1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 „Ich werde dich zur Frau nehmen. Du sollst aber wissen, dass ich keine Gefühle für dich hege. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem wir uns lieben werden. Ich werde mich bemühen, dich glücklich zu machen. Kannst du diesen Vorschlag akzeptieren? Ich werde versuchen, dir ein guter Ehemann zu sein, der dich respektiert und der dir dazu ein guter Freund sein wird.“
Sie zögerte kurz und dann legte Narissa besitzergreifend ihre Arme um seinen Nacken. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. „Komm, wir erzählen es meinem Vater“, sagte sie freudestrahlend und zog ihn hinter sich her.
Jeremias Lippen verzogen sich.
Was tat er da nur? Für Galan gab er sein Leben, seinen Glauben an die wahre Liebe auf. Mein Verstand sagte mir, dass ich nicht seine Liebe werden würde, aber mit Narissa würde er bestimmt unglücklich sein und das zerbrach mir das Herz. Ich schaffte es nicht, aufzustehen. Ich folgte den beiden nicht mehr. Noch mehr davon wollte ich nicht hören. Ich sank immer tiefer und weinte, bis meine Trauer meine Seele zerfraß. Dann schrie ich. Ich schrie den Himmel und die Sterne an. Ich schrie ganz Galan an.
Schreiend erwachte ich aus diesem Albtraum. Sofort stürmten Brasne und Aaron ins Zimmer. Schweißgebadet und mit Tränen im Gesicht saß ich auf meinem Bett, die Hände meinen Bauch haltend, als hätte ich Schmerzen. Mein Atem ging stoßweise. Aaron nahm mich in seine Arme. Die Angst und Sorge war ihm ins Gesicht geschrieben.
„Isma, es wird alles gut. Beruhige dich bitte, es war nur ein Traum“, sprach Brasne leise auf mich ein, aber ich wusste es jetzt besser.
Ich war wirklich eine Seelenwanderin und was noch viel schlimmer war, ich würde nie glücklich werden, denn ich hatte Jeremia gerade an eine andere Frau verloren - für immer.
Aaron starrte mich nur an. Ich wollte etwas sagen, aber kein Wort kam über meine Lippen. Er begriff auch ohne Worte, dass es nicht nur ein Traum gewesen war. Schweigend sahen wir uns in die Augen. Wir mussten nichts sagen, er verstand mich auch so.
„Versuche wieder zu schlafen“, empfahl Aaron. „Morgen früh unterhalten wir uns. Gute Nacht!“ Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und erhob sich von meinem Bett. Ich schaute den beiden noch hinterher, als sie leise die Tür schlossen, sank erschöpft in meine Kissen zurück und blieb mit meiner Verzweiflung allein.
Wie konnte ich jetzt nur schlafen?
Ich war so aufgewühlt, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Traurig vergrub ich mein Gesicht im Kopfkissen und fing wieder an zu weinen. Warum passierte das alles? Warum passierte das ausgerechnet mir? Mein Kopf fühlte sich schwer an. Irgendwann hörte ich auf zu weinen und fiel in einen leichten und unruhigen Schlaf.
Ich wusste nicht, was mich geweckt hatte. Erschrocken erhob ich mich. Wie lange mochte ich geschlafen haben? Aus dem Fenster blickend sah ich eine zarte Morgenröte, die über den Horizont gewandert war und eine feuchte Nebeldecke mitgebracht hatte, die den Boden unter sich bedeckte.
Mist, schon Morgen! Keiner hatte mich geweckt. Ich quälte mich aus dem Bett, fühlte mich kraftlos durch die Schrecken der Nacht. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Der Blick in den Spiegel zeigte mir ein verquollenes Etwas. Es sah schrecklich aus. Dunkle Augenringe und ein kreidebleiches Gesicht ließen mich wie ein Gespenst aussehen.
Wie sollte ich diesen Tag überstehen?
Ich bürstete mir die Haare und zog mich an. Langsam trottete ich in die leere Küche, wo Mutter mir einen Teller mit Brot, Butter und Marmelade hingestellt hatte. Tut mir leid, mir ist der Appetit abhandengekommen. Ich setzte mich an den Tisch und starrte ins Leere.
Plötzlich schreckte ich aus meiner Apartheid wegen eines knarrenden Geräusches auf. Sekunden später stand Aaron vor mir, setzte sich neben mich und nahm meine Hand zwischen seine Hände. „Isma, wir machen uns Sorgen um dich. Was ist mit dir los?“
„Je-Jeremia“, begann ich mit brüchiger Stimme, „Jeremia hat sich verlobt. Und ich habe den Beweis, dass ich eine Seelenwanderin bin“, stammelte ich verzweifelt.
Aaron streichelte sanft meinen Handrücken. „Was redest du da bloß? Hast du dir vielleicht mal überlegt, dass das alles Hirngespinste sein könnten? Wie kommst du darauf, dass du wirklich eine Seelenwanderin bist?“
„In dem Buch stand, dass Seelenwanderer nur an eine bestimmte Person oder an einen bestimmten Ort zu denken brauchen und schwupp − ist ihre Seele dort. Früher habe ich seltsamerweise nur von der Stadt Castar geträumt, in der Jeremia lebt, und natürlich von Jeremia selbst. Deshalb habe ich gestern ein Experiment gewagt und an jemanden anderes gedacht, bevor ich eingeschlafen bin. Prompt landete ich in meinem Traum wirklich bei dieser Person. Das ist der Beweis, verstehst du?“
„Wen wolltest du denn sehen?“
„Na...Narissa“, stotterte ich zögernd.
„Sprechen wir von Narissa, der Tochter des Herrschers Verson, der über das Territorium Nalada herrscht? Die Narissa, die ein Auge auf Jeremia geworfen haben soll?“
„Ja“, bestätigte ich.
„Ach, kleine Isma, denkst du nicht, dass das alles deiner Fantasie entsprungen ist?“
Wütend schnaubte ich ihn an. Warum verstand er nicht, wie real das alles war? „Aaron, diese Personen existieren wirklich …äh, oder nicht? Und die Seherin hat auch Unheil und den Krieg vorhergesehen. Alles passt zusammen, warum willst du das nicht erkennen?“ In meiner Stimme und in meinem Inneren machte sich eine fürchterliche Verzweiflung breit.
Aaron spürte meinen Frust. Er kannte mich gut. Warum wollte er mich nicht verstehen? „Isma, diese Personen existieren wirklich, aber hast du jemals in Betracht gezogen, dass du solche Sachen träumst, weil du dir ständig Geschichten von ihnen und ihren Territorien anhörst und du dir irgendwelche Wünsche zusammenträumst. Und was die Seherin, die Alte Frau aus Salin, angeht, sie hat wirklich Visionen, und wir ahnen beide, dass es vielleicht morgen schon einen Krieg geben könnte oder vielleicht erst in zehn oder zwanzig Jahren“, kommentierte er gelangweilt.
Ich stutzte. Könnte er möglicherweise Recht haben? Ich war zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen.
Das sah auch mein großer Bruder und Beschützer Aaron. „Isma, geh zurück ins Bett! In deinem Zimmer hast du Ruhe. Ich übernehme deine Arbeit. Denke noch mal über alles gründlich nach.“ Mit diesen Worten stand er auf und stellte sich hinter mich, um mir sanft über die Schultern zu streicheln. Kurz drauf war er weg.
Mühsam rappelte ich mich auf und schleppte mich zurück in mein Zimmer. Mir tat alles weh. Mein Kopf fühlte sich irgendwie leer an. Ich zog die Vorhänge vors Fenster. Im Halbdunkeln streckte ich mich lang aufs Bett aus, und begann erneut, zu grübeln, über Jeremia und seine Verlobung mit Narissa. Wieder musste ich heulen. Nein, das durfte einfach nicht sein. In meinem Hals entstand ein riesiger Kloß. Übelkeit überkam mich. Ich musste aufhören, darüber nachzudenken. Fest entschlossen, nicht zu träumen, wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. In meinem Kopf hörte ich immer wieder den inneren Wunsch, nicht zu träumen. Mit diesem Gedanken schlief ich endlich erschöpft ein.
Irgendwann wachte ich auf. Es musste schon spät sein, denn in meinem Zimmer war es diesmal stockdunkel. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Was war passiert?
Nach mehreren Wochen hatte ich erstmals nicht geträumt. Der Schlaf war so erholsam. Hatte ich Jeremia verloren? Schnell verdrängte ich diesen Gedanken.
Warum hatte ich nicht geträumt?
Dann kam mir ein Gedanke. In dem Buch über Seelenwanderer stand, dass die Frau, wenn sie nicht wollte, dass ihre Seele ihren Körper verließ, sich dies einfach nur wünschte. Dann konnte sie auch durchschlafen.
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