Nichts und niemand kann Alexander ersetzen! Seit dem ersten Tag, als ich ihn gesehen habe, wussten wir, dass wir füreinander bestimmt sind. Aber dieser Traum ist ausgeträumt und zu Asche zerfallen. Wir sind Gefangene der Invasoren, und ihnen bestenfalls nützlich. Obwohl nie jemand von uns einen zu Gesicht bekommen hat, kontrollieren sie uns durch diejenigen, die für sie arbeiten. Bis heute weiß niemand, wie diese Besatzer aussehen. Haben sie drei Köpfe und riesige schwarze Augen … sehen sie aus wie Insekten? Das Einzige, was wir je von Ihnen sahen, waren die Lichter am Himmel … und die Blitze … unzählige Blitze, die in dieser Nacht auf die Erde trafen und diejenigen töteten, die sich ihnen in den Weg stellten. Am nächsten Morgen gab es nur noch Stille. Dann hörte ich das erste Mal diesen schnarrenden Alarm und die Durchsage einer verzerrten Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien, aber überall zu hören war: „Wir haben diesen Planeten übernommen … niemandem, der sich fügt, wird etwas passieren, aber Widerstand wird nicht geduldet.“
Wer zuerst noch an einen Scherz glaubte – ich tat das nicht, weil ich von Alexander wusste, dass es keiner war -, wurde in den nächsten Wochen eines Besseren belehrt. Nach und nach wurden wir unserer Freiheit beraubt, überwacht und in neue Aufgabenbereiche eingeteilt. Es gab keine Fesseln, keine Hinrichtungen, keine Gewalt … zumindest keine offensichtliche. Aber sie waren da und zogen die Fesseln um uns immer enger. Überall tauchten plötzlich die rotierenden Dreiecke auf, um uns daran zu erinnern, dass wir überwacht werden.
Ich bin an meinem Apartmentblock angekommen – im Gegensatz zu Tara wohne ich nur drei Straßen vom Kontrollzentrum entfernt und kann zu Fuß zur Arbeit gehen.
„Schon was geplant fürs Wochenende?“, holt mich der Wachmann meines Apartmentblocks aus meinen Gedanken, während er mir meinen Schlüssel aushändigt. Sein Name ist Phil, soweit ich mich erinnere, und er versucht bei jeder Gelegenheit, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich bleibe wie immer kurzsilbig und zeige ihm damit deutlich, dass ich nicht interessiert bin. Er weiß, dass ich früher hier mit Alexander gelebt habe, und er weiß auch, dass Alexander nicht zurückgekehrt ist.
„Meine Schwester kommt heute Abend und wir schauen zusammen einen Film ...“, antworte ich und weiche dabei seinem Blick aus. Ich hoffe, dass ich ihn davon überzeugen kann, wie langweilig und uninteressant ich bin.
„Ach so ...“, antwortet er und schaut in mein Postfach. „Nichts gekommen ...“
Von wem auch? Die Invasoren haben meine gesamte Familie bis auf Tara ausgelöscht. „Danke ...“, sage ich, drehe mich um und nehme den Aufzug in den vierten Stock, wo mein Apartment liegt.
Dort angekommen ziehe ich mir die Schuhe aus und lasse mich auf das Sofa fallen – es weckt bittersüße Erinnerungen, weil ich abends zusammen mit Alexander darauf gesessen habe. Fast meine ich, den Geruch seines After Shave in den Polstern wahrnehmen zu können, aber das ist natürlich Unsinn. Es ist zwei Jahre her … eine Ewigkeit …
Mein Blick wandert zum Bilderrahmen auf dem Sideboard. Von dem gerahmten Bild strahlt mir ein lächelnder Alexander entgegen. Seine weizenblonden Haare sind vom Wind zerzaust, ich habe meine Arme besitzergreifend um ihn geschlungen und meine Wange an seine gedrückt, während ich verliebt in die Kamera strahle. Es ist eines dieser seltenen Fotos, auf dem ich mich wirklich attraktiv finde – wahrscheinlich, weil ich so glücklich bin und man mir das ansieht. Ansonsten finde ich mich eher durchschnittlich, besonders neben Alexander. Braune, leicht gewellte Haare, schulterlang, braune Augen, mittelgroß, schlank … keine besonderen Merkmale. Aber auf diesem Foto strahlen meine Augen, als würde sich die Sonne darin spiegeln, die Haare fallen weich über meine Schultern, und mein Lächeln strahlt aus dem Bild heraus. Ein perfektes Foto an einem perfekten Tag. Tara hat das Bild von uns beiden gemacht, und sie war damit der einzige dunkle Fleck auf dem strahlenden Glück dieses Tages mit ihrer notorisch schlechten Laune. Genau fünf Minuten, bevor das Foto entstand, hat Alexander mir den Heiratsantrag gemacht und einen schmalen Ring mit einem funkelnden Solitaire Diamant an den Finger gesteckt. Ich halte den Ring in die Kamera – ohne eine Ahnung davon, dass mein Glück bald enden wird.
Schnell wende ich den Blick ab, um nicht gleich wieder losheulen zu müssen. Das passiert mir oft, wenn ich das Foto von Alexander und mir anschaue. Automatisch streife ich mir über den Finger, an dem der Verlobungsring saß. Es schien mir nicht mehr richtig, ihn zu tragen, aber ich bewahre ihn in meiner Schmuckschatulle auf.
Endlos zu trauern macht es nicht besser. Ich weiß das. Alexander ist fort, und mein Leben mit ihm war vorbei, bevor es wirklich beginnen konnte … keine Kinder, keine Familie. Wann werde ich es schaffen, mich mit der Realität abzufinden?!
Ich gehe ins Bad, um zu duschen. An manchen Tagen halte ich die Erinnerungen kaum aus … sie fluten meinen Verstand, meine Wohnung, meine Gedanken. Ausnahmsweise bin ich froh darüber, eingewilligt zu haben, mit Tara auszugehen. Ich brauche wirklich Ablenkung. Nicht, um irgendjemanden kennenzulernen, sondern um vor mir selbst wegzulaufen. Alexander war meine große Liebe … die Art von Liebe, die es nur einmal im Leben gibt.
Nachdem ich fast fünfzehn Minuten lang unter dem Brausekopf der Dusche stand, trockne ich mich ab und suche etwas zum Anziehen. Das Kleine Schwarze, das Alexander so gern an mir gesehen hat, ignoriere ich und entscheide mich stattdessen für ein dunkelgrünes Top und einen glockig fallenden Rock, der ein Stück über den Kien endet; langweilig und spießig wird Tara sich beschweren, aber genauso will ich es. Auf keinen Fall möchte ich auffallen.
Beim Make-Up bin ich ebenso sparsam, und meine Haare lasse ich an der Luft trocknen.
Um halb Zehn steht Tara vor meiner Tür und hebt wie erwartet missbilligend die Augenbrauen. „Willst du in die Kirche oder warum siehst du aus, als möchtest du dich verstecken?“
„Mir gefällt's ...“, ersticke ich Taras Einwände. Immerhin habe ich mich breitschlagen lassen, mit ihr wegzugehen. Diesen Teilerfolg will sie offensichtlich auch nicht sofort wieder zerstören, denn sie geht nicht weiter auf meine Kleiderauswahl ein.
Wir verlassen das Haus, und ich ignoriere bewusst Phil, der uns hinterherglotzt, weil ihm offensichtlich klar ist, dass Tara und ich ausgehen, anstatt den Abend in meiner Wohnung zu verbringen.
„Warum schaut der uns hinterher?“, fragt Tara, sobald wir das Haus verlassen haben.
„Keine Ahnung ...“, lüge ich und bin froh, dass sie das Thema nicht weiter vertieft.
Das Blue Heaven ist überfüllt, und ich bin noch immer bei meinem ersten Cocktail, während Tara schon den zweiten bestellt. Meine Schwester ist in ihrem Element, aber ich fühle mich deplatziert. In einen Nachtclub kommt man, um jemanden kennenzulernen, und ich will niemanden kennenlernen – auf jeden Fall nicht mit tieferen Absichten, als ein nettes Gespräch zu führen. Scheinbar strahle ich das auch aus, denn niemand schenkt mir Beachtung. Tara hingegen wird angeflirtet und nutzt jede sich bietende Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen. Ich konnte ihre Einstellung noch nie verstehen. Die Männer hier arbeiten alle für die Invasoren. Sie haben ihre eigene Spezies verraten und außerdem all jene, die beim Erstschlag gegen sie gekämpft haben und gestorben sind, während sie uns verteidigt haben. Ich könnte niemals mit einem von denen etwas anfangen!
Weil Tara beschäftigt ist, laufe ich eine Runde durch den Club – langsam genug, um nicht verloren zu wirken, aber so zügig, um nicht angesprochen zu werden. Ich bereue meine Entscheidung bereits, hierher gekommen zu sein. Zu Hause mit meinen Erinnerungen fühle ich mich weniger allein als hier.
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