Rayan hatte sich ihnen nicht nur angeschlossen, er war im Laufe der Zeit zu einem ihrer Anführer geworden. Er kannte seinen Vater und dessen Krieger und hatte auch sonst ein erstaunliches Insiderwissen. Was die Rebellen jubeln und die Leute seines Vaters fluchen ließ.
Natürlich ließ es sich nicht vermeiden, dass sich das Wort verbreitete, wer derjenige war, der die Rebellen auf einmal so erfolgreich machte.
In einem Wutanfall verkündete sein Vater, dass sein Sohn für ihn tot war und dass seine Krieger seinen Sohn eigenhändig aufhängen und für seinen Verrat büßen lassen sollten.
Scarface packte Rayan vorne am Hemd und holte ihn so in die Realität zurück. Er zog ihn zu sich heran. „So mein Freund, du verrätst mir nun, wo sich das Nest der Rebellen befindet.“ Voller Verachtung spukte Rayan ihm ins Gesicht.
„Das heißt wohl, dass du es mir nicht freiwillig sagst, was? – na umso besser“ – und mit einem gemeinen Grinsen im Gesicht wischte er sich den Speichel ab. Rayan schwante Fürchterliches.
Ein zweiter Mann kam hinzu und zu zweit schleiften sie ihn zu einem Holzgestell und banden ihn fest.
Als gerade die Sonne aufging, hing er mit den Armen nach oben an einem Holzbalken, der zwischen zwei schlanken Bäumen befestigt worden war. Sie banden ihm auch seine Beine an die beiden Stämme, sodass er zwar stehen konnte, aber nur breitbeinig der Dinge harren konnte, die sie mit ihm vorhatten.
Als sie ihm das Gewand vom Körper rissen, um seinen Rücken freizulegen, wusste er was kommen würde. Dann traf ihn auch schon der erste Peitschenhieb mit voller Wucht. Einer der Männer hinter ihm hatte den Schlag ausgeführt, während Scarface mit verschränkten Armen vor ihm stand und ihn grinsend ansah. Die Peitsche war aus rohem Leder, sodass sie nicht nur Striemen hinterließ, sondern die Haut verletzte.
Rayan biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien. Er spürte, wie das Blut begann, seinen Rücken hinunterzulaufen. Doch es gelang ihm, dass kein Laut aus seinem Mund kam.
Nach zehn Hieben hörten sie auf. Sein Peiniger trat wieder mit seinem unablässigen Grinsen an ihn heran. Diesmal hatte er einen Eimer Wasser in der Hand: „Du scheinst ja ein ganz harter Kerl zu sein, was? Na, ich hab schon andere weichgekocht.“ Und statt einer Abkühlung überschütteten sie ihn mit Salzwasser. Es brannte wie Feuer in den Wunden auf seinem Rücken und Rayan wurde schlecht vor Schmerzen. Doch er erlaubte sich noch nicht einmal ein Stöhnen. Sein Stolz ließ es nicht zu, dem Gegner den Triumph zu geben, seine Pein auszukosten. Er spürte den Hass heiß in sich brennen und wäre er frei gewesen, hätte er in diesem Moment nicht gezögert, den Mann zu töten. Doch die Fesseln hielten ihn an seinem Platz und so konnte er nichts tun, als Scarface wütend anzustarren.
Inzwischen kam die Sonne am Horizont hoch und erleuchtete die grausige Szenerie, als wollte auch sie Rayan verhöhnen.
„So mein Freund, nun hast du zwei Stunden Zeit über das Rebellenversteck nachzudenken, danach machen wir weiter.“
1989 - Zarifa - Ein gnadenloser Tag
Scarface hatte seine Drohung wahr gemacht und war wieder gekommen. Der ganze Vorgang wurde wiederholt: zehn weitere Hiebe und danach die Dusche mit Salzwasser. Rayan war entschlossen, durchzuhalten, bis … bis was? Da war er sich nicht mehr so sicher.
Doch sein ihm angeborener Stolz hielt ihn auf den Beinen, so leicht würde er sich nicht geschlagen geben! Die harte Schule seines Vaters tat ein Übriges, dass ihn nichts so schnell aus der Bahn warf.
Doch mittlerweile machte ihm auch die Hitze zu schaffen, es ging auf Mittag zu und Scarface würde wiederkommen, ganz sicher.
Er überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Doch sein sonst so ideenreicher Geist offenbarte ihm keinen zündenden Einfall, wie er sich aus dieser misslichen Lage befreien konnte. Der zunehmende Schmerz in seinem Rücken und Handgelenken half ihm nicht grade dabei, klare Gedanken zu fassen.
Da hörte er zwei von Scarface Männern tuscheln und einer kam zu Rayan und packte sein Gewand oder was davon übrig war und sah ihm auf die Brust. Dann stieß der Mann einen leisen Pfiff aus. „Na schau mal wen wir hier haben, das ist ja ein ganz besonderes Goldstück.“
„Verdammt, das Glück ist heute wirklich nicht auf meiner Seite“, dachte Rayan verzweifelt – der Mann hatte seine Tätowierung gefunden. Als Sohn des Scheichs hatte er kurz nach seiner Geburt eine Tätowierung auf die Brust bekommen, in Form eines blauen Wasserfalls über dem eine rötliche Sonne, ein silberner Vollmond und drei Sterne waren – das Wappen von Zarifa.
Die Männer eilten zu Scarface und ritten anschließend davon. Wohin konnte er sich denken. Sie wollten sich von seinem Vater sicher ihre Prämie abholen, die dieser auf seinen Kopf ausgesetzt hatte. Und eventuell auch noch rückversichern, ob sie ihn wirklich hinrichten dürften.
Vielleicht verschaffte ihm das ja einen Aufschub. Sicher würden sie ihn nun in Ruhe lassen, bis die Reiter zurückkehrten?
Doch ein Blick auf das sadistische Grinsen von Scarface, der in diesem Moment vor ihn trat, machte alle Hoffnungen zunichte.
1989 - Zarifa - Ein kurzes Wiedersehen
Die Sonne war über den Himmel gekrochen und unendlich langsam näherte sich der Abend.
Rayan war inzwischen jenseits von Gut und Böse. Insgesamt sechsmal hatten sie ihr gnadenloses Ritual an ihm durchgeführt. Vielleicht auch öfter, er hatte schon lange aufgehört zu zählen. Sein anfänglicher Stolz war einer stummen Verzweiflung gewichen und mittlerweile bekam er ohnehin nichts mehr von seiner Umgebung mit.
Er hing bloß noch in seinen Fesseln, und selbst, wenn er jetzt den Standort der Rebellen verraten hätte wollen, er konnte keinen Gedanken mehr fassen und hätte keinen vernünftigen Satz mehr sagen können. Er trieb in einem tiefen Meer aus Schmerzen.
Seine Freunde, die nur hilflos zusehen konnten, waren sich sicher, dass der Zweck der Strafaktion vom anfänglichen „Zum-Reden-bringen“ in „Ein-Exempel-statuieren“ geändert worden war.
Sie hatten schon untereinander diskutiert, ob sie an Rayans Stelle den Standort verraten sollten, oder ob sie eine Finte starten und einfach einen anderen Ort beschreiben sollten. Doch die Freunde waren sich schnell einig geworden, dass dies sinnlos war.
Plötzlich kam Bewegung in die Leute von Scarface. Die beiden Boten kamen zurück, und hatten hohen Besuch mitgebracht.
Scheich Sedat Suekran al Medina y Nayran war höchstpersönlich angekommen.
Scarface informierte ihn stolz über seine Foltermaßnahmen und wies seinem Herrn dann den Weg zum bewusstlos an seinem Marterpfahl hängenden Rayan. Er packte das Kinn des Wehrlosen und zog ihn hoch, sodass der Anführer in dessen Gesicht blicken konnte.
Es war Sedat nicht anzusehen, was er dachte oder empfand. Er bestätigte Scarface lediglich durch ein Nicken, dass es sich tatsächlich um den gesuchten Aufrührer handelte. Dann forderte er ihn auf, ihm die Details der Gefangennahme darzulegen.
Ob bewusst oder unbewusst, aber als Rayan die Stimme seines Vaters hörte, regten sich die letzten Lebensgeister bei ihm. Er öffnete mühsam die Augen und versuchte seinem Vater in die Augen zu sehn.
Kaum hörbar und mehr stöhnend als wirklich artikulierend stammelte er „Vater? Vater hilf mir – ich sterbe.“
Scarface hieb ihm mit der anderen Hand, die nicht das Kinn festhielt ins Gesicht. Was für eine Dreistigkeit den Scheich so informell anzureden! Rayan sank in sich zusammen und tauchte in eine gnädige Bewusstlosigkeit ab.
In Sedats Augen blitzte es unmerklich auf.
Dann sagte er: „Ich werde Euch sagen, wie wir mit diesem Abschaum verfahren: Wir werden sie morgen bei Tagesanbruch alle aufhängen, schön der Reihe nach, einen nach dem anderen. Und mit ihm fangen wir an. Dann werden wir ja sehen, ob die anderen auf Dauer auch weiter schweigen wollen. Bindet ihn los und bringt ihn zu seinen Freunden. Und gebt ihm Wasser, wir wollen ja nicht, dass er stirbt, bevor wir ihn morgen hinrichten, nicht wahr?“
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