1 ...8 9 10 12 13 14 ...33 »Siehst du?« Charlotte nippte an ihrem halb vollen Weinglas. »Geht doch. Und jetzt mach das Gleiche mit dem Eisen.«
»Ich soll das Eisen glatt streichen?« Benjamin blies sich mit spitzem Mund auf seine Hand.
Charlotte lachte nur. »Du weißt schon, du Scherzkeks.«
Benjamin tat wie befohlen. Er sprühte den Stoff leicht ein, und das Eisen glitt sanft über die mit der Hand geglättete Fläche. Das ging besser als erwartet. In Gedanken noch auf Charlottes Bauch, strich Benjamin die feinen Härchen mit der Hand wieder zurück in Richtung Süden, und folgte der Hand mit dem Eisen. Charlotte grinste zu ihm herüber. »Mach ruhig so weiter.«
Benjamin nahm sich die andere Seite vor. Das ging jetzt schon viel schneller. Er dachte wieder an Charlottes Bauch, das Bügeln klappte.
Charlotte legte den Kopf schief, griff dann zur Flasche und goss sein Glas ebenfalls halb voll. »Weißt du, Zen, ich glaube, du hast für heute genug gelernt. Ich habe heute keine große Lust aufs Bügeln. Setz dich her und nimm einen Schluck.« Sie stand auf und trat auf ihn zu.
Benjamin ging ihr langsam entgegen.
Er legte ihr den Handballen auf den Bauch, einer warmen Stelle, die er eben noch als Hemd gebügelt hatte. Seine Finger berührten ihre Seite oberhalb der Hüfte, weich und fest zugleich. Deutlich nahm er den Übergang zwischen ihrem festen, muskulösen Oberschenkel und der nachgiebigeren Substanz darüber wahr. Gern hätte er seine Hand weiter über ihren Bauch geführt, wie eben beim Bügeln, vielleicht bis an den Brustansatz, aber nicht weiter. Das traute er sich nicht. Er war sowieso schon zu weit gegangen, mit dieser Berührung, fand er. Er ließ los.
Stattdessen, und überrascht von sich selbst, leckte er ihr mit der Zungenspitze über ihren linken Mundwinkel. »Du hattest da noch Wein.«
Sie hielt ihn an seinem Hemd fest, am obersten Knopf, streckte sich zu ihm hoch und drückte ihm einen Kuss auf, nicht mit gespitztem Mund wie beim letzten Abschied, sondern mit weichen, entspannten Lippen. Benjamins Hand kam wie von selbst zurück auf ihre Hüfte und wanderte auf dem Rücken nach oben. Sein Mund erwiderte den leichten Druck, und er öffnete leicht seine eigenen Lippen und legte den Kopf schief, weil sich ihre Nasen im Weg waren.
Wenn das jetzt so weiterging, würde er in zehn Sekunden mit ihr im Bett liegen.
Aber es ging nicht so weiter. Charlottes Hand, die immer noch seinen obersten Hemdknopf umschloss, drückte ihn von sich weg. »Setz dich und trink deinen Wein«, befahl sie ihm, ließ ihn los und trat selbst hinter das Bügelbrett.
Benjamin setzte sich und leckte sich unwillkürlich die Lippen. Charlotte senkte den Blick, sah nur auf das Hemd. »Das hast du ganz ordentlich gemacht, diesmal«, sagte sie halblaut. »Ich mach das mal kurz fertig.«
Benjamin sah ihr zu. Sie machte das ganz anders als er. Sie ließ das Eisen praktisch kaum aus der Hand, die andere Hand zupfte und zuckelte am Stoff, während die andere mit dem Bügeleisen hinterherkam. Mit kurzen Rucken brachte sie das Hemd in die Lage, in der sie es haben wollte. »Das war heute noch zum Einüben«, fuhr sie fort, während sie die Schultern bearbeite. »Aber du hast gemerkt, wie der Stoff den Leib einhüllt und wie er fallen soll. Das gibt dir ein Gefühl für das Kleidungsstück. Du musst zum Kleidungsstück werden, wenn du bügelst.«
In einer fließenden Bewegung rollte sie den Kragen über das Brett und folgte mit dem Eisen nach. Benjamin sah, dass er aus mindestens zwei, wenn nicht drei Lagen und mehreren Nähten bestand, wahrscheinlich Handarbeit.
Charlotte bügelte ihn so, als sei er rund, nicht flach auf dem Tisch, mit geschickten und perfekt sitzenden kleinen Handgriffen. »So. Fertig«, sagte sie, stellte das Eisen ab und schaltete es ab. Sie knöpfte ein paar Knöpfe zu, nicht alle, und begann das Hemd auf dem Bügelbrett zu falten, von hinten her. Sie drehte es um, knickte es mit einem weich gezielten Handkantenschlag und legte es auf dem Brett ab. Das Hemd lag da, als ob es neu aus dem Laden gekommen wäre, aber sie beachtete es nicht weiter.
»So«, sagte sie. »Jetzt trinken wir aus, und du gehst nach Haus. Sonst geht mir das alles viel zu schnell. Wir machen morgen weiter. Zahlen musst du heute auch nichts.«
Benjamin erhielt wider Erwarten keinen Kuss, als sie ihn kurze Zeit später zur Tür brachte. Was hatte er falsch gemacht?
Der Weg zurück nach vorn
Am nächsten Tag um vier brachte Benjamin Charlotte eine Packung Darjeeling-Tee mit, für den er sich im Teeladen zehn Minuten lang beraten lassen hatte. Diesmal gab sie ihm wieder ein Küsschen zum Empfang.
Charlotte setzte Tee auf, Benjamin nahm den gleichen Platz ein wie am Vortag.
»Was machst du eigentlich als Biologe?«, setzte sie das Gespräch fort, als sie bequem vor ihrem Tee saßen, umwabert von Räucherstäbchen-Duft. »Und wenn du ein Jahr Auszeit genommen hast, wie hat sich dieses Sabbatical auf deine Arbeit ausgewirkt?«
Jetzt musste Benjamin nachdenken. Hatte das seine Arbeit beeinflusst?
»Na ja.« Er blies die Backen auf und stieß die Luft aus wie nach einer überstandenen Gefahr. »Vielleicht. Vielleicht hat sich mein Interesse an anderen Lebensformen verstärkt und sich das Interesse an Menschen, na ja, relativiert. Vor allem, wenn ich sehe, wie wir Menschen mit der Natur umgehen, und welchen Reichtum, welche Schönheit wir da gedankenlos vernichten.« Charlotte nickte.
»Weißt du, wir machen nur ein Drittel Promille der weltweiten Biomasse aus, aber wir nutzen weit mehr als die Hälfte aller Landflächen, Südpol, Sibirien und Grönland mitgezählt, wir verbrauchen zwei Drittel allen Süßwassers, das gesamte Grundwasser, alle Rohstoffe und einen Großteil aller Nahrungsmittel für uns selbst. Für die Natur bleiben nur Brosamen.« Benjamin hatte sich erregt bei seiner Aufzählung wiederholt auf den rechten Schenkel geklopft, und Charlotte sah gebannt auf seine Hand.
»Ja.« Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. »Das ist mir bekannt. Aber was willst du machen? Das Rad zurückdrehen geht nicht. Zurück zur Natur? Schön wär’s. Wir würden alle zugrunde gehen, die Verteilungskriege würden die Welt dann vollends vernichten.«
»Hm.« Benjamin war nicht überzeugt. »Technologie hat uns hierhergebracht, Technologie muss uns auch wieder rausbringen. Außerdem müssen wir diesen Raubbau zurückfahren. Wir müssen sparsamer mit allem umgehen, nicht mehr entnehmen, als wir zurückgeben. Eigentlich müssten wir sogar mehr zurückgeben, als wir entnehmen. Frag mich nicht wie. Wir sind so viele, über sieben Milliarden. Von denen will jeder am Liebsten so leben wie die Reichsten unter uns. Völlig unmöglich.«
Er sog hörbar Luft durch die Nase ein. »Ich fürchte, angesichts dieser weiter wachsenden Zahl werden alle wie auch immer gearteten Bemühungen scheitern. Das macht mich traurig und nimmt mir den Mut.« Benjamin ließ die Hände auf seinen Schoß gleiten und starrte auf seine Strümpfe. Die Schuhe hatte er diesmal gleich ausgezogen.
»Wir haben nur diesen einen Planeten, und wir gehen rücksichtslos damit um, wir vernichten und verdrängen alles andere, Tiere, Pflanzen, das Leben im Meer, zum Schluss dann auch uns selbst. Wie die Hefe in der Maische. Sie vermehrt sich so lange, bis sie am Alkohol erstickt, den sie selbst erzeugt. Wir sind zu viele, viel zu viele für diese Welt, so wie wir leben, so wie wir alle Ressourcen nur in eines verwandeln, in Müll. Auf dem Land, in allen Ozeanen, sogar auf dem Mount Everest ist alles zugemüllt.«
Benjamin seufzte, erschöpft und betreten angesichts seines Gefühlsausbruchs.
»Ist das der Sinn unserer Zivilisation? Müll? Manchmal habe ich exakt diesen Eindruck.«
Er nahm seine Tasse und trank den Tee in einem Zug durstig aus. »Das ganze Wachstum, dieses allein selig machende Allheilmittel, dieses viel gepriesene Wachstum, ist doch am Ende nur die Summe dessen, was wir verbraucht und weggeworfen haben. Am Ende landet alles auf dem Müllplatz, und ich fürchte, wir auch.«
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