Wolfgang Eibner
Professor für VWL und Wirtschaftspolitik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena
Diplom-Volkswirt, Universität zu Köln; Dr. rer. pol., Universität Passau
CORONA-KRISE
Wirtschaft
Freiheit
Politikversagen
Ein Jahr Corona – eine kritische und schonungslose
(volkswirtschaftliche) Bestandsaufnahme
Copyright: Prof. Dr. Wolfgang Eibner
epubli, holtzbrinck Publishing Group, Berlin, Stuttgart 2021
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Zitierungen in wissenschaftlichen Publikationen sind erwünscht.
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
die gegenwärtige Corona-Krise stellt die Gesellschaft vor viele Fragen, auf die wir, zumindest aktuell, nur wenig Antworten haben.
Entsprechend bewegen die Herausforderungen der aktuellen Pandemie nicht nur Studierende an unserer Hochschule nachhaltig.
Ein für die Lehrgebiete Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik berufener Professor ist damit Ansprechpartner für die vielfältigsten Fragen ökonomischer und wirtschaftspolitischer Konsequenzen dieser Pandemie.
Bei der Beschäftigung mit den ökonomischen Implikationen dieser Krise wird aber sehr schnell deutlich, dass hier nicht nur rein medizinische und rein ökonomische Fragestellungen relevant sind, denen sich der mündige Bürger stellen muss – vielmehr stellen sich massive gesellschaftspolitische Fragen.
Hinzu kommt, dass auch im universitären Umfeld ein teilweise erschreckendes Unwissen über Fakten oder darüber, wie man selbst seriös recherchiert, herrscht. Zudem grassieren im Bereich der Corona-Politik extreme Verschwörungstheorien, so dass hier eine wissenschaftsbasierte Darstellung hilfreich sein kann.
Die Volkswirtschaftslehre als Wissensgebiet hat ihr historisches Fundament in den sog. „Staatswissenschaften“ – damit ist es traditionell Aufgabe eines Volkswirts, sich mit allen Aspekten staatlicher volkswirtschaftlicher Entwicklungen zu befassen – und nicht nur mit engen Theoriemodellen, die in der Realität meist ohnehin nicht eins zu eins umsetzbar sind.
Entsprechend habe ich mich entschlossen, einen Beitrag zur aktuellen Corona-Krise zu schreiben, der im Sinne der guten alten Tradition der Volkswirtschaftslehre als „Staatswissenschaften“ nicht nur rein ökomische Aspekte betrachtet (wobei Letzteres faktenbezogen recht einfach wäre, da die coronabedingte Rezession uns alle national wie international noch viele Jahre belasten wird), sondern versuchen will,
Fragen zu stellen, die zum einen viel stärker in eine philosophisch angehauchte Richtung gehen, und zum anderen
die Pandemie auch als massive Krise – nicht nur unserer Ökonomie – zu betrachten, aus der sich vielfältige Gefahren für unser Staatswesen und letztlich auch für unsere demokratische Grundordnung ergeben.
Im Folgenden soll daher eine Vielfalt von Fragestellungen untersucht werden, die aus volkswirtschaftlich-staatswissenschaftlicher Sicht Antworten suchen.
Kapitel 1 wird sich der Frage widmen, mit welchen eher wirtschaftsphilosophischen Themen uns die Corona-Krise konfrontiert und was sich grundlegend ändern müsste, um unser Wirtschaftssystem nach der Krise nachhaltiger und krisenfester aufzustellen.
In den Kapiteln 2 bis 7 werden sechs zentrale und ganz konkrete, sich aus der Corona-Krise ergebende Fragestellungen näher betrachtet unter Aspekten, wie die Corona-Krise volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch hinsichtlich ihrer Konsequenzen, Kosten und Perspektiven zu beurteilen ist.
Dies unter besonderer Berücksichtigung der Konsequenzen des Lockdowns auf
unsere Wirtschaft auch in langfristiger Perspektive,
unsere Freiheit auf Basis der Grundrechte des Grundgesetzes und
unsere Politik: inwieweit staatliche Stellen und Entscheidungen unsere Gesellschaft bislang strategisch kompetent durch die Krise führen konnten.
Kapitel 2:Warum führt die aktuelle Pandemie weltweit und auch in entwickelten Industriestaaten zu so harten staatlichen Reaktionen? Warum fürchten sich auch Länder wie Deutschland vor einem exponentiellen Mortalitätsanstieg? Ist die Ursache hierfür eine tödliche Pandemie oder liegt der Grund evtl. vielmehr in einem neoliberal induzierten Niedergang leistungsfähiger Gesundheitssysteme?
Kapitel 3:Ist das rechte Augenmaß bei all den tief in unsere gesellschaftlichen Freiheitsrechte eingreifenden Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gegeben?
Kapitel 4:Was werden die zentralen ökonomischen Kosten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lockdowns sein?
Kapitel 5:Ist die deutsche Politik der großen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und medizinischen Herausforderung dieser Pandemie national wie auch z. B. innerhalb der Europäischen Union gewachsen oder liegt hier letztlich tendenzielles Politikversagen vor?
Kapitel 6:Wie werden sich weltweit die ökonomischen und damit auch politischen Kräfteverhältnisse infolge der Corona-Pandemie verändern – beschleunigen die Auswirkungen und Konsequenzen dieser Pandemie den Aufstieg Chinas zur beherrschenden Macht des 21. Jahrhunderts?
Kapitel 7:Und last, but not least: Welches Fazit kann aus wissenschaftlicher Sicht gezogen werden aus den bisherigen Bemühungen, die Pandemie angemessen zu beurteilen und hierauf adäquat im Sinne einer optimierten Kosten-Nutzen-Betrachtung – unter Beachtung des „(Über-)Lebens“ als höchster Wert –zu reagieren?
Zu jedem dieser sieben Themenbereiche kann problemlos ein eigenes Sach- oder Lehrbuch geschrieben werden.
Die Intention der nachfolgenden Betrachtungen ist es insofern lediglich, dem Leser diverse Informationen und Denkanstöße zu geben, einige der folgenden Ausführungen weiterzuverfolgen oder sich – insbesondere bei den Fragen zur weiteren Gestaltung unseres Gesundheitssystems wie auch des Umganges mit Freiheitsrechten in Zeiten großer externer Herausforderungen – der akademischen Diskussion von These und Antithese zu stellen.
Jena, April 2021
Wolfgang Eibner
1. Die Corona-Krise als Bedrohung der Globalisierung
Die aktuelle Situation stellt uns alle vor große Herausforderungen und eine zentrale Frage dabei ist: Wie geht es weiter nach der Krise? Oder eher:
Wie sollte es weitergehen nach der Krise? {1}
1.1 Die Verantwortung neoliberalen Denkens für die aktuelle Situation
Insbesondere unsere westlichen Gesellschaften mit den USA an der Spitze der „neoliberalen ökonomischen Evolution“, aber auch China mit einem verdeckten, aber umso radikaleren System der wirtschaftlich globalisierten Ausbeutung unseres Planeten, verfolgen seit spätestens den frühen 80er und 90er Jahren einen globalisierungskapitalistischen Weg, der nicht nur unseren Planeten, sondern auch uns Bürger überfordert.
Der Neoliberalismus entmündigt weltweit den Bürger zugunsten immer höherer Profite für immer weniger Globalisierungsgewinner, immer fragilerer Sozialsysteme und immer globalisierterer Liefer- und damit auch Versorgungsketten.
Das Problem einer Kritik am neoliberalen Kapitalismusbild ist, dass diese Wirtschaftsordnung eine im historischen Vergleich nie dagewesene, immer weiter steigende materielle Güterversorgung der Welt und daraus resultierendes Wachstum und oft auch Wohlstand generieren konnte.
Die Schattenseite dieser unbestreitbaren materiellen Erfolgsbilanz aber umfasst
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