Oma hatte so einiges auf der Pfanne. Ihr gingen die Bezichtigungen so schnell nicht aus.
Johann wußte also nie was ihn erwartete, wenn er sich täglich (außer Sonntags) so gegen 10.00 Uhr dem Haus Aachener Straße 471 näherte. Es sei denn, Opa war um diese Zeit noch im Garten. (Da war ich natürlich auch hatte ich Ferien oder Schulfrei.)
Dann rief er ein: "Morjen Hein. Wie ist die Stimmung?" zu uns runter. (Der Garten lag tiefer als die Straße.)
Somit wußte er, worauf er sich drinnen einzustellen hatte und wievieler Schnäpse es nachher an der Theke bedurfte, um sein seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen.
Johann übrigens war immer grau in grau. Wie die grauen Herren bei Momo. (Das Buch kannte ich allerdings zu der Zeit noch nicht.) Graues Hemd, graue Hose, graue Schiebermütze, im Sommer graue Sandalen, im Winter graue Halbstiefel. Einen grauen Kittel, den trug er stets und wenn’s richtig kalt wurde, zog er noch seine dicke graue Jacke drüber und graue Handschuhe hatte ihm auch jemand gestrickt. Ob nun der Korb, in dem er die Milchflaschen (Gold- und Silberkäppchen) transportierte, im gleichen gräulichen Farbton gehalten war, weiß ich nach all den Jahren nicht mehr genau. Ich würd‘ mal annehmen, daß er’s war!
Nun könnte ich Dir noch erzählen, was sich ereignete, stieß nun der graue Johann in der Wirtschaft auf den prallgefüllten Postboten oder auf Thres, meine große Oma. Die nämlich und der Milchmann waren eindeutig der Spielleidenschaft zum Opfer gefallen und versuchten hartnäckig und abwechselnd die beiden Spielautomaten, die der Sepp aufgestellt hatte auszuräubern. (Den Sepp kannte jeder nur als Sepp, ob der überhaupt einen Nachnamen besaß, bezweifle ich.)
Thres und Johann jedenfalls lieferten sich ergiebige wirtschaftliche Duelle.
Zu solchen Gelegenheiten durfte ich feststellen, daß meine geliebte Oma das Fluchen recht schön und ausdauernd beherrschte!
Besonders spannend wurde es, wenn sie sich den ganzen Morgen über redlich - und mit einem beachtlichen Groschen Vorrat versehen - bemüht hatte, den Automaten auszutricksen – leider erfolglos – Johann dann (nach Beendigung seines Küchengefecht’s) hinzukam, 20 Pf. in den Schlitz warf – und abräumte!
Großvater verwendete einiges an Überredungskunst um die zwei wieder zu versöhnen.
Berichten könnte ich Dir auch noch wie das war, wenn die Wirtschaftstür mit gewaltigem Schwung aufgestoßen wurde und der Mops die Szene betrat.
Mops kam von Rollmops, und so wurde der Herr Hahnfeld natürlich nur in geheimen Insiderkreisen genannt.
Er lieferte – nicht schwer zu erraten – alles (mopsige hast Du gedacht, was?) – ich würde eher sagen, alles Fischige: Mit und ohne Majonnaise, mit und ohne Gräten, desweiteren riesige Dosen knackigster Bockwurst, etwas kleinere Dosen mit Kartoffelsalat (für den Notfall, wenn Oma Käthchen den nicht selbst angemengt hatte), dann die komplette Salatpalette der Firma Doll’s : Heringsalat, Fleichsalat, Lachs in Streifen – und natürlich brachte er stangenweise Helling’s Ochsenschwanzsuppe. Wieviel Liter ich davon während meiner Schulzeit verdrückt habe? – Viele, viele weiße Suppentassen voll. Nicht zu dünn durfte sie sein, schön sämig – dann war sie richtig. Und dazu eine Scheibe Weißbrot.
Übrigens war der Mops immer ganz in Weiß – wie seine Majonnaise. Weiß war auch sein Lieferwagen und "Doll’s Marinaden" stand dran.
Er – der Weiße – ließ sich gar nicht erst auf lange Verhandlungen mit der kleinen Oma – die bei ihm plötzlich Kathi hieß – ein. (Wer weiß, was alles sie sonst seinen Rollmöpsen angedichtet hätte.)
Er marschierte in die Küche, öffnete Kühl- und Wandschrank, sah mit einem Blick was fehlte, nahm seinen dicken Bleistift, den er hinter’m Ohr trug, kritzelte etwas auf seinen Block, verschwand nach draußen und im Inneren seines Lieferwagens, schleppte seine gefüllten Körbe in Kathi’s Küche und packte seine Ware in die Schränke.
Ruck, zuck, ehe Oma überhaupt eine Chance zum Angriff hatte.
Bezahlen durfte sowieso der Opa und so war der Mops ebenso ruck, zuck wieder an der Theke. Wie gesagt, da warteten schon ein paar andere. Und die hatten es scheinbar auch nicht allzu eilig.
Ja, Amelie, noch so manche Geschichte könnte ich Dir erzählen – werd‘ ich auch bestimmt irgendwann tun. Zum Beispiel Episoden über Alfred, den Oberschornsteinfegermeister, der übrigens stets ganz in Schwarz war und der den Leuten besser nicht mehr auf’s Dach stieg, nachdem er die Zentralschänke Mankertz verlassen hatte.
- Geschichten über den Verein der Jagdhornbläser, oder besser gesagt – über dessen Mitglieder. Es gab da einen gewissen Herrn Hardelauf, der soll einmal zu vorgerückter Stunde auf der Theke zwischen all den Gläsern einen Handstand geschafft haben. Wie gesagt – soll. Sicher nur ein Gerücht... Obwohl – gelenkig ist der heute noch...
Erzählen könnt‘ ich Dir vom Sparkassendirektor, der Herr Kaiser hieß und angeblich immer justement aus der Tür raus war, wenn seine besorgte Frau sich nach seinem Verbleib erkundigte.
Ich bitt‘ Dich! Die Kontoführung damals, so ganz ohne Computer-Beistand -, da bedurfte auch Herr KAISER schon mal einer kleinen Erholungspause... Erzählen könnt‘ ich Dir vom Küster der Gemeinde St. Michael, der bezeichnender – aber gleichfalls geheimer - Weise Bim-bam hieß und einmal nachts zur Geisterstunde geschlagene 15 Minuten die Glocken geläutet haben soll... Sicher auch nur ein Gerücht...
Obwohl – einige aus der älteren Generation wollen sich da ganz schwach an die dollsten Dinge erinnern...
Die Sache mit der Orgel, die ist bewiesenermaßen kein Gerücht. Davon existiert ein Foto. Diese Orgel hat mein Vater auf Geheiß und Befehl des damaligen Organisten erdröhnen lassen. (Beinah‘ hätt’ ich Kapellmeister hingeschrieben, aber in kirchlichen Kreisen...?)
Der Organist übrigens hieß Donatus Wolff und ihm zu Ehren wurde Opa’s Jagdhund Dona getauft.
Ach, Amelie, längst vergangene wunderschöne Kinderzeit. Wie oft schon habe ich mit Wehmut im Herzen an all die Ereignisse, an all die lieben Menschen zurückgedacht. An all die Menschen, die mich ein Stück auf meinem Weg durchs Leben begleitet, die mich geprägt, geformt, und die versucht haben mich zu erziehen, aus mir was Gescheites zu machen. Ob sie zufrieden sind mit mir, wenn sie von da oben runtergucken? Ob sie sich freuen?
Ich jedenfalls bin dankbar für alles was ich erleben durfte, oft auch durchleben mußte – all das hat aus mir die gemacht, die ich heute bin. Und dankbar bin ich für die Menschen, die mir
– vielleicht von dem mit dem großen Buch? – an die Seite gestellt wurden, um mich ein Stück auf meinem Weg weiterzubringen.
Jeder auf seine Art und mit seinen ganz persönlichen Charaktereigenschaften.
Wenn uns das auch gelingt, Amelie. Wenn wir das weitergeben, was wir selbst erfahren durften! Wenn von uns auch mal jemand sagt: "Es war toll und ich bin stolz darauf, sie gekannt zu haben" - dann können wir doch zufrieden sein. Was meinst Du?
Wie um alles in der Welt bin ich nun von unserem dörflichen Postboten, über den Milchmann, über den Mops zum Küster und zum Jagdhornbläser gekommen?
Du ahnst es – stimmt’s?
Weil ich es so schön finde, daß es auch in der heutigen Zeit noch Menschen gibt, die sich bei aller Hektik, bei allem Streß, bei allem Hinterherjagen nach was-weiß-ich-auch-immer, ein bißchen Zeit nehmen für ein freundliches Wort, für so’n bißchen Tratsch – der einfach sein muß. Menschen z. B. wie unser Briefträger, der auch mal die Post mitnimmt, der auch mal ’ne Briefmarke zur Hand hat, der fassungslos zum Nachbarn sagt: "Leck mich... – schon wieder ein neues Auto!", der meine Zeitschriften bei Regen nie in den Briefkastenschlitz steckt "die weichen doch völlig durch", der mir nie eine rote Abholkarte hinterläßt, damit ich meine Pakete oder die vielen dickbäuchigen Umschläge nicht in Wegberg bei der Hauptpost abholen muß – er läßt die in seinem gelben Postauto – irgendwann werde ich zu Hause sein, irgendwann wird man sich begegnen ... So wie eben erst wieder.
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