Als ich im Juli eine größere Bergtagestour bestreiten möchte, bekomme ich überraschenderweise wieder Knieschmerzen. Das darf doch eigentlich nicht sein! Die Verletzung und der operative Eingriff haben offensichtlich doch Spuren hinterlassen. Oder war der Muskelaufbau zu wenig gewesen? Darüber denke ich gar nicht nach; denn ein Leben ohne sportliche Betätigung ist für mich zum damaligen Zeitpunkt unvorstellbar. Der Sport bestimmt fast mein komplettes Freizeit-Leben als Single, der ich damals noch war.
August 1992. Alpenüberquerung von Oberstdorf nach Meran. Der Rucksack wiegt 12 Kilo. Am fünften Tag schlottern mir nach einem langen Aufstieg mit 1000 Höhenmetern und nach einem noch längeren Abstieg um 1500 Höhenmeter die Knie. Daher bekomme ich vor der anstehenden Gletscherüberquerung über den Similaun, wo einige Jahre zuvor an der Grenze zwischen Österreich und dem italienischen Südtirol „Ötzi“ gefunden worden war, ziemlich Angst. Ich muss die Wanderung abbrechen. Das stinkt mir gewaltig, ich blamiere mich zudem vor den Begleitern, da ich doch der Initiator dieser Alpenüberquerung bin. Nun muss ich klein beigeben, weil das linke Knie nicht mitmacht. Zu diesem Zeitpunkt will ich immer noch nicht wahrhaben, dass eine Knieoperation eben doch Spuren hinterlassen kann, gerade was die Stabilität betrifft, auch wenn dies in der OP-Klinik bestritten worden war. Zudem will ich mir nicht eingestehen, dass ich womöglich nicht mehr grenzenlos Berge besteigen, „wild“ Ski fahren und beliebig oft Volleyball spielen und dabei unzählige Male auf dem Hallenboden aufknallen kann wie bisher.
Januar 1993. Volleyballspiel in der Vereinsturnhalle. Gerne nehme ich das Angebot der im Nachbarfeld spielenden ersten Freizeit-Mannschaft an, bei ihnen mitzutrainieren. Eine große Ehre für mich! Beim Übungsspiel tritt ein gegnerischer Spieler auf mein Feld über. Als ich von einem Block wieder auf dem Hallenboden landen will, gerate ich versehentlich auf den Fuß des anderen Spielers. Der Knöchel knickt um. Ich höre ein komisches Knacken im linken Knie und spüre einen stechenden Schmerz. Nein, nicht schon wieder! Nach zwei Wochen geht der Schmerz weg. Ich gehe wieder zum Volleyballspiel.
Aus jetziger „klügerer“ Sicht kann ich nur sagen: Für ein bereits verletztes Knie sind die Sprünge auf den Hallenboden beim Volleyballspielen reines Gift. Aber damals will ich dies einfach nicht wahrhaben. Ich bin unbelehrbar – vielleicht auch deshalb, weil gerade das Volleyballspiel ein wichtiger allwöchentlicher und regelmäßiger Freizeitevent ist und eine große soziale Bedeutung für mich hat. Beim Spiel und noch mehr beim „Nachsport“ in der Stammkneipe habe ich immer einen guten und vertrauten Kontakt mit meinen Sportsfreunden, die ich ja erst beim Volleyball kennengelernt habe.
Nach jedem Spiel habe ich Knieschmerzen, nach ein oder zwei Wochen gehen diese glücklicherweise immer wieder weg. Selbst eine kleinere Bergtour im Sommer 1993 ist noch drin. Das rechte Knie fühlt sich stark und unversehrt an, also glaube ich, weiter so tun zu können, als wäre nichts passiert. Ich ignoriere die Probleme im linken Knie. Im Herbst weiß ich aber, dass ich es so nicht mehr lassen kann. Auf den ersten Operateur bin ich sauer, weil ich nach seiner Prognose ja nach zwei Monaten wieder voll sportfähig hätte sein sollen. Ich fühlte mich jedoch die ganze Zeit unsicher im Knie, besonders nach dem Umknicken des Knöchels beim Volleyballspiel. Für diese neue mechanische Verletzung kann der Operateur aber gar nichts. Dies will ich nicht wahrhaben. Es ist viel einfacher, dem Arzt auch noch die Schuld für die zweite Verletzung zu geben. Denn dann muss ich mein Sportverhalten nicht ändern.
Diesmal suche ich eine andere bekannte Sportmediziner-Praxisgemeinschaft in München auf. Von einem der Ärzte werde ich, ebenfalls ambulant in einer Tagesklinik, schnell und unkompliziert operiert. Die Diagnose nach der erneuten Arthroskopie: Miniskusanriss und Knorpelschädigung im linken Knie. Der Knorpel, von dessen Existenz ich bis dahin nichts gehört oder gewusst hatte, musste geglättet – „geshaved“ – werden. Ich will einfach alle Problem schnell weg haben und mich wieder unbekümmert meinem sportlich orientierten Leben widmen können. Damals, mit immerhin 39 Jahren, war ich nicht in der Lage, nach innen zu hören oder gar zu fühlen. Alles wurde mit Sport „wegtrainiert“ und verdrängt. Ich wollte einfach weiter machen wie bisher.
Im Frühjahr 1994 versuche ich wieder, Volleyball zu spielen. Schon nach dem ersten Sprung spüre ich wieder einen stechenden Schmerz und muss erneut einen Arzt aufsuchen. Einige kleine Bänderstränge sind eingerissen. Um eine weitere OP komme ich diesmal herum. Nun beschließe ich schweren Herzens, mit dem Volleyballspielen aufzuhören – endlich. Ich bin deswegen jedoch total frustriert. Ich fühle mich jetzt in meinem Körper, aber auch psychisch ziemlich verunsichert. Ein neues, anderes Denken, eine andere Vorstellung vom und Einstellung zum Leben habe ich noch nicht gefunden, obwohl ich mittlerweile Vater geworden bin und für Mutter und Kind zu sorgen habe.
Februar 1995. Fortbildungskurs unter Leitung eines Psychologen. In der Gruppe geht es sehr emotional zu, verdrängte Emotionen werden bewusst angetriggert und freigesetzt. In einer kurzen Pause während zwei Gruppenveranstaltungen komme ich im Seminarraum mit einem anderen Teilnehmer unerwartet ins „Rangeln“. Zunächst ist es eher ein Abreagieren, ein scheinbar lustiges Balgen. Aber plötzlich wird daraus bitterer Ernst. Ich falle zu Boden, der andere ist stärker. Dies will ich mir auf keinen Fall gefallen lassen, ich würde mich ja sonst vor den anderen Kursteilnehmern, die dem ganzen Geschehen überrascht zuschauen, blamieren. Instinktiv halte ich dagegen, will mich aus meiner misslichen „Lage des Unterlegenen“ auf dem Boden befreien; denn der Kollege liegt auf mir, hat den Ringkampf scheinbar schon gewonnen. Das darf nicht sein. Alle können es hören, was plötzlich geschieht: Es knackt seltsam in meinem rechten Knöchel. Entsetzt weicht der „Kampfpartner“ zurück. Es ist jedoch schon zu spät. Das rechte Knöchel tut tierisch weh – wieder ein stechender Schmerz. Ich bekomme Panik…
Schnell werde ich zu einem Arzt gebracht. Er diagnostiziert einen verletzten Knöchel, möglicherweise einen Bänderriss. So ein Mist. Eine Kernspinthomographie einige Wochen später weist dagegen etwas Neues aus: Die Bänder am Knöchel wurden zwar stark überdehnt, sind aber nicht gerissen. Dies ist die gute Nachricht. Dafür ist der Meniskus angerissen – diesmal im rechten Knie. Ich kann es nicht fassen.
Ich kriege viele Spritzen ins rechte Knie. Die Schmerzen gehen vorübergehend weg, kommen aber immer wieder. Ich fühle mich total verunsichert, kann mich nun auf beide Beine nicht mehr verlassen. Dies kann nicht so weitergehen. An Pfingsten 1996 suche ich in gewohnter Manier nach einer Lösung: eine dritte OP durch den letzten Operateur – diesmal im rechten Knie. Dadurch sollen alle Probleme beseitigt und ich möglichst schnell wieder sportfähig werden. So ist zumindest mein Plan, so erhoffe ich es mir. Der Operateur ermutigt mich in meiner Ansicht. Aus seiner Sicht ist auch diese OP erfolgreich verlaufen. Der rechte Meniskus musste teilentfernt, der Knieknorpel geglättet werden. Doch nun passiert etwas seltsames: Wegen der OP im rechten Knie nehme ich eine Schonhaltung ein. Instinktiv belaste ich das linke Bein und damit das linke Knie mehr als gewöhnlich. Dieses ist jedoch bereits vorgeschädigt durch zwei frühere Operationen.
Unlösbare Knieschmerzen
Nach der OP im rechten Knie treten Schmerzen im linken Knie auf, die ab jetzt überhaupt nicht mehr weggehen. Ich habe einen Dauerschmerz – Tag und Nacht. Das ist unerträglich für mich. Ich wollte doch die letzte OP extra deshalb durchführen lassen, um die Knieprobleme ein für alle Mal zu beseitigen. Ich glaubte eben damals noch total an die Schulmedizin, deren Credo etwa so ausgedrückt werden könnte: „Alles hat rein körperliche Ursachen. Meist kann man diese Ursachen durch die richtigen Medikamente oder durch eine entsprechende Operation technisch beseitigen und das Problem komplett lösen“. Jetzt kommt es genau anders: Die Probleme gehen erst so richtig los. Eine weitere OP hat aber keinen Sinn mehr. Denn was sollte jetzt noch operiert werden?
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