Carmen hatte damals den Brüsseler Hof verlassen, um sich um die Angelegenheiten ihres kranken Vaters zu kümmern. Es entstand eine kurze Pause, da Isabella von Österreich an ihren eigenen Vater denken musste, König Philipp II. von Spanien, den sie selbst bis zu seinem Tode aufopferungsvoll gepflegt hatte, einer der Gründe, warum sie erst mit 31 Jahren Albrecht von Österreich ehelichte.
»Darum bin ich gewillt, diese Angelegenheit persönlich zu prüfen. Nichtsdestotrotz seid Ihr, werter Advocatus, ein getreuer Gefolgsmann unseres lieben Freundes Erzbischof Ferdinand von Wittelsbach, Churfürst zu Cölln. Auch ihm zu Ehr und Dank verpflichtet, sind wir gewillt, Eurem Wunsche nachzukommen, zumal Ihr mir Eure persönlichen Dienste angeboten habt, was ich zu gegebener Zeit gerne in Anspruch nehmen werde. Darum haben wir beschlossen, einen Boten zu König Philipp zu entsenden mit der Bitte, die Untersuchung gegen Condesa Carmen de Silva in unsere Hände zu übergeben.«
Matthias huschte ein zaghaftes Lächeln über das Gesicht.
»Habt Dank, Königliche Hoheit«, erwiderte er.
Die Infantin erhob sich und kam auf Matthias zu.
»Freut Euch nicht zu früh, Commissarius. Ich habe inzwischen erfahren, dass man sie nicht nur des frevlerischen Verbrechens der Hexerei anklagt, so soll sie auch eine Alumbrada sein. Die Alumbrados sind Sektierer, die für viel Unruhe sorgen und es wohl immer geschafft haben, selbst angesehene Mitglieder des Adels auf ihre Seite zu ziehen und sie mit ihren ketzerischen Lehren zu vergiften.«
»Aber Königliche Hoheit . . .«, begann Matthias. Doch die Infantin hob beschwichtigend die Hand, so dass er verstummte.
»Man hat Beweise gefunden, nach denen ihr Vater mit den Alumbrados in Verbindung zu stehen scheint. Höchst belastende Dokumente, Briefe, unter anderem an andere Alumbrados gerichtet.«
»Ich vermag das kaum zu glauben, Königliche Hoheit«, warf Matthias ein, »ihr Vater war stets ein königstreuer Untertan, nun ist er ein alter Mann, der sich zuweilen vielleicht ein wenig seltsam gebärdet.«
»Ein alter Mann mit seltsamen und gefährlichen Anwandlungen, Commissarius. Wir wissen schon seit längerem, dass er mit Juan Brix Martinez eng befreundet ist und ihm bei der Auffindung von Schriften zu den Legenden um den Heiligen Gral behilflich war.«
Überrascht sah der Advocatus die Infantin an. Matthias glaubte, ein flüchtiges Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen.
»Überrascht es Euch, Commissarius? Glaubtet Ihr etwa, uns würden derartige Dinge entgehen?«
Die Infantin kam noch näher zu Matthias und beugte sich flüsternd vor.
»Versteht Ihr jetzt, in welcher Gefahr sich die Condesa befindet?«
»Voll und ganz, Königliche Hoheit.«
»Selbst wenn ich ihr Leben retten kann, ist dies keine Garantie für ihre Freiheit, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Matthias nickte.
Isabella von Österreich schritt wieder zurück zu ihrem Thron.
»Caballero Roger de Puivert! Ich habe bereits einen Boten zu König Philipp II. entsandt und gehe davon aus, dass dieser meiner Bitte auf Übertragung der Untersuchung statt gibt. Ihr werdet Euch unverzüglich auf den Weg nach Jaca machen und dort auf das Eintreffen der königlichen Befehle warten. Sodann werdet Ihr die Condesa Carmen de Silva nach Brüssel geleiten. Hier wird sich dann eine Kommission unter meiner Leitung mit ihrem Fall befassen.«
»Ich würde mich freuen, dieser Kommission angehören zu dürfen«, bemerkte Matthias. Die Infantin hob leicht die Augenbrauen.
»Nein, das werdet Ihr nicht, Commissarius. Man würde dies als eine unerwünschte Einmischung ansehen, was der Untersuchung mehr abträglich, denn förderlich wäre. Eure Bitte wurde gehört und Ihr werdet zu gegebener Zeit Antwort erhalten. Doch diese Zeit ersuche ich Euch in Bonn zu verbringen. Kuriere werden Euch regelmäßig den Stand des Verfahrens übermitteln. Wir werden Euch außerdem noch ein Empfehlungsschreiben an Churfürst Ferdinand mit auf den Weg geben, das Euch als Gesandten der katholischen spanischen Niederlande ausweist.«
Isabella von Österreich erhob sich.
»Gehabt Euch wohl, meine Herren, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Die Audienz war beendet. Matthias und Roger de Puivert verneigten sich. Die Infantin verließ zuerst das Audienzzimmer. Die beiden Freunde folgten ihr nach.
***
2 Die Schwesternschaft des Bösen
2.1 Die Besessenen
Cölln, Kloster Sankt Clara, im November 1626
Unruhig warf sich Schwester Lucia in ihrem Bett hin und her. Sie schwitzte trotz der Kälte, die im ungeheizten Schlafsaal der Novizinnen des herrschte. Plötzlich bäumte sich ihr Körper auf und fiel hart auf den Rücken zurück.
Die Nonne riss die Augen auf und starrte mit schreckgeweiteten Pupillen zur Decke. Ihr Atem ging stoßweise und schnell, ihr Puls raste und sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde zerspringen. Ihre verschwitzte Haut brannte wie Feuer.
Die alte Alberta hatte Recht, etwas Unheimliches ging im Kloster vor, etwas grauenhaft Furchterregendes. Jetzt glaubte Lucia es auch. Ein Dämon hatte versucht, sich ihrer im Schlaf zu bemächtigen. Deutlich sah sie ihn vor sich, seine grässliche Gestalt, die glühenden gelben Augen, wie er über ihr schwebte, in sie einzudringen versuchte und ihren schmalen Körper rüttelte und schüttelte, um sie gefügig zu machen. Übelkeit stieg in der jungen Nonne auf.
Sie zitterte, spürte die Angst, die sich wie eisige Kälte langsam in ihrem Körper ausbreitete und sie zu lähmen drohte. Sie musste die anderen warnen, vielleicht war es nicht nur ein Dämon, vielleicht waren es ihrer viele, und sie alle im Kloster in großer Gefahr. Lucia wollte sich aufrichten, doch im selben Augenblick spürte sie, wie eine unsichtbare Faust in ihren Unterleib schlug und ihr die Luft zum Atmen raubte. Laut gurgelnd erbrach sie eine weiße schleimige Masse. Unmenschliche Schmerzlaute folgten.
Schwester Margareta hatte es zuerst bemerkt. Erschrocken von seltsamen, unheimlichen Geräuschen geweckt, fuhr sie aus dem Schlaf und erblickte Lucia, die sich unter wilden Krämpfen auf ihrer Bettstatt hin und her warf. Schnell weckte sie die anderen, die sich jetzt entsetzt um Lucias Lager versammelten.
Eine der Novizinnen erfasste die Gefahr, in der sich Lucia befand, löste sich aus ihrer Erstarrung und eilte hinaus.
»Lasst mich durch!«, hörten die Novizinnen die Stimme einer Nonne, die sich kurze Zeit später eine Gasse bahnte und an Lucias Bett trat. Sie beugte sich zu Lucia hinunter und untersuchte sie kurz.
»Holt mir heißes Wasser und Tücher. Los, beeilt euch!«, forderte sie die anderen Novizinnen auf. »Und weckt die Mutter Oberin.«
Während die Nonne auf die Oberin wartete, wusch sie Lucias Gesicht und Körper.
»Holt frische Decken und frisches Bettzeug!«, befahl sie erneut den Novizinnen. Doch dann bäumte sich Lucias Körper urplötzlich erneut auf.
»Bleib ruhig, mein Kind«, versuchte die Nonne die Novizin zu beruhigen und wollte sie zurück aufs Bett drücken. Doch mit einem markerschütternden Aufschrei wehrte sich Lucia dagegen.
»Helft mir, Schwestern! Helft mir, sie ans Bett zu fesseln, damit sie sich nicht selbst verletzt.«
Doch noch ehe die übrigen Novizinnen der Nonne zu Hilfe eilen konnten, bäumte sich Lucia mit einem zu einer furchtbaren Grimasse verzerrten Gesicht auf und erbrach sich in hohem Bogen. Der Strahl ihres Erbrochenen traf auch andere Novizinnen, die in heller Panik aus dem Schlafsaal rannten. Danach fiel Lucias Körper bewusstlos auf das Bett zurück. Endlich kam auch die Oberin in den Schlafsaal geeilt.
»Was geht hier vor, Schwester Franziska?«
»Die gleichen Symptome wie bei Schwester Theodora, Mutter Oberin«, erklärte die Nonne.
Die Oberin warf einen Blick auf das Bett.
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