Hamburg, April 2013 / 2014 Jürgen Ruszkowski
Wer als Bewohner einer küstenfernen Region in weitgehend trockener Umgebung auf die merkwürdige Idee verfällt, zur See zu fahren, sieht sich in der Folge dieser Entscheidung immer wieder den gleichen Fragen ausgesetzt. Man kehrt ja urlaubsbedingt in größeren Zeitabständen nach Hause zurück, Freunde und Verwandte erwarten tolle Geschichten von der großen weiten Welt, und Hein Seemann muss liefern. So, und eine der im tiefen Binnenland am häufigsten gestellten und wohl auch naivsten Fragen (übrigens bis zum heutigen Tage) lautet:
„ Hast Du mal einen Sturm erlebt?“
Jetzt, bereits viele Jahre nicht mehr in der Seefahrt tätig, fand ich es an der Zeit, diese Frage einmal umfassend zu beantworten. So kam es zu diesem etwas merkwürdigen Titel, und so entstand dieses Buch.
Jawohl, ich habe schon mal einen Sturm erlebt. Sogar einige Stürme, um genau zu sein. In zehn Jahren, auf einem Dutzend verschiedener Schiffe auf allen Weltmeeren und zu allen Jahrszeiten keinen Sturm zu erleben ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Seemann rund ums Jahr im tobenden Orkan vor sich hin werkelt. Ich erinnere mich an Reisen, die sich in südlichen Gewässern über Monate ohne wetterbedingte Probleme hinzogen. Und über winterliche Einsätze im Liniendienst auf dem Nordatlantik und Nordpazifik, bei denen der Dampfer ununterbrochen Achterbahn fuhr.
Und wenn wir schon dabei sind, arbeiten wir auch gleich noch die restliche Hitliste der am meisten gestellten Fragen ab:
„Wie war das denn bei der Seefahrt überhaupt so?“
Nun, es war eine schöne Zeit. Manchmal war es auch hart, hin und wieder war es beschissen. Aber missen möchte ich keinen einzigen Tag, auch die beschissenen Tage nicht…
In den 1970er Jahren gab es sie noch, diese traditionelle Seefahrt, die einst in zahllosen Liedern und auch Filmen – meist etwas beschönigend – dargestellt wurde. 1976 wurden in der deutschen Handelsflotte etwa 40.000 Seeleute beschäftigt, davon ein Viertel Ausländer. Auf den Schiffen in der ‚Großen Fahrt’ waren Besatzungen von 30 Mann und mehr üblich, und diese Besatzungen bildeten alle sozialen Schichten ab, vom studierten Nautiker bis zum ungelernten Deckshelfer. Über eine lange Zeit hatte sich eine eigene Kultur herangebildet, die von den Janmaaten an Bord gelebt wurde. Die Sprache derb, das Auftreten und die optische Erscheinung oft reichlich schräg. Ich habe prima Kerle kennen gelernt, mit denen man Pferde stehlen konnte. Und auch merkwürdige Vögel, bei denen man sich wirklich die Frage stellte, aus welcher Anstalt die wohl entsprungen waren.
Monatelange Fahrtzeiten, die ständige Isolierung vom „normalen“ Leben und das enge Zusammensein im Bordalltag führten häufig zu reichlich abstrusen Situationen und merkwürdigem Verhalten. Jedenfalls aus der Sicht einer Landratte, für uns war es gar nicht so merkwürdig. Besonders, wenn es zur allgemeinen Erheiterung beitrug. Und Spaß hatten wir weiß Gott.
Die nachfolgenden Schilderungen lassen teilweise den Schluss zu, dass der Spaß überwiegend aus Saufgelagen und Puffbesuchen bestand. Damit wäre dann auch ein Klischee ganz vortrefflich bedient, das dem seefahrenden Teil der Bevölkerung schon seit Generationen anhaftet. Der Alltag der Seeleute wurde aber durch ihre Arbeit bestimmt, und diese Arbeit war nicht durch Vierzigstundenwoche und freie Wochenenden in ihrer Zeitdauer begrenzt. Mannschaften an Deck malochten unter wechselnden Wetter- und Klimabedingungen. Motorenwärter ackerten in der stickigen Hitze der Maschinenräume. Offiziere gingen Tag für Tag und Nacht für Nacht ihre Wachen, ein nicht unbedingt gesunder Lebensrythmus.
Zwischen den Häfen lagen häufig nicht nur Tage, sondern Wochen voller Monotonie.
Diese Monotonie konnte aber von einer Minute zur anderen in eine durch Zwischenfälle verschiedenster Art entstandene Bedrohung umschlagen. Im Hafen liegend wurden die Besatzungen nicht beurlaubt, sondern unter anderem für die Wartungsdienste eingesetzt, die auf See nicht möglich waren. Endlich an Land, durfte sich Hein Seemann dann erst mal mit den Gestalten herumschlagen, die in erster Linie hinter seiner Heuer her waren, das fing mit dem Taxifahrer an, der da am Hafentor herumlungerte. Schlussendlich liegt es nahe, dass diese meist jüngeren Männer, die da im Hafen ausschwärmten, endlich auch ihren Spaß haben wollten. Und Spaß verbinden Männergemeinschaften nun mal gerne mit Alkohol und Frauen. Womit wir eine Überleitung zu den nächsten beiden Fragen hätten.
„ Bestimmt habt ihr in jedem Hafen eine Braut?“
Manchmal. Wir schliefen nämlich mit Nutten, das verkürzte die Brautwerbung ungemein. Dies taten wir allerdings nicht in jedem Hafen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. In den Ländern der so genannten dritten Welt wurde es uns häufig auf dem Silbertablett präsentiert. Und in anderen Regionen eben nicht, Hein Seemann saß dann einsam in einer Bar und stierte bedröppelt in sein Bier, wie es viele Singles an Land auch tun. Und die ganzen Nuttenstorys liefen dort in Brasilien oder Kolumbien ein bisschen anders ab, als es sich der durchschnittliche Landmensch so vorstellt. Diese Mädels waren zum großen Teil in Ordnung, und wir brachten ihnen auch allgemein mehr Achtung entgegen, als man normal mit dem Begriff ‚Nutte’ verbindet. Es waren unsere Mädels, andere gab es für uns da draußen nicht. Die „normalen“ Landestöchter zeigten nämlich weniger Interesse für diese fremden Typen, die da für einige Tage an die Küste geschwemmt wurden.
Dort existierten auch keine „Eros-Center“ oder Bordellreservate a la „Herbertstraße“. In den Häfen ging man in die reichlich vorhandenen Bars und Kneipen, dort gab es Drinks, Musik und halt auch Mädels. Manche der Etablissements hatten Zimmer im Oberdeck, woanders verschwand das frisch etablierte Pärchen in einer Hotelabsteige. Und in einigen Ports besuchten uns die Damen an Bord. Alles ganz zwanglos, es ergab sich halt irgendwie…
Seeleute und Nutten leben nun mal ein eher unkonventionelles Leben, und der Rest der Welt bringt ihnen daher meistens ein gewisses Unverständnis entgegen, es gab also Gemeinsamkeiten. Allerdings hatte die immer wieder vorkommende Nutzung käuflicher Liebe auch Schattenseiten, manche Maaten waren irgendwann kaum noch in der Lage, eine unbefangene Beziehung zu einem „normalen“ Mädel herzustellen, zu sehr war ihre Haltung gegenüber dem anderen Geschlecht von den ‚Dockschwalben’ geprägt.
Dabei reden wir hier nicht von irgendwelchen versifften Straßenstrichmiezen, sondern speziell in den Häfen Südamerikas, Afrikas und Asiens von recht selbstbewussten jungen Frauen, die eben den Daseinskampf in der sie umgebenden Armut auf ihre Art und Weise führten. Sie betreuten häufig ‚ihren’ Seemann während der gesamten Liegezeit des Schiffes, vielleicht stammt daher die Mär von der „Braut in jedem Hafen“. Aber in den genannten Regionen waren diese Kontakte sehr häufig, die Verweildauer der Schiffe bemaß sich in der geschilderten Epoche noch in Tagen, manchmal sogar Wochen.
Fuhr man auf einem Frachter im Südamerika-Liniendienst, konnte die Reise durchaus zu einer Puffkreuzfahrt ausarten. Für einen Tankermatrosen im Fahrtgebiet Persergolf hingegen waren Kontakte mit Frauen ungefähr so wahrscheinlich wie Meteoriteneinschläge. Man sieht, das Kapitel ‚Seeleute und ihre Bräute’ hatte viele Spielarten.
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