Deshalb gehe ich nicht so weit, daß (das Abendmahl) mit Gewalt in beiderlei Gestalt genommen werden müßte, als ob wir nach der Notwendigkeit des Gebots zu dieser Form des Abendmahls gezwungen wären. Sondern ich unterweise das Gewissen, daß ein jeder die römische Tyrannei leide und wisse, daß ihm wegen seiner Sünde sein volles Recht im Sakrament mit Gewalt genommen ist. Allein das will ich, daß niemand die römische Tyrannei rechtfertige, als ob sie recht getan hätte, wenn sie den Laien eine Gestalt verbietet, sondern daß wir sie verfluchen und ihr nicht zustimmen. Trotzdem sollen wir sie ertragen, nicht anders, als wären wir beim Türken gefangen, bei dem wir gar keine Gestalt gebrauchen dürften. Das ist es, was ich gesagt habe: ich fände es schön, wenn durch den Beschluß eines allgemeinen Konzils solche Gefangenschaft aufgehoben und uns die christliche Freiheit aus den Händen des römischen Tyrannen wiedergegeben und einem jeden sein Wille, es zu begehren und zu gebrauchen, gelassen würde, wie es bei der Taufe und Buße geschieht Aber jetzt zwingt er uns Jahr für Jahr mit gleicher Tyrannei, eine Gestalt zu empfangen. So ganz ist die Freiheit erloschen, die uns von Christus gegeben ist, so hat er unsere abgrundtiefe Verachtung verdient.
Die zweite Gefangenschaft dieses Sakramentes ist nicht (ganz) so schlimm, soweit es das Gewissen betrifft. Aber es ist überaus gefährlich, daran zu rühren, geschweige sie zu verdammen. Hier werde ich ein Wiklifit und unter unzähligen Bezeichnungen zum Ketzer werden. Was denn? Nachdem der römische Bischof aufgehört hat, ein Bischof zu sein, und ein Tyrann geworden ist, fürchte ich mich gar nicht vor seinen sämtlichen Dekreten. Denn ich weiß, daß es nicht in seiner Gewalt steht, auch nicht in der eines allgemeinen Konzils, neue Glaubensartikel aufzustellen. Als ich die scholastische Theologie in mich aufnahm, gab mir Pierre d'Ailly Anlaß zum Nachdenken. Beim vierten Buch der ›Sentenzen‹ disputiert er überaus scharfsinnig, es sei viel glaubwürdiger und man brauchte viel weniger dieser überflüssigen Wunder vorauszusetzen, wenn man glaubte, auf dem Altar wären wahres Brot und wahrer Wein und nicht allein die bloßen Akzidenzien – wenn nicht die Kirche das Gegenteil festgesetzt hätte. Als ich danach sah, was für eine Kirche das ist, die solches bestimmt, nämlich die thomistische, das heißt die des Aristoteles, da bin ich beherzter geworden. Wenn ich zuerst auch im Zweifel war, so habe ich schließlich mein Gewissen doch in der ersten Auffassung befestigt: es ist wahres Brot und wahrer Wein, in welchen das wahre Fleisch und das wahre Blut Christi nicht anders und nicht weniger ist, als jene es ihren Akzidenzien zuschreiben. Das habe ich getan, weil ich sah, daß die Meinungen der Thomisten, ob sie nun vom Papst oder einem Konzil bestätigt sind, dennoch eben nur Meinungen bleiben und nicht zu Glaubensartikeln werden würden, auch wenn ein Engel vom Himmel etwas anderes verordnete. Denn was ohne Schriftgrundlage oder ohne erwiesene Offenbarung gesagt wird, mag wohl als eine Meinung hingehen, muß aber nicht notwendig geglaubt werden. Diese Meinung des Thomas aber ist ohne Schriftgrundlage wie ohne Vernunftbegründung und so ungesichert, daß ich meine, er habe weder seine Philosophie noch seine Dialektik verstanden. Denn Aristoteles redet weit anders von den Akzidenzien und von ihrem Subjekt, als der heilige Thomas, so daß es mir für einen so gelehrten Mann bedauerlich erscheint, daß er seine Ansichten in Glaubenssachen nicht allein aus Aristoteles überliefert, sondern versucht hat, auf dem, den er nicht verstanden hat, etwas aufzubauen. Ein unglückseliger Bau auf einem unglückseligen Fundament!
Ich habe also nichts dagegen: Wer will, mag beiderlei Ansichten beibehalten. Darauf allein kommt es mir jetzt an, daß ich die Gewissenszweifel aus dem Wege räume. Niemand soll sich fürchten, der Ketzerei schuldig zu sein, wenn er glaubt, daß auf dem Altar wahres Brot und wahrer Wein sind. Sondern er soll wissen, daß es ihm ohne Gefahr für seine Seligkeit freisteht, sich eins von beiden vorzustellen, zu meinen und zu glauben, weil hier eben keine Glaubensnotwendigkeit vorliegt. Jedoch will ich jetzt meine Auffassung weiter verfolgen. Erstens will ich die nicht hören, auch nicht im geringsten achten, die da schreien werden, das sei wiklifitisch, hussitisch, ketzerisch und gegen den Beschluß der Kirche. Denn das tun ja nur die, die ich im Ablaßstreit, in der Auseinandersetzung über den freien Willen und die Gnade Gottes, die guten Werke und die Sünde usw. auf mancherlei Weise als Ketzer überführt habe. Wenn nämlich Wiklif einmal Ketzer gewesen ist, dann sind sie zehnmal Ketzer und es wäre fein, von den Ketzern und törichten Sophisten getadelt und gescholten zu werden; ihnen aber zu gefallen, ist die größte Gottlosigkeit Außerdem können sie ihre Ansichten nicht anders beweisen und die ihnen entgegengesetzten Auffassungen können sie nicht anders zurückweisen, als daß sie sagen: das ist wiklifitisch, hussitisch, ketzerisch. Denn diese faule Rede haben sie stets im Maule und anderes nicht. Verlangt man von ihnen einen Schriftbeweis, so sagen sie: Wir sind dieser Meinung, und die Kirche (d. h. wir selbst) hat es so beschlossen. So wagt es diese in bezug auf den Glauben verworfene und unglaubwürdige Gesellschaft, uns unter Berufung auf die Kirche ihre Phantasien als Glaubensartikel vorzusetzen!
Ich habe aber für meine Auffassung eine starke Begründung, vor allem diese: den göttlichen Worten darf keine Gewalt angetan werden, weder durch einen Menschen noch durch einen Engel, sondern sie sollen – soweit wie nur möglich – in der allereinfachsten Bedeutung genommen werden. Und wo uns nicht ein eindeutiger Umstand zwingt, sollen sie in ihrer wörtlichen und eigentlichen Bedeutung aufgefaßt werden, damit man den Gegnern keine Gelegenheit bietet, mit der ganzen Schrift ihr Spiel zu treiben. So auch hier: weil die Evangelisten klar schreiben, daß Christus das Brot genommen und gesegnet habe, und weil die Apostelgeschichte und der Apostel Paulus es auch nachher Brot nennen, so muß man das vom wahren Brot verstehen und vom wahren Wein und vom wahren Kelch. Denn auch sie behaupten nicht, daß sich der Kelch verwandle. Eine Transsubstantiation also, die durch eine göttliche Macht geschähe, vorauszusetzen, ist nicht nötig; man muß sie vielmehr für ein erdichtetes Menschengebilde ansehen, weil sie sich weder auf die Schrift, noch auf einen vernünftigen Grund stützt, wie wir sehen werden.
Die Kirche hat mehr als zwölfhundert Jahre recht geglaubt, nie und nirgends haben die heiligen Väter die Transsubstantiation (was schon ein recht ungeheuerliches Wort ist und erträumt) erwähnt, bis die sogenannte Philosophie des Aristoteles in diesen letzten dreihundert Jahren in der Kirche überhandgenommen hat,
Warum kann Christus seinen Leib nicht in der Substanz des Brotes erhalten, ebenso wie er ihn (nach der Kirchenlehre) in den Akzidenzien erhält? Siehe, das Eisen und Feuer, zwei Substanzen, werden in einem glühenden Eisen so vermischt, daß jeder Teil Eisen und Feuer (zugleich) ist. Warum kann nicht der verklärte Leib Christi viel eher ebenso in allen Teilen der Substanz des Brotes sein?
Was sollen wir hierzu sagen, wenn wir den Aristoteles und menschliche Lehren zu Richtern über so hohe und göttliche Dinge machen? Warum verwerfen wir nicht solchen Vorwitz und bleiben schlicht bei den Worten Christi und sind bereit, nicht zu wissen, was da geschehe, und sind zufrieden damit, daß kraft der Worte der Leib Christi da ist? Ist es denn nötig, daß wir die Art und Weise des göttlichen Handelns gänzlich begreifen?
Daß wir aber nicht zu sehr ins Philosophieren kommen: scheint nicht Christus diesem Vorwitz fein entgegenzutreten, wenn er vom Wein nicht gesagt hat: ›Das ist mein Blut‹, sondern › Dieser ist mein Blut‹ (Matth. 26, 28)? Und noch viel klarer (wird es dadurch), daß er das Wort ›Kelch‹ mit hinzunimmt und sagt: ›Dies ist der Kelch des neuen Testaments in meinem Blut‹ (1. Kor. 11, 25). Sieht man denn nicht, daß er uns im schlichten Glauben behalten wollte, und daß wir lediglich glaubten, sein Blut sei in dem Kelch? Fürwahr, wenn ich nicht begreifen kann, auf welche Weise das Brot der Leib Christi sein kann, will ich doch meinen Verstand gefangennehmen unter den Gehorsam Christi und schlicht bei seinen Worten bleiben, und glaube fest nicht allein, daß der Leib Christi in dem Brot ist, sondern das Brot der Leib Christi ist. Denn zu dieser Auffassung bringen mich die Worte, wo er sagt: ›Er nahm das Brot, dankte, brachs und sprach: Nehmet, esset, das (das heißt: das Brot, das er genommen und gebrochen) ist mein Leib‹ (V. 23 f.). Und Paulus spricht: ›Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?‹ (1. Kor. 10, 16) Er sagt nicht: in dem Brot ist, sondern: das Brot selbst ist die Gemeinschaft des Leibes Christi. Was liegt daran, ob die Philosophie das nicht versteht? Der heilige Geist ist mehr als Aristoteles. Versteht sie denn überhaupt etwas von der Transsubstantiation dieser Dinge, da sie doch selber zugesteht, daß hier die ganze Philosophie zusammenstürzt?
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