Der Lüge nicht genug, hat der Senat behauptet, ich würde den Rebellen angehören, hätte Medikamente nach draußen geschmuggelt und mich gegen das Regime gestellt. Doch das habe ich nicht! Niemals! Ich war immer loyal, wenn auch nicht in Gedanken. Oft habe ich daran gedacht, mich aufzulehnen. Aber ich war zu feige und habe mich immer gefügt, mein angenehmes Leben einem Dasein in Krankheit und Armut vorgezogen. Vor den Stadttoren zu leben ist höllisch, dort ist man der krebserregenden Sonne und der atomaren Verstrahlung ausgesetzt. Außerdem macht das verseuchte Wasser viele krank. Hier unter der schützenden Stadtkuppel atmen wir saubere Luft, produzieren reines Wasser und gesunde Lebensmittel. Es ist eines der letzten Paradiese, eine von dreihundert autarken Städten, die es auf der Erde gibt.
Leider reicht der Platz nicht für alle. Knapp fünfzigtausend Menschen leben hier in White City, und deshalb können die Outsider auch nicht in der Stadt wohnen. Das Regime tut aber viel dafür, um sie ruhigzustellen. Es liefert ein Mal in der Woche unser kostbares Wasser und ab und zu Medizin, aber nur, wenn die Outsider die Stadt nicht angreifen.
Mein Prozess war kurz, ich saß drei Monate hinter Gittern, bevor ich meine Todesstrafe antreten sollte. Mein Anwalt konnte veranlassen, dass ich in das Serva-Programm aufgenommen wurde, doch mit jeder Sekunde, die ich hier stehe, bereue ich diese Entscheidung mehr.
Mein Herz hämmert wild, bestimmt kann jeder sehen wie mein Brustkorb vibriert. Ständig zeigen sie Großaufnahmen von uns Sklaven, unsere starren Gesichter und die dazugehörigen Nummern.
Der vorletzte Warrior hat einen jungen Mann gewählt, und ich stehe immer noch da, bin wie in Trance, nur meine Blase drückt. Verdammt, ich muss dringend auf die Toilette.
Der letzte Soldat betritt die Bühne – und ich halte die Luft an. Sein schwarzes Haar ist kurz, der Bartschatten reicht fast bis zu den hohen Wangenknochen. Der Blick aus seinen blauen Augen wirkt kalt, sein Gesicht zeigt keine Regung. Ohne Starallüren, und als ob er das Publikum nicht bemerkt, schreitet er über die Bühne, den Lauf seiner großen Waffe auf der Schulter abgestützt. Sein nackter Oberkörper glänzt vor Schweiß und starrt vor Dreck. Oder ist das getrocknetes Blut?
Ich erschaudere.
Oh mein Gott, es ist Jackson Carter, von allen nur Jax oder »der Unbesiegbare« genannt, weil er schon drei Mal einen Treffer überlebt hat, der für andere tödlich geendet hätte.
Die Menge brüllt seinen Namen, mein Puls rast. Sogar eine Serva ruft: »Jax, nimm mich!«
Er ignoriert sie jedoch.
Zitternd drehe ich der Sklavin, die eine der ersten in der Reihe ist, den Kopf zu. Es handelt sich um eine schwarzhaarige Frau, die kaum älter ist als ich, höchstens dreißig. Ihre Figur ist ebenfalls sehr weiblich: große Brüste, runder Po. Ist sie verrückt?
Ein Wächter drückt ihr den Lauf seiner Waffe gegen den Kopf – sie verstummt.
Mit rasendem Herzen schaue ich auf die Bühne; Jax hat der Zwischenfall nicht aus der Ruhe gebracht.
Ich kenne ihn persönlich, denn ich habe ihn operiert! Er ist der größte und stärkste von ihnen. Obwohl er vor drei Monaten nur knapp dem Tod von der Schippe gesprungen ist, steht er bereits wieder an der Front. Er scheint wirklich unbesiegbar zu sein.
Seit dem Tod seines Bruders – heißt es – habe er seine Menschlichkeit verloren. Oder den letzten Rest davon. Welcher Warrior ist schon human?
Unauffällig versuche ich ihn zu mustern und erkenne tatsächlich Blut auf seinem gestählten Körper, Abschürfungen, kleine Wunden und die alten, verblassenden Narben, die ihm diese Granate beschert hat.
Jacksons Blick huscht teilnahmslos über die Sklavinnen, der Schwarzhaarigen schenkt er nur geringfügig länger seine Aufmerksamkeit. Sein Interesse scheint nicht groß zu sein. Er lächelt nicht, seine Miene ist finster. Seit er bei dem Granatenangriff fast gestorben ist, hat er keine Serva mehr zu sich geholt. Jax soll gefühlskalt geworden sein und noch besser kämpfen als zuvor. Er ist eine Tötungsmaschine.
Die Monitore zeigen ihn im Einsatz; er ist Scharfschütze und auch im Nahkampf hervorragend. Niemals verfehlt er sein Ziel.
Plötzlich verhaken sich unsere Blicke, seine blauen Augen werden groß. Hastig schaue ich weg und wünsche mir, er hätte mich nicht erkannt.
Geh vorbei, geh vorbei , leiere ich in Gedanken herunter, doch er stoppt vor dem Eingabepult.
Die Menge verstummt und hält ebenfalls die Luft an. Es wird totenstill. Eisiger Schweiß dringt aus all meinen Poren, hektisch beiße ich mit den Schneidezähnen auf die Innenseite meiner Unterlippe. Dann ertönt ein Aufschrei und Applaus tost los, es folgen aufgeregte Lautsprecherdurchsagen und Begeisterungsstürme des Kommentators. »Wir hatten bereits aufgegeben zu hoffen, aber es ist passiert: Jax hat gewählt, ist denn das die Möglichkeit?!«
Ich sehe auf, meine Eingeweide krampfen sich zusammen und ich schnappe nach Luft. Magensäure verätzt meine Zunge und schwarze Flecken tanzen vor meinen Augen. Wie gelähmt starre ich auf die blutroten Zahlen: 13.
Ja, Jackson hat gewählt. Er hat mich gewählt.
»Du Glückliche«, wispert die Sklavin zu meiner Rechten. Ich kenne sie nicht. »Jax ist gut zu uns. Er hat den Ruf, einer Serva niemals ein Leid angetan zu haben.«
Aber keine der Servas wurde beschuldigt, seinen Bruder getötet zu haben.
Kapitel 2 – In der Vergnügungseinheit
Zwei Wachen schleifen mich hinter Jax her durch kahle Korridore. Sie führen aus der Empfangshalle direkt in die Vergnügungseinheiten, die sich im selben Gebäude befinden. Irgendwo hier sind auch die anderen Sklaven mit den Kriegern.
Meine Beine zittern so stark, mein ganzer Körper bebt unkontrolliert, dass ich kaum laufen kann und ständig stolpere. Mühsam halte ich mit den ausladenden Schritten der Wachmänner mit. Mein großer Zeh blutet, weil ich irgendwo hängen geblieben bin, aber ich spüre keine Schmerzen, nicht da. Mein Blick ist auf Jacksons breiten Rücken geheftet. Deutlich zeichnen sich seine Muskeln ab. Der Stoff der Einsatzhose spannt sich über seinen knackigen Po. Ein attraktiver Mann ist er, doch leider ein Monster.
Als ich ihn operiert habe, bin ich in den Genuss gekommen, jeden Winkel seines Körpers zu sehen. Damals habe ich von ihm geträumt, von seinen blauen Augen, die mich nach der Operation zwar verklärt, aber dankbar musterten, dem gestählten Leib, der tiefen, maskulinen Stimme, seinem … Ob wieder alles funktioniert? Ich wurde verhaftet, bevor ich weitere Untersuchungen an ihm durchführen konnte. Jetzt wünsche ich mir zu meinem Schutz, dass die Operation nicht erfolgreich war. Vielleicht ist das ja der Grund, warum er sich seitdem keine neue Sklavin mehr ausgesucht hat?
Mein Herz rast. Doch was macht es für einen Unterschied, wie er mich quälen und töten wird? Eigentlich keinen.
Vor einem gläsernen Aufzug reicht er seine Waffen einem uniformierten Mann, dann fahre ich mit Jax nach oben. Wir sind nicht allein, neben den zwei Wachen steht ein Reporter im schicken Anzug, außerdem sind überall Kameras angebracht, auch in einer Ecke des Liftes.
Jax geht auf die Fragen des Journalisten nicht ein und schenkt ihm keinen Blick, sondern starrt nach draußen. Der Aufzug zeigt in den Innenhof des Gebäudes. Das Publikum strömt heraus, die Leute wollen nach Hause, um nichts zu verpassen. Die meisten schauen in ihre Mobilgeräte und zappen von einem Programm zum anderen. Sie haben zwanzig Warrior zur Auswahl, jeder Krieger hat seinen eigenen Kanal, und morgen werden die Highlights zusammengeschnitten. Sie laufen während der nächsten Tage, bis ein neuer Schwung Krieger zurückkehrt und das Spektakel von vorn beginnt.
Ich habe mir früher die Sendung nur selten angesehen, da ich sie schon immer primitiv und verachtenswert fand. Doch das Regime unterstützt die Ausstrahlung, sogar finanziell, denn sie dient nicht nur der Unterhaltung, sondern als Abschreckung und Warnung.
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