Der Arzt, bei dem ich meine erste Knieoperation durchführen ließ, behauptet zwar in einer Radiosendung, dass seine Methode des Knie-Shavings super erfolgreich wäre, dass man jedoch ein ganzes Jahr (!) lang den Fuß nicht belasten dürfe, um die Bildung einer Ersatzknorpelschicht nicht zu stören. Mir kommen die ersten Zweifel an den Aussagen dieses Operateurs. Auf diese Methode will ich mich nicht (mehr) einlassen, ich dürfte ja dann ein ganzes Jahr lang nur mit Krücken herumlaufen. 1Niemand kann mir einen Erfolg garantieren. Nun gerate ich – 42-jährig – in eine wirkliche Krise: in eine Körper-, Sinn- und Lebenskrise.
Monatelang jammere ich dem Orthopäden in der Praxisgemeinschaft die Ohren voll, der selbst zwar nicht operiert, mich aber bei Operation Nummer zwei und drei seinem Kollegen empfohlen hatte. Ich mache ihn dafür verantwortlich, dass sich meine Knieprobleme und vor allem der Schmerz nicht mehr beseitigen lassen. Der Orthopäde, der zugleich betreuender Arzt einer Frauen-Nationalmanschaft und damit ein wirklicher Fachmann ist, hört sich meine Vorwürfe fast zwei Jahre lang geduldig an, spritzt mir immer wieder eine Substanz ins Knie, in der Hoffnung, damit den Schmerz wegzukriegen. Ohne Erfolg.
Im Januar 1998 erklärt mir der Arzt schließlich, dass er ab jetzt nichts mehr für mich tun und mir nicht mehr helfen könne. Ich hätte wohl ein Knie wie ein 80-jähriger Mann, ich sei „austherapiert“. Meine Arthrose sei besiegelt, der Knieknorpel im linken Knie dauerhaft und unheilbar geschädigt. Daher auch der Dauerschmerz. Er gibt mir noch 500 Tabletten zum Knorpelaufbau mit. Vielleicht können die mir langfristig doch ein bisschen Linderung verschaffen. Ich kann es nicht fassen. Ich bin wütend. Das kann doch nicht das Ende sein. Ich bin ja gerade erst 43 Jahre alt. Zudem macht mich der Dauerschmerz total mürbe. Dort, wo ich eine Abhilfe suchte – bei den besten Sportmedizinern Münchens – kann ich keine Lösung mehr finden. Unerträglich! Zudem geht genau in dieser Zeit meine Partnerbeziehung zu Ende. Ich fühle mich körperlich und psychisch wirklich schlecht.
Eine Kollegin empfiehlt mir ihren Sportarzt, von dem sie große Stücke hält. Noch einmal keimt Hoffnung auf. Kann womöglich er mir helfen? Ihn selbst bekomme ich nie zu Gesicht. Ich werde von einem seiner Assistenzärzte behandelt. Das Wartezimmer ist voll. Bei jedem Termin, bei dem ich eine Substanz ins Knie gespritzt bekomme, muss ich drei Stunden warten, bis ich dran komme. Die Behandlung selbst dauert dann immer nur etwa fünf Minuten. Der Assistenzarzt, der im Auftrag seines Chefs arbeitet, wirkt regelmäßig gehetzt und gestresst.
Als ich einmal gerade bei den Vorzimmerdamen zu einer Terminklärung warte, möchte eine andere Patientin einen Termin beim Chefarzt selbst bekommen. Man bietet ihr tatsächlich einen an: im November. Es ist jedoch erst März. Irgendwie kommt mir jetzt alles sinnlos vor. Ich wollte doch auch zum Chefarzt selbst, in der Hoffnung, durch ihn das Wunder der Heilung zu erleben. Dies hätte nämlich für mich darin bestanden, dass ich wieder voll gesund und sportlich geworden wäre und meine Einstellung nicht hätte ändern müssen: Einfach auf „Reset“ drücken und weitermachen wie bisher.
Der Assistenzarzt schlägt mir zusätzlich zu den Spritzen vor, mir Einlagen im linken Schuh zu beschaffen, um rein mechanisch den Druck vom linken Knie wegzukriegen. Es hilft nichts. Die Schmerzen bleiben, ja sie nehmen sogar noch zu, weil nun durch die unnatürliche Stellung eine beständige Spannung im linken Knie und zusätzlich im Rücken entstanden ist. Als ich dem Arzt dies nach etwa sechs Monaten Behandlung mitteile, meint er, ich solle die Einlagen doch ganz einfach wieder entfernen, dabei aber aufpassen, um keinen Bandscheibenvorfall zu bekommen. War eben nur ein Versuch, der schon bei vielen anderen Patienten geholfen habe. Auch in dieser Praxis kann ich keine Hilfe mehr bekommen. Der Arzt hat zudem keine Zeit, sich jedes Mal mein Gejammere anzuhören. Dies ist mein letzter Besuch in dieser Praxis.
Die Schmerzen aber sind unerträglich. Sitze ich zu Hause, habe ich Schmerzen. Gehe ich zur Arbeit, ist der Schmerz ebenfalls mein ständiger Begleiter. Versuche ich spazieren zu gehen, habe ich noch mehr Schmerzen. Um überhaupt einschlafen zu können, klatsche ich beim zu Bett Gehen ein Pfund Quark aus dem Supermarkt auf das linke Knie. Von meiner Oma weiß ich noch, dass Quark den Schmerz vorübergehend aus einem Gelenk ziehen kann. Um im Bett nicht alles zu versauen, wickle ich ein Tuch um diese Quarkmasse. Darüber gebe ich eine Plastiktüte. Tatsächlich kann ich in der Regel dann auch einschlafen. Gegen fünf Uhr am Morgen werde ich jedoch fast jeden Tag wach. Der Schmerz hat wieder die Oberhand gewonnen. Er steckt beständig im Knie – und in meinem Kopf. Alles wird vom Schmerz bestimmt und dominiert. Ein neuer aussichtsloser Tag beginnt, sobald ich aufgewacht bin.
Acht Wochen lang gehe ich mit Krücken in die Arbeit, weil mich das Auftreten auf dem linken Fuß zu sehr schmerzt. Da dies nichts bringt, werfe ich die Krücken wieder weg. Wie soll es nun weitergehen? Der Schmerz hat sich mittlerweile so richtig in meinen Kopf eingefräst. Eine Abhilfe ist nicht in Sicht. Ich bin mit meinem Latein vollkommen am Ende. Und die Schmerzen bleiben. Alles erscheint aussichtslos. Das ungelöste Körperproblem schlägt mir natürlich aufs Gemüt. Ich bekomme trübe Gedanken, habe kein Konzept mehr, wie ich aus der vor allem körperlichen Notlage wieder herauskommen sollte. Nun bin ich vollkommen in einer Midlife-Krise angelangt.
Die Gedanken von Luise Hay
Herbst 1998. Wieder sind die Knieschmerzen unerträglich. Verzweifelt suche ich nach Hilfe, aber wo soll sie herkommen? Nach einem Sonntagsgottesdienst erzähle ich einer Mitarbeiterin meiner Kirchengemeinde von meiner Not. Sie hört sich alles geduldig an. Dann verspricht sie mir, am nächsten Sonntag eine Tonkassette von Luise Hay, einer amerikanischen Lehrerin und Heilerin, mitzubringen. Da ich in einer ausweglosen Situation bin und der bisherige Weg, Hilfe von der Schulmedizin und von Operationen zu erhoffen, vollkommen an sein Ende gekommen ist, bin ich für alles offen, was mir vielleicht helfen könnte. Ich kann ja jetzt nichts mehr verlieren, womöglich aber wieder etwas gewinnen. Der Schmerz treibt mich permanent an nach dem Motto: „Tu doch endlich was!“
Die Gedanken von Luise Hay stellen wirklich etwas Neues für mich dar. Ich sauge ihre Vorstellungen auf wie ein Schwamm das Wasser. Während eines Kurzurlaubs in der Toscana verbringe ich viele Stunden damit, jeden Satz der Kassette aufzuschreiben, so wichtig erscheinen mir die Botschaften, die da auf mich zukommen. Später stoße ich auch auf eines der Erfolgsbücher von Frau Hay mit dem Titel „Gesundheit für Körper und Seele. Wie Sie durch mentales Training Ihre Gesundheit erhalten und Krankheiten heilen“ 2. Das Buch aus dem Heyne-Verlag läuft unter der Reihe „Esoterisches Wissen“. Damit wollte ich bisher wirklich gar nichts zu tun haben.
Luise Hay hat selbst einen aufregenden Lebensweg hinter sich. Zunächst als Model gestartet und früh verheiratet, erscheint ihr Lebensweg vorgezeichnet. Danach aber wird sie vom Leben gebeutelt: Eine nervenaufreibende Scheidung und danach eine Krebserkrankung werfen sie jäh aus ihrem bisherigen Leben. Um den Krebs zu besiegen, holt sie sich alles Wissen heran, was ihr irgendwie helfen könnte. Dabei wird sie selbst zu einer Lehrerin und Missionarin für alternative Medizin. Sie kann den Krebs mit verschiedenen alternativen Heilmethoden besiegen, über die die Schulmedizin die Nase rümpft. Dies bedeutet ihre Gesundung und zugleich ihren Durchbruch als „Kämpferin für eine andere Art von Medizin“. Kein Wunder, dass ihr Schicksal und ihre Botschaften mich genau in der Situation erreichen und anrühren, als ich selbst nicht mehr weiter weiß, weil die Schulmedizin mich als „hoffnungslosen Schmerzensmann“ bereits aufgegeben hat.
Читать дальше