Wie führt mensch eigentlich einen Bauernhof?
Am Anfang mussten wir aber erst in dieses neue Leben hineinfinden. Es war ein herausfordernder Lernprozess, bis wir erkannten, was es wirklich heißt, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen. Klar: Durch unser Studium hatten wir eine fundierte Vorstellung davon, was agrarische Produktion und Organisation bedeuten. Aber es fehlte uns an Praxis: Mit Ausnahme von einem*einer oder zwei Bewohner*innen sind wir alle in einem eher städtischen Umfeld aufgewachsen. Nichtsdestotrotz haben viele von uns unbeschwerte Kindertage am Land verbracht und seit jeher einen starken Bezug zur Natur. So kam es, dass unsere Vorstellungen vom Leben am Land vor unserem Start und in der Anfangsphase sicherlich auch mit Bildern romantischer Idylle vernebelt waren: der Vorstellung davon, mit Freunden inmitten wunderschöner Natur den eigenen Leidenschaften nachzugehen. Das fühlte sich – zumindest in der Vorbereitungsphase, in unseren Gedanken – nicht an wie Arbeit.
Hineinwachsen und über uns hinauswachsen
Je mehr wir uns dann mit dem Ort zu verbinden begannen und Aktivitäten nachgingen, die mit Verantwortung und Verpflichtungen zusammenhingen, desto mehr bekamen wir zu spüren, was es bedeutet, sich um ein Stück Land zu kümmern und Selbstversorgung zu betreiben. Wir erlebten immer intensiver, dass Landwirtschaft eine harte Lebensrealität ist. Die Arbeit hört nie auf. Viele Tätigkeiten sind zeitaufwändig und lassen sich nicht direkt in einen Vorteil oder Lohn ummünzen. Mensch ist an den Ort gebunden, da er*sie sich zu Tätigkeiten verpflichtet, die eine langfristige Zuwendung voraussetzen, bevor ein gewünschtes Ergebnis eintrifft.
Freizeit und Arbeitszeit, Arbeitswoche und Wochenende verschwimmen. Denn wenn die Heuernte ansteht, dann muss das Freizeitvorhaben am See eben warten. Oder wenn am nächsten Tag ein Markt stattfindet, dann wird auch noch in die Abendstunden hinein vorbereitet. Versteh uns nicht falsch: Es ist ein erfüllendes Dasein, das wir führen. Wir arbeiten mit unseren Händen, teilen unsere Zeit selbständig ein, unterstützen uns gegenseitig, ernten gemeinsam die Früchte unserer Arbeit. Aber es ist ein Dasein, das mensch eben nicht blauäugig angehen sollte. Wer diesen Weg einschlagen möchte, muss sich bewusst sein, was auf ihn*sie zukommt: Freude, Gemeinschaftlichkeit, Zusammenhalt – aber eben auch ein ganzes Stück Arbeit.
Also ja, auch wir sind in unserem bäuerlichen Leben manchmal mit Einschränkungen konfrontiert. Doch viel wichtiger ist es für uns, hervorzuheben, wie das Kollektiv und die Gemeinschaft in dieser Konstellation wirken, sprich: wie viel Bewegungsfreiheit wir uns gegenseitig ermöglichen können. Jede*r von uns, egal welche Verantwortungsbereiche er*sie ausübt, kann ohne großen organisatorischen Aufwand Urlaub nehmen, kann über mehrere Tage wegfahren, andere Menschen treffen, andere Luft schnuppern, Abstand nehmen. Sogar Reisen über mehrere Monate sind möglich. Das ist etwas, das klassische bäuerliche Familien mehrheitlich anders leben. Wir aber ermöglichen uns das, indem wir in fast allen Bereichen zumindest in Zweierteams arbeiten, also der*die Einzelne sowieso leichter abkömmlich ist. Oder wir ersetzen uns einfach vorübergehend gegenseitig.
› Blick auf die Bauwägen – Tina kommt gerade vom Kräuterbeet.
Warum überhaupt gemeinsam leben und arbeiten? Na, ist doch ganz klar!
Ein Gemeinschaftsaspekt, der für uns noch dazukommt: Obwohl wir irgendwo im Hinterland an einen Ort gebunden sind, von dem aus Gleichgesinnte weit weg oder weit verstreut erscheinen und wo das lokale kulturelle Angebot selten unseren Bedürfnissen entspricht, sind wir trotzdem immer in bester Gesellschaft. Weil wir uns haben.
Zunächst ist da die Gesellschaft der Hofbewohner*innen. Da gibt es immer irgendein Thema, über das mensch sich austauschen kann, ein Projekt oder Vorhaben, das mensch gemeinsam planen kann. Da sind die Kinder, die durch ihre Spontaneität und Unberechenbarkeit immer für Bewegung sorgen. Besucher*innen, eigene Freund*innen sowie die Freund*innen der anderen bringen zusätzliche Abwechslung in unseren Alltag. Und wenn wir Lust haben, veranstalten wir ein Fest, ein Treffen oder ein Sommerkino, um das kulturelle Angebot zu schaffen, das wir selbst gerne hätten. Wir leben also definitiv keine eintönigen, isolierten oder einsamen Leben in der Pampa. Ganz im Gegenteil, gemeinsam schaffen wir Vielfalt und Abwechslung!
› Gemeinsam meistern wir viele Herausforderungen. Wenn der Traktor umkippt, stellen wir ihn gemeinsam wieder auf. Der Spaß kommt dabei nicht zu kurz (und verletzt wurde natürlich niemand!).
Einen riesigen Vorteil hat der gemeinsame Weg auch im Hinblick auf finanzielle Aspekte. Wir haben zwar persönlich kein Eigentum angehäuft in den Jahren. Gemeinsam haben wir aber doch so einiges an Besitz: Autos, Maschinen, Infrastruktur, Produktionsmittel, Direktkredite ( Seite 178) für Projekte von Freund*innen.
All das würde jede*r Einzelne von uns, mit demselben Lebensstil und Einkommen, nie besitzen. Gemeinsam tun wir das aber! Wir haben Zugang zu einer Fülle von Ressourcen, ohne sie persönlich erworben zu haben. Und auch auf immaterieller Ebene profitiert jede*r von uns von einer Vielzahl an Aktivitäten, auch wenn er*sie nicht direkt etwas damit zu tun hat.
Was ein Leben im Kollektiv wirklich bedeutet
Was auf der einen Seite das Schöne an der Gemeinschaft ist – nämlich die Menschen –, hat natürlich auch eine Kehrseite. So viel steht fest: Bei einer größeren Ansammlung von Menschen, die gemeinsam leben und entscheiden, kommt es immer wieder zu konfliktreichen Situationen.
Dabei kann es um gemeinsame Vorstellungen gehen, um persönliche Befindlichkeiten oder einfach um den tagtäglichen Alltagstrott, in dem mensch sich in die Quere kommt. Es kann beunruhigend sein, wenn der gemeinsame Weg nicht so eindeutig ist. Oder wenn mensch sich einsam fühlt inmitten einem Kreis von nahestehenden Menschen. Wenn mensch sich nicht gehört oder verstanden fühlt, wenn das Gefühl entsteht, dass die anderen nicht so agieren, wie mensch es sich nach seinen*ihren persönlichen Bildern und Idealen vorstellt. Dann verliert die Gruppe an Stärke. Dann stehen manchmal vereinzelte Individuen nebeneinander.
Wir sind stark, wenn jede*r in sich stark ist und wenn wir in guter Beziehung mit uns selbst und jedem*jeder einzelnen Bewohner*in stehen. Und alle zusammen als Gruppe funktionieren. Das bedeutet viel Beziehungsarbeit mit uns selbst und allen anderen.
In den ersten Jahren war sehr viel unserer Energie nach außen gerichtet: auf Aktionen, Veranstaltungen, es waren ständig viele und andere Menschen da, die uns besuchen kamen. Gruppendynamiken und -prozesse und innere Befindlichkeiten waren Begleiterscheinungen, die irgendwie mitliefen.
Je länger wir aber im Kollektiv zusammenwohnten, desto mehr richtete sich unser Blick nach innen. Das Wohlbefinden und der psychische Zustand eines*einer jeden wurden wichtiger. Gruppenprozesse wurden bewusster wahrgenommen und behandelt. Es stand immer mehr im Mittelpunkt, wie es dabei allen geht. Denn das Kollektiv ist das, was jedes Mitglied ist und einbringt. Wenn es dem*der Einzelnen gut geht und es ihnen miteinander gut geht, dann geht es auch dem Kollektiv gut. Diese Momente sind wunderbar, wenn alle ausgeglichen und happy sind und wir uns alle gut miteinander verstehen.
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