaunlich, dass Leben im Weltall überhaupt entstehen konnte. Dass es sich auch zu höheren Formen entwickeln würde, mag wie ein Wunder erscheinen.
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