Maya Shepherd
Dear Sister 1 - Schattenerwachen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Maya Shepherd Dear Sister 1 - Schattenerwachen Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
1. Winter
2. Winter
3. Winter
4. Anonyme Anruferin
5. Winter
6. Winter
7. Winter
8. Winter
9. Anonyme Anruferin
10. Winter
11. Winter
12. Anonyme Anruferin
13. Winter
14. Winter
15. Winter
16. Anonyme Anruferin
17. Winter
18. Winter
19. Winter
20. Eliza
21. Winter
22. Eliza
23. Winter
24. Eliza
25. Winter
26. Eliza
27. Winter
28. Eliza
Danksagung
Impressum neobooks
Der Regen der letzten Nacht hatte den Waldboden in eine einzige Rutschbahn verwandelt. Die Polizisten von Wexford kämpften sich in schwarzen Gummistiefeln und neongelben Regenjacken durch die Schlammmassen, während der Nebel ihnen zusätzlich die Sicht erschwerte. Durch den Niederschlag hatten auch die Leichenspürhunde jede Orientierung verloren. Sie rannten aufgebracht voraus und führten die nachfolgenden Menschen im Kreis. Jede Weggabelung sah aus wie die andere. Selbst der zuständige Förster hatte ihnen geraten, die Suche auf die Mittagsstunden zu verschieben, aber sobald vermeintlich Verletzte im Spiel waren, konnte nicht schnell genug gehandelt werden.
Der anonyme Notruf war um drei Uhr morgens auf der Polizeiwache von Wexford eingegangen.
„Hier ist der Notruf neun-neun-neun. Welche Art von Notfall haben Sie zu melden?“
Es war erst nur ein leises Rauschen zu hören gewesen, dann plötzlich eine weibliche, flüsternde Stimme: „Sie verblutet.“
„Können Sie lauter sprechen? Mit wem spreche ich?“
Ein Rascheln drang durch den Lautsprecher, ganz so, als würde jemand schnell rennen und dabei den Hörer gegen die Brust pressen.
„Können Sie mich hören?“, hakte der Polizist nach.
„Raven Nature Reservoir“, kam die gehetzte Antwort.
„Ich möchte Ihnen wirklich helfen, aber dafür müssen Sie mir sagen, was vorgefallen ist und wo genau Sie sich befinden.“
„Sie würden mir nicht glauben“, drang ein unterdrücktes Schluchzen durch den Hörer. Die Frau schien noch sehr jung zu sein, wahrscheinlich noch ein Mädchen.
„Erzählen Sie mir, was passiert ist. Sind Sie auch verletzt? Gibt es noch mehr Verletzte?“
„Ihr Blut wird nicht reichen. Sie ist nicht jung genug“, jammerte das Mädchen verzweifelt. Sie schien völlig vergessen zu haben, mit wem sie sprach.
„Ist dort noch jemand außer Ihnen und der Verletzten?“
Ein greller und panischer Schrei drang plötzlich durch die Leitung. Ein Schrei, der den Polizisten unvermittelt zusammenfahren ließ. Er war so laut und voll blanker Angst, dass er einem die Haare zu Berge stehen ließ.
„Miss, was ist passiert?“, rief der Beamte alarmiert.
Es folgte ein Rascheln wie von einem Handgemenge und dann wurde es still in der Leitung.
Bei einem Notruf schaltet sich automatisch das Ortungsprogramm ein, doch der Anruf war zu kurz gewesen, um eine genauere Position ausmachen zu können, sodass den Polizisten nichts weiter übrig blieb, als einen Radius von fünf Kilometern abzusuchen, ohne genau zu wissen, nach wie vielen Personen sie suchen mussten und in welchem Zustand diese waren.
Mittlerweile war es halb sechs Uhr morgens und alle waren von Kopf bis Fuß durchnässt und durchgefroren. Sie wollten die Suche bereits einstellen, als einer der Hunde plötzlich bellend Alarm schlug. Es kam so überraschend, dass seinem Halter vor Schreck die Leine aus den tauben Fingern glitt und der Hund herrenlos durch das Unterholz wetzte. Der Alarm brachte neues Leben in den Suchtrupp und alle stürzten schlitternd hinter dem Tier her. Doch schon kurze Zeit später kam die Gruppe zum Stehen, als sie durch das Geäst den flackernden Schein von Kerzen in der Ferne wahrnahm. Das Gebell des Hundes war verstummt. Das befremdliche Licht hatte etwas Beklemmendes an sich, war es doch ein deutliches Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung sein konnte.
Fast ehrfürchtig und doch mit gezogenen Waffen näherte sich die Truppe der Lichtquelle. Sie ließen die Waffen sinken, als sie versuchten, das sich ihnen bietende Bild mit dem Verstand zu erfassen.
Unter dem Astdach einer uralten Tanne, geschützt vor dem Regen, lag ein nackter Körper auf Moos gebettet. Um die Gestalt herum war ein perfekter Kreis aus einem weißen Pulver gebildet worden. Doch das Pulver war an vielen Stellen nicht mehr weiß, sondern von Blut dunkelrot verfärbt. In etwa fünfzehn Zentimeter Abständen waren Kerzen um den Kreis herum aufgestellt worden. Der Körper in der Mitte des Kreises gehörte einer jungen Frau, die höchstens achtzehn Jahre alt sein konnte. Die Aussage der Anruferin, dass das Opfer nicht jung genug sei, erschien deshalb umso absurder. Ihre bleiche Haut hob sich gespenstisch von dem dunklen Moos ab. Ihr ganzer Körper war von Schnitten übersäht. Doch der Längste verlief an ihrer Kehle, so tief, dass ihr Kopf nach hinten gekippt war. Ihre hellblauen Augen starrten leblos in den grauen Himmel empor. Auf ihrem Gesicht waren die Spuren von Tränen zu erkennen, während das blonde Haar rot gefärbt war von ihrem Blut.
Es war ein Anblick, der die anwesenden Polizisten noch bis in ihre Träume hinein verfolgen sollte.
Die ganze Schule hatte über nichts anderes, als den grausigen Leichenfund vom Morgen, gesprochen. Es hatte sich wie ein Lauffeuer durch die Flure und Kursräume verbreitet und löste die wildesten Spekulationen aus. Bisher war nicht bekannt, um wen es sich bei dem Opfer und der verschwundenen Anruferin handelte. Jede Schülerin, die an diesem Tag am St. Peters College unentschuldigt fehlte, kam dafür in Betracht. Theoretisch also auch meine ältere Schwester Eliza. Doch Eliza war schon so lange verschwunden, dass ich mir wenig Sorgen darum machte, dass sie es sein könnte. Unsere Eltern bangten trotzdem und würden erleichtert aufatmen, wenn herauskam, dass es sich um die Tochter eines anderen Paares handelte. Denn so müssten sie ihre Hoffnung nicht aufgeben, dass Eliza eines Tages doch zu uns zurückkehren würde. Es hörte sich schrecklich an, aber ich sah das Ganze etwas anders. Ich wünschte Eliza zwar nicht den Tod, aber die Gewissheit, was aus ihr geworden war, wäre für mich dennoch besser als der Zustand des permanenten Bangens und Hoffens meiner Eltern. Selbst wenn das bedeuteten sollte, dass es sich bei dem Opfer um meine Schwester handelte.
Seitdem Eliza verschwunden war, taten nicht nur meine Eltern, sondern auch Lucas so, als sei sie eine Heilige gewesen. Dabei war sie alles andere als fromm oder gar heilig. Sie war in meinen Augen sogar das ziemliche Gegenteil davon und genau deshalb war ich mir fast sicher, dass sie weder tot noch in Not war. Sie wusste wie man sich durchs Leben schnorrte und warf vermutlich gerade irgendwo auf der Welt das Geld eines anderen mit vollen Händen aus dem Fenster, ohne dabei auch nur einen einzigen Gedanken an ihre zurückgelassene Familie im verschlafenen Wexford zu verschwenden.
Lucas und ich verließen den Schulbus gemeinsam an der Haltestelle Slade Castle. Es war die letzte vor der Endstation Churchtown . Jeden Morgen legten wir über eine Stunde Fahrzeit zurück, nur um zur Schule zu kommen. Schon oft hatte ich meine Eltern angefleht, näher an die Stadt zu ziehen, aber sie weigerten sich standhaft. Jedes Mal mit derselben Begründung, dass sie die direkte Lage am Meer und die Nähe zu den alten Burgruinen gegen nichts in der Welt eintauschen würden. Sie mochten es, wenn bei Sturm die Wellen so hoch schlugen, dass wir sie von unseren Schlafzimmerfenstern aus sehen konnten und sie liebten das Pfeifen des Windes durch die alten Burggemäuer. Hier beschwerte sich niemand über unsere dreizehn Katzen, die das einzige Erbe unserer verstorbenen Großmutter waren. Der einzige Grund, der
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