Ich bleibe stehen, als auf der Tanzfläche plötzlich Tumult entsteht, und halte instinktiv Ausschau nach Tara. Manchmal tauchen Wachen auf, um jemanden abzuholen … in der Regel sind es Frauen, auf die jemand ein Auge geworfen hat.
Ich kann Tara auf der Tanzfläche ausmachen – sie hat sich eng an den Typen gedrängt, mit dem sie herummacht, und bekommt nichts um sich herum mit. Zuerst glaube ich noch, dass es Zufall ist, als die Wachen in ihre Richtung gehen, aber dann wird mir klar, dass es wirklich sie ist, die sie ins Visier genommen haben. Kein Wunder … Tara tut nichts, um nicht aufzufallen – ganz im Gegenteil. Sie musste ja irgendwann die Aufmerksamkeit von jemandem erregen. Ich muss sie warnen, und rempele bei meinem Versuch, zu ihr zu kommen, bevor die Wachen das schaffen, jeden an, der mir im Weg steht. Alle verfolgen interessiert das Geschehen auf der Tanzfläche, nur in mir tobt die helle Panik. Sie können mir Tara nicht auch noch wegnehmen – sie ist die Einzige, die mir geblieben ist!
„Hey … pass doch auf ...“, mault ein Typ, den ich zur Seite schiebe, aber ich beachte ihn nicht weiter. Keine Ahnung, was ich unternehmen will, aber ich kann nicht einfach zusehen, wie sie meine Schwester wegbringen.
Zu spät! Die Wachen sprechen Tara an, und sie sieht überrascht aus. Der Typ, der gerade noch an ihr klebte, zieht sich sofort zurück. Niemand legt sich mit den Wachen der Besetzer an, schon gar nicht, wenn einer sich für die Frau interessiert, die man gerade anbaggert.
Tara diskutiert heftig mit den Wachen. Ich kann sehen, dass sie aufgebracht den Kopf schüttelt, und ich dränge mich noch energischer zwischen all den Gaffern hindurch.
„Tara!“, rufe ich, und sie schaut in meine Richtung. In ihrem Blick liegt ein Ausdruck, den ich nicht richtig deuten kann. Fast kommt es mir vor, als würde sie unmerklich den Kopf schütteln. Ich soll mich nicht einmischen. Aber natürlich lasse ich mich nicht abhalten – Tara ist meine Schwester, auch wenn wir aufgrund unserer unterschiedlichen Charaktere oft aneinandergeraten.
„Was wollt ihr von ihr?“, frage ich, und stelle mich vor sie, als wäre ich drei Meter groß und bis an die Zähne bewaffnet. Die Wahrheit sieht anders aus. Die Wachen sind fast zwei Köpfe größer als ich und schauen unbeeindruckt auf mich herunter.
„Surana Davison?“, fragt der Uniformierte und scannt mich mit seinem Blick von oben bis unten.
„Ja … was wollt ihr von meiner Schwester?“
„Von ihr wollen wir gar nichts. Wir sind auf der Suche nach dir.“
Ich kann hören, wie Tara neben mir die Luft ausstößt. Sie wollte tatsächlich nicht, dass ich mich einmische, aber aus einem anderen Grund, als ich geglaubt habe. Die Wachen waren nicht hinter ihr her, sondern hinter mir. Ich Idiot! Tara wollte mich warnen – wahrscheinlich hat sie den Typen gerade erzählt, dass ich nicht hier wäre.
Ehe ich die Situation ganz erfassen kann, nehmen mich die Wachen in die Mitte. Ich starre entsetzt auf ihr Schulterwappen – die ineinander verschlungenen Dreiecke der Besetzer. „Du musst mit uns kommen.“
„Warum?“, frage ich panisch und werfe Tara einen flehenden Blick zu. Aber sie kann nichts machen, außer zurückzustarren.
„Du wurdest ausgewählt ...“
„Ausgewählt für was?“, rufe ich, obwohl ich die Antwort eigentlich schon weiß.
„Su … keine Sorge, ich finde dich ...“, ruft Tara mir hinterher, aber ich weiß, dass es nicht stimmt. Wenn mein neuer Besitzer nicht will, dass ich mit Tara Kontakt habe, werden wir uns nie wiedersehen.
„Das kann nur ein Missverständnis sein ...“, rufe ich Tara zu, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, wer an mir Interesse hat. Dann fällt es mir ein – Phil. Aber er ist nur ein Hauswachman. Für jemanden wie Phil würde man mich doch nicht aus einem Nachtclub schleifen … oder doch? Mir fällt einfach niemand anderer ein, dem ich aufgefallen sein könnte.
„Bitte … sagt mir, wohin ihr mich bringt ...“, flehe ich die Wachen an, aber sie führen mich aus dem Club, ohne auch nur ein einziges Wort mit mir zu wechseln.
Draußen schieben mich die Wachen in einen Van mit abgedunkelten Scheiben und fahren los. Ich kann nicht sehen, wohin man mich bringt. Erst, als die Türen des Van geöffnet werden und die Wachen mich auffordern auszusteigen, erkenne ich, dass wir zurück vor dem Apartmenthaus sind, in dem ich wohne.
Ich hatte also recht – es ist Phil. Schon der Gedanke daran, dass er ab jetzt Teil meines ohnehin trostlosen Lebens sein wird, lässt mich innerlich zerbrechen. Vielleicht hätte ich mir einfach die Zähne schwärzen sollen und die Haare nicht mehr waschen … sicher hätte Phil mich dann nicht gewollt.
In der Lobby des Apartmenthauses ziehen mich die Wachen an der Rezeption vorbei, von der Phil uns wie ein unterbelichtetes Rindvieh hinterherglotzt. Irritiert schaue ich von einer Wache zur nächsten, da sie Phil keinerlei Beachtung schenken. Er ist es also gar nicht?! Aber wer ist es dann?
Die Wachen führen mich weiter zum Aufzug und wir fahren in den vierten Stock. Vor meinem Apartment bleiben wir stehen, und einer meiner Bewacher betätigt die Klingel an der Tür.
„Ich bin nicht zu Hause ...“, rutscht es mir mit sarkastischem Unterton heraus, weil doch offensichtlich ist, dass nur ein Name an der Tür steht … nämlich meiner.
Aber die Tür wird geöffnet … und zwar von innen - im nächsten Augenblick habe ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich muss mich sogar am Türrahmen festhalten, um nicht hinzufallen.
„Hey, Su ...“, begrüßt mich diese vertraute Stimme, von der ich nicht erwartet hätte, sie jemals wieder zu hören.
Ich kann nicht antworten … ich kann nicht atmen ...
„Ich übernehme sie jetzt … ihr könnt gehen ...“
Die Wachen drehen sich wortlos um und verschwinden, während ich mich noch immer an den Türrahmen klammere.
„Komm rein, Su ...“, sagt die vertraute Stimme, und ich schaffe es mit Mühe, den Türrahmen loszulassen.
„Alexander ...“ Die Worte aus meinem Mund klingen furchtbar dünn. „Wie … ich meine ...“ Obwohl ich nicht einmal meinen Cocktail in im Blue Heaven ausgetrunken habe, stolpere ich eher ins Apartment, als dass ich laufe. Gleichzeitig nehme ich jedes vertraute Detail an Alexander wahr – die blonden Haare, den lässigen Gang – Alexander wusste immer, welche Wirkung er auf Frauen hat. Trotzdem hat er mich ausgewählt, obwohl er jede hätte haben können. Ich suche nach Details an ihm, die mir etwas über die letzten zwei Jahre verraten. Alexander sieht aus, als wäre er erst gestern aus dieser Tür gegangen … und er benimmt sich auch so.
„Du hast bestimmt Fragen ...“, sagt er und setzt sich auf das Sofa – genau dorthin, wo er immer gesessen hat.
„Was ist passiert … und … wo warst du die ganze Zeit?“
„Sie haben mich gefangen gehalten.“
„Und jetzt haben sie dich gehen lassen? Einfach so?“, frage ich ungläubig.
„Nichts ist umsonst, Su ...“, antwortet er und weicht meinem Blick aus.
„Du … du arbeitest für die?“
„Es war der einzige Weg, zu dir zurückzukommen, Su. Ich habe unsere Truppen angeführt … und sie brauchen Leute, die für Frieden auf der Erde sorgen. Leute wie mich, die Widerstände ersticken, bevor sie entstehen.“
„Das nennst du Frieden?“, frage ich ungläubig. Ist das wirklich noch der Alexander, der vor zwei Jahren aus dieser Tür gegangen ist? Alexander hätte niemals für die Unterdrücker gearbeitet ...
„Surana ...“, sagt Alexander ruhig, und ein Blick in seine Augen lässt keinen Zweifel daran, dass es die gleichen Augen sind, in die ich mich verliebt habe. „Wir hatten nie eine Chance gegen sie. Sie sind viel höher entwickelt als wir.“
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