Im antiken Athen gab es überall Hermes geweihte phallusförmige Säulen und Pfeiler, die Hermen hießen. Sie waren aus Marmor oder Bronze hergestellt. Auf ihrer Spitze stand entweder eine Büste des Hermes oder sie waren mit männlichen Genitalien geschmückt. Die Pfeiler dienten als Wegzeichen oder Grenzsteine. Sie sollten darüber hinaus die Stadt und die Häuser schützen, eine Funktion, die die Athener sehr ernst nahmen. Im fünften vorchristlichen Jahrhundert stieß einmal ein Athener namens Alkibiades einige dieser Hermen um. Dies brachte die Bewohner Athens so auf, dass sie ihn aus der Stadt verbannten und sein ganzes Hab und Gut beschlagnahmten.
Dionysos, der Gott des Weins und der Fruchtbarkeit, betrat erst spät die Bühne der olympischen Götter.
Seine Eltern waren Zeus und die Prinzessin Semele aus Theben, was Dionysos zum einzigen Gott macht, der einen menschlichen Elternteil besitzt. Er erlangte noch zu Lebzeiten Göttlichkeit, anders als Herakles (vergleiche Kapitel 6), der auch aus einer Verbindung Gott-Mensch hervorgegangen war. Dionysos’ Geburt war recht merkwürdig. Als Semele mit ihm schwanger ging, schwor Zeus am Ufer des Flusses Styx einen Eid und versprach ihr, dass er alles täte, was sie von ihm verlangen würde. Semele bat ihn daraufhin darum, er möge sich in seiner ganzen Herrlichkeit zeigen. Zeus war darüber ein wenig bestürzt. Kein Sterblicher durfte ihn so sehen und anschließend weiterleben. Da er sein Versprechen aber nicht brechen konnte, präsentierte er sich ihr in seiner ganzen Pracht.
Er war sich darüber im Klaren, was passieren musste. Semele fiel auf der Stelle tot um. Zeus zog daraufhin das noch ungeborene Baby Dionysos aus dem Leib seiner toten Mutter heraus und barg es in seinem Oberschenkel (wir wissen nicht, wie das genau vor sich ging; leider ist diese Technik nicht überliefert).
Nach seiner Geburt nahm Hermes das Kind an sich und brachte es zu den Nymphen, die im wunderschönen Tal Nysa lebten (in anderen Versionen des Mythos waren es Athamas und Ino, die sich um den kleinen Dionysos kümmerten). Als Dionysos älter geworden war, vermisste er seine Mutter so sehr, dass er zu Hades ging, ihm schilderte, wie sehr er seine Mutter Semele zurückhaben wolle, und ihn darum bat, dass seine Mutter das Totenreich wieder verlassen dürfe. Hades erklärte sich einverstanden, und Dionysos brachte seine Mutter auf den Olymp, wo sie mit den Göttern zusammenleben sollte. Verständlicherweise war Zeus’ Frau Hera darüber wenig begeistert. Sie sorgte schließlich dafür, dass Dionysos, Athamas und Ino zeitweilig ihren Verstand verloren. Ihr Zorn ließ nach einiger Zeit aber wieder nach, sodass sie ihnen schließlich ihren Verstand wiedergab.
Das am häufigsten mit Dionysos in Verbindung gebrachte Symbol ist der Wein beziehungsweise die Weintraube. Auch der Efeu steht für diesen Gott, vielleicht weil er sich gut als Girlande macht, die man sich während des Trinkens umhängt. Die Masken, die die Schauspieler im griechischen Theater trugen, symbolisieren ebenfalls Dionysos.
Dionysos’ Erlebnisse vor seiner Geburt gaben ihm auch den Beinamen »zweifach Geborener«. Andere Beinamen spiegeln sein Wesen und seine Aufgabe als Gott des Weines und des Rausches wider (sein berühmtes dionysisches Wesen): Akratophorus (»Bringer des Weins«), der Nachtschwärmer und der Fackeltragende. Weitere Bezeichnungen haben mit Fruchtbarkeit oder der Natur allgemein zu tun: der Blumenbekränzte, der Efeu oder der Bock, der Stier oder der brüllende Löwe. Vielleicht wegen der magischen Eigenschaften des Weines trug Dionysos auch die Beinamen Retter und Erlöser.
Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen, wie man Wein herstellt
In seinem Erwachsenenleben verbrachte Dionysos seine Zeit damit, die Erde zu bereisen und den Menschen zu zeigen, wie man Reben pflanzt und aus den Trauben Wein keltert. Er reiste in Begleitung eines exklusiven, ihm treu ergebenen Gefolges – und das lange, bevor heutige Prominente Ähnliches für sich entdeckten. Es handelte sich bei seinem Gefolge aber um recht eigentümliche Wesen, die wir im Folgenden kurz vorstellen möchten:
Mainaden: Die weiblichen Verehrerinnen des Dionysos, unter anderem die Nymphen, die ihn als Kind pflegten.
Satyrn: Pan und seine Gesellen, die man zusammen als Satyrn bezeichnet (in der römischen Mythologie Faune genannt), waren dämonische Mischwesen mit einem menschlichen Oberkörper, aber Pferde- oder Bocksbeinen, einem Pferdeschweif sowie kurzen Hörnern am Kopf. Sie tanzten wild herum, spielten Flöte dazu, tranken und hatten miteinander oder mit den in den Wäldern beheimateten Nymphen Sex. Bildliche Darstellungen der Satyrn zeigen diese oft mit großem erigiertem Phallus oder mit phallischen Objekten. Pan, ein bocksbeiniger Fruchtbarkeitsgott, war der in Arkadien geborene Sohn des Hermes. Er liebte die Wälder und Berge und war der Gott der Ziegenhirten und Schäfer. Das Wort Panik geht auf ihn zurück. Wenn die Bewohner des Waldes ihn in der Nacht hörten, verloren sie die Kontrolle.
Silene: Antike Quellen berichten, dass es sich bei ihnen um Wesen halb Mensch, halb Pferd handelte. Sie waren die Spießgesellen von Dionysos und Hephaistos. Mit der Zeit wurde das Wort »Silenus« zum Synonym für Satyr.
Ein Beispiel für Dionysos’ Zorn
Auch wenn Dionysos nur ein Jüngling war, so war es dennoch nicht ratsam, sich mit ihm anzulegen. Eines Tages fanden ihn etruskische Seeräuber und beschlossen, ihn gefangen zu nehmen, um ihn als Sklaven für gutes Geld zu verkaufen. Sie dachten sich, dass sie für einen so stattlichen jungen Mann sicher jede Menge Geld bekommen würden. Sie ergriffen ihn also und zerrten ihn auf ihr Schiff. Dort wollten sie ihn mit einem Seil fesseln. So oft sie es aber auch versuchten – die Seile wollten nicht zusammenhalten.
Der Kapitän des Schiffes befahl seinen Männern, die Segel zu setzen und das offene Meer anzusteuern. Das Schiff aber ließ sich nicht bewegen. Stattdessen wuchsen überall Weinreben an Bord des Bootes und Wein floss über das Deck. Dionysos verwandelte sich in einen Löwen und stimmte ein fürchterliches Gebrüll in Richtung der Seeräuber an. Diese sprangen über Bord und verwandelten sich im Wasser in Delfine.
Der mitunter barbarische Dionysoskult
In der Antike hatten die Menschen eine zwiespältige Einstellung zur kultischen Verehrung des Dionysos. Man war zwar dem Weine zugeneigt und schätzte seine angenehmen Wirkungen. Der übermäßige Genuss dieses Getränks aber bewirkte auch damals schon bei den Menschen, dass sie anfingen, sich seltsam und ungebührlich aufzuführen.
Eine Form des Dionysoskults war recht unheimlich. Die weiblichen Begleiterinnen des Dionysos, also die Mainaden (beziehungsweise Mänaden; im Lateinischen hießen sie Bacchantinnen ), betranken sich so sehr, dass sie in einen Zustand rauschhafter Verzückung gerieten, die Wälder durchstreiften, dort lebende Tiere fingen und sie mit bloßen Händen und ihren Zähnen zerrissen und fraßen. Eine griechische Tragödie berichtet sogar, dass sie auch mit Menschen so verfuhren.
Lykurgos, ein König in Thrakien, stellte sich gegen den Dionysoskult. Dionysos sperrte ihn daraufhin in einer Höhle ein. Zeus ließ den armen König später erblinden, der kurze Zeit darauf auch starb. Sich den Göttern entgegenzustellen, zahlte sich eben nicht aus.
Als Dionysos seinen Kult nach Theben bringen wollte, traf er auf einen König – es war Pentheus, Dionysos’ Cousin –, der nicht glauben wollte, dass Dionysos ein Gott war, und der auch das wilde Getanze und den frenetischen Gesang der Mainaden nicht ausstehen konnte. Seinen Soldaten befahl er, die gesamte Reisegesellschaft festzunehmen. Die Soldaten brachten Dionysos, der freiwillig mitkam, zu ihrem König und berichteten, dass die Mainaden geflohen seien, da kein Seil sie halten konnte. Pentheus wollte immer noch nicht glauben, dass sein Gast ein Gott war, und ließ ihn einsperren.
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